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Musikland – ferngesehen

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Vor kurzem gab es im österreichischen Fernsehen eine mehr als ein- stündige Diskussion über das Thema „Österreich — immer noch Land der Musik?”, die — das sei vorweggenommen — die gestellte Frage nicht nur nicht klären half, sondern als ein Beitrag zu ihrer negativen Beantwortung gewertet werden muß. Geleitet wurde das konfuse, meist zwei- und dreistimmig geführte Gespräch vom Betreuer der Gesellschaft für Literatur. Teilnehmer an dieser Diskussion waren vor allem Veranstalter und Produzenten von Musik: der Direktor der Volksoper, der Generalsekretär des Könzert- hauses, der Produktionsleiter der Abteilung Musik im Fernsehen, der Leiter des Ensembles „die reihe”, der auch in seiner Eigenschaft als Komponist sprach, der Präsident der Akademie für Musik (von dem man das Kompetenteste hörte) und schließlich, als Gäste von auswärts, ein bekannter Berliner Musikkritiker, der zufällig als Teilnehmer der Woche zeitgenössischer französischer Musik in Wien weilte (und von dem man Interessantes hätte hören können, hätte man ihn mehr zu Wort kommen lassen), und ein jüngerer Journalist aus Salzburg.

Gleich die erste Bemerkung des Berliner Gastes, daß Österreich nur noch auf reproduktivem Gebiet als Musikland angesehen werden könne, daß es aber an weltgültigen schöpferischen Begabungen fehle, hätte der Startschuß für eine fundierte Auseinandersetzung sein können. Sicher war dem Gast aus dem Norden die Existenz einer zweiten und dritten Wiener Schule (der Schüler und Enkel Schönbergs) bekannt, aber er meinte etwas anderes, auf das leider nicht eingegangen wurde … Der Komponist und „reihe”-Leiter führte Klage darüber, daß die echte Avantgarde nicht durch Aufführungen und Preise gewürdigt würde, 95 Prozent der Besten gehörten nicht zum „offiziellen Österreich” und lebten in den Katakomben. Ihm entgegnete der Konzerthaussekretär (der manches zu seinen Gunsten hätte anführen können), daß die Einstudierung dieser Werke soviel Zeit erfordere, daß dadurch sein übriger Konzertbetrieb blockiert sei, vor allem wegen seiner Verpflichtung, ganze Zyklen für die Musikalische Jugend und den Gewerkschaftsbund zu veranstalten (da werden sich die beiden Organisationen aber gefreut haben: daß sie hier als Hemmschuh und Bleikugel am Bein apostrophiert wurden!).

Dem stimmte auch der Volksoperndirektor bei, der die — bekannte — Tatsache bekräftigte, daß neue Werke längere Zeit für die Einstudierung brauchten, als ältere und daher nur selten ins Programm aufgenommen werden könnten. — Als der avantgardistische Komponist seine Attacke weiterritt und behauptete, auch im Rundfunk geschähe nicht genug für die neueste Musik, bekam er von einem Veranstalter die verblüffende Antwort, die neue Musik eigne sich nur fürs Fernsehen und für den Konzertsaal, sogar den „Wozzeck” könne der Redner sich nicht zu Hause am Radio anhören. Nun trat der Berliner Gast aus seiner Reserve und entgegnete, daß es sich hier um eine Irrmeinung h a ndle…

Die Forderung eines Diskutanten nach einem „tieferen Standpunkt” war zwar nicht sehr elegant formuliert, zielte aber auf etwas Wesentliches: auf die Frage nach dem Publikum und nach der Musikerziehung. Zu diesem Thema hatte der Präsident der Akademie Zahlen zur Hand, und sie waren es, die uns von der ganzen plan- und ziellosen Diskussion am nachdrücklichsten im Gedächtnis geblieben sind: in von 5500 getesteten Schulen gibt es 18,26% Volksschulen, in denen kein einziges Kind mehr ein Musikinstrument spielt. Von 958.729 befragten Schülern verschiedener Schultypen spielen nur 14,78 Prozent ein Instrument, wobei Blockflöte, Akkordeon und Gitarre bei weitem dominieren. Die Gründe: der Musikunterricht beginnt zu spät, nämlich erst nach dem achten Lebensjahr, ferner: Lehrermangel und zu wenig Musikstunden (die übrigen Gründe, wie Ablenkung durch die Massenmedien usw., sind ja bekannt). Es besteht also wirklich die Gefahr, daß Österreich kein Musikpublikum mehr haben wird.

Derweilen so wollte der Berliner Gast durch einige Beispiele erhärten, gibt es noch eines, zumindest in Wien. Womit er wieder Recht hatte, aber man tat ihn fast unhöflich mit der Bemerkung ab, das schmeichle dem Lokalpatriotismus zu sehr…

Und dann wurde, vom Rand her, auch die Musikkritik eingeblendet und von einem Redner der Mangel einer Lehrkanzel für Musikästhetik und Musikkritik beklagt. Das heiße Eisen „Musikkritik” wagte niemand anzugreifen. Hätte man einen oder zwei Wiener Kritiker mitredeh lassen, so hätte man ohne Zweifel nicht nur darüber Aufschlußreiches zu hören bekommen…

Da an dieser Stelle wiederholt auf die Auswüchse der Kritik hingewiesen wurde, hoffen wir, nicht mißverstanden zu werden wenn wir meinen, daß über die Frage, ob Österreich noch ein Musikland sei, ohne Beteiligung der Wiener Fachkritik, ohne den Leiter der österreichischen Gesellschaft für Musik sowie ohne die Vorstände der IGNM und der Internationalen Gustav-Mahler- Gesellschaft nicht kompetent gesprochen werden kann. Daß die Veranstalter dieses „Jour fix “ in puncto puncti kein ganz gutes Gewissen . hatten, geht schon daraus hervor, daß die Literaturgesellschaft behauptete, das Fernsehen habe die Teilnehmer zu dieser Diskussion eingeladen während das Fernsehen sich mit dem Hinweis zu salvieren trachtete: das sei ausschließlich Sache des Jour- fix -Hausherrn, in diesem Falle: des Leiters der Gesellschaft für Literatur.

Man sieht: Absurdes Theater ringsum. Da konnte von den wirklichen Problemen des Musiklandes Österreich kaum die Rede sein. Sie wurden nur von fern gesehen.

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