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Leben im Stübl

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Als meine Eltern im Jahre 1898 heirateten, wurde ihnen anfangs viel Schweres auferlegt. Ich will nicht sagen Schicksal, das ist ein böses Wort. Hört man „Schicksalsschläge", klingt es teilweise wie selbstverschuldet, daher will ich dieses Wort nicht verwenden. Die Landmenschen meiner Heimat gebrauchen es überhaupt nicht. Sie sagen lieber, „es hat halt so sein wollen" oder „unsereiner kann da nichts dagegen tun". Ganz selten wurde von Bestimmung gesprochen. Wird aber manchen Menschen mal zu viel aufgebürdet, so sagt man, der eine muß hier auf Erden alles büßen, der andere im Jenseits. Auch für andere zu leiden glaubten sie.

Nach der Hochzeit bezogen meine Eltern ihr erstes Domizil, wo sie ungefähr fünf Jahre unter schwerer Müh' und Plag' lebten und arbeiteten. Es war dies in Aigen Nr. 2 bei einem Bauern, ein kleines Häuschen, meist mit Zimmer, Küche, einer Kammer und einem kleinen Stall für eine Ziege und ein Schwein. So ein Häuschen war fast bei jedem Bauernhaus dabei, manchmal ganz in der Nähe oder weiter ab vom zugehörigen Hof. Man nannte diese Unterkunft für arme Leute „Stübl", daher ging auch der Spruch im Bauernmund um, sobald zwei Söhne da waren: „Wenn es mal zwei sind, ist es ein Ub'l, der eine kriegt's Haus, der andere das Stübl". Das bedeutete auch zugleich ein Absinken in den dienenden Stand. Man nannte diese Leute Söldnerleute, woraus man leicht das Wort „Sold" heraushören kann.

Es bestand nach einem ungeschriebenen Gesetz die Verpflichtung, daß eines der Eheleute von Ostern bis Allerheiligen beim Bauern für die Wohnung arbeiten mußte. Dazu konnten sie einen Metzen (ca. 40 kg) Kartoffel auf des Bauern Acker ansetzen, etwas Kraut und Futterrüben, sowie etwas Gerste anbauen, um eben die Tiere zu füttern. Arbeitete eines der beiden Söldnerleute außer der Zeit wie etwa im Winter beim Dreschen, so wurde die Arbeit bezahlt. Nun kam es halt auf die Bauersleute an, ob sie gut oder geizig waren. Bei guten Leuten bekamen sie auch sonntags ihr Essen, bei geizigen aber nicht.

Die Bauersleute meiner Eltern waren wohl mitleidlos. Meine Eltern haben zu uns Kindern ja nie von den Schikanen gesprochen, die sie durchzustehen hatten. Als ich größer war, wir nicht mehr dort wohnten und meine Tanten öfter auf Besuch bei uns waren, habe ich doch manches aufgeschnappt. Jedenfalls kann ich mich an diesen Anfangsposten meiner Eltern nicht mehr erinnern. Die ersten beiden Jahre, solange noch keine Kinder da waren, mag es ihnen ja gut gegangen sein. Mein Vater ging im Sommer jedes Jahr ins tt Schnitt".

Damals wurde noch alle Frucht mit der Hand gemäht und auch nachher mit der Hand und den Dreschflegeln ausgedroschen. Schnitter hatten die Bauern vom Marchfeld bis herauf nach Leo-poldau und auf der anderen Seite der Donau bis hinunter nach Hainburg. Vater hat in Fischa-mend in ein und demselben Haus 19 Jahre gearbeitet.

Der Getreideschnitt begann hier meist schon im Juni, wo in der Buckligen Welt die Frucht noch grün war. Bis es in der Heimat so weit war, hatten sie hier die Arbeit beendet und ein schönes Stück Geld verdient. Vier Leute, zwei Männer und zwei Frauen bearbeiteten meist 40 Joch. Größere Bauern mit mehr Joch Grund hatten sechs bis acht Schnitter. War schönes Wetter, konnte man die Arbeit in 14 Tagen bewältigen, vorausgesetzt, die Frucht war nicht durch Hagelgewitter am Boden lagernd und nicht zu hoch, wo dann viele Garben gemacht werden mußten. Bei Regenwetter dauerte der Schnitt vier Wochen, dadurch wurde aber auch die Fruchtreife in der Heimat verzögert.

Nach dem Schnitt in Fischa-mend war Vater dann einige Wochen zu Hause, um daheim bei den Bauern zu helfen, Frucht einzubringen. Dann fuhr er wieder zum Dreschen mit kurzer Unterbrechung zum Kartoffelausnehmen und den Weihnachtsfeiertagen. War der „Drusch" beendet, arbeitete Vater im Holzschlag. Auch viele tausend Schindeln hat er angefertigt.

Zu jener Zeit ging man gerade von den Strohdächei-n zu den Schindeldächern über. Sie waren ebenfalls leicht brennbar und hatten nur eine längere Haltbarkeit.

Stroh verfaulte schneller. Eternit kannte man erst später, ebenso Ziegel. Kaum jemand konnte sich das neue Material kaufen, auch kostete der Transport zu viel Geld. Darum blieb es noch lange Jähre bei dem Althergebrachten. Mit Stroh zu decken habe ich selbst noch gelernt in meinen jüngeren Jahren. Ich war schon zehn Jahre auf dem Bauernhof im Dienst, als der Schnee im Winter einmal ein Schuppendach eindrückte. Etwas Neugebautes durfte dann nicht mehr mit Stroh oder Schindeln eingedeckt werden.

Nach dieser Abschweifung wieder zurück in das armselige Bau-ernstübl, dessen Küche noch eine Rauchküche war mit gemauertem Herd, zu dem man von allen drei Seiten zutreten konnte. Da war ein offenes Feuer, über demselben hing frei auf Draht ein großer Kessel, und man hatte stets heißes Wasser zur Verfügung. Das Feuer am Herd ging fast nie aus, die Glut wurde abends mit Asche zugedeckt und morgens wieder angefacht.

In Töpfen aus Ton oder Gußeisen kochte alles sehr schnell. Der Rauch zog hinauf zur Decke, bis er einen Abzug im Kamin fand. Die Seitenwände waren weiß gekalkt, der Rauch machte ja nur oben alles schwarz. Der Fußboden war aus Lehm gestampft und im Winter sehr kalt. Ich habe zwar keine Erinnerung mehr an diesen ersten Küchenbereich meiner Mutter, doch auf meinem ersten Dienstplatz im Bauernhaus gab es auch noch solch eine Küche, die erst ein Jahr später umgebaut wurde. Da diese Küche sehr hoch war, baute man nur viel tiefer ein neues Gewölbe und verwendete den Zwischenraum zum Fleischselchen. Einen neuen Sparherd, der Fußboden schon betoniert, eine Neuheit, denn Beton gab es schon, im Winter aber auch sehr kalt.

In diesem Stübl wurde meinen Eltern nach mehr als zweijähriger Ehe, am 11. März, ihr erstes Kind geboren: mein Bruder. Viel Zeit blieb Mutter ja nicht, sich als Wöchnerin zu erholen. Krankenkasse und Wöchnerinnenschutz gab es noch lange nicht. Gar bald war das Osterfest da und Mutter mußte wieder im Bauernhaus arbeiten.

Die Erinnerungen „Mit neun Jahren im Dienst" von Maria Gremel sind soeben im Böhlau-Verlag, Wien, erschienen.

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