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,Grazer Modell'für ganz Europa

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Vom 24. bis 29. März dieses Jahres haben zum sechsten Mal seit 1974 Studenten aus verschiedenen europäischen Musikausbildungsstätten eine Woche an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz verbracht und im Rahmen ihres Aufenthaltes ebenso wie ihre Grazer Studienkollegen konzertiert. Diese nun schon zu einer ständigen Einrichtung gewordene alljährliche Begegnung junger Menschen gleicher Interessensrichtung und Studienziele gut bereits als ein Modell, das in anderen europäischen Städten Nachahmung gefunden hat. Es scheint daher angebracht, auf die Gründe der Entstehung dieser Einrichtung sowie deren Auswirkung näher einzugehen.

Das auslösende Moment, das mich zu dem Versuch, eine solche „Woche der Begegnung europäischer Musikstudenten“ zu veranstalten, bewogen hat, war das unzureichende Funktionieren der „Austauschkonzerte“. Diese dem üblichen Konzertbetrieb nachgestalteten Besuche litten unter zwei wesentlichen Übeln: erstens unter mangelndem Publikumsinteresse (die jungen, oft hervorragenden Künstler haben noch keinen Starnamen, und in einer fremden Stadt kennt sie niemand) und zweitens unter dem Prinzip Anreise und Konzert (womöglich am selben Tag) und Abreise am Tag nach dem Konzert. Dies machte ein Kennenlernen der

Studenten untereinander oder ein Zusammentreffen mit Lehrern des Gastinstitutes praktisch unmöglich. Die Aufwendung hoher Reisekosten machte sich daher kaum bezahlt, das künstlerische Ergebnis blieb unbefriedigend. Zu all dem kam noch das zunehmende Unbehagen über die sich immer mehr ausbreitende Tendenz, Musikwettbewerbe allerorts zu veranstalten, die, abgesehen von ihrer musikalischen Problematik, die Teilnehmer auf Grund des auf Per^ fektionismus ausgerichteten Systems eher auseinander als zueinander führen.

Die Grundforderungen an das „Grazer Modell“ waren demnach: Hebung des Publikumsinteresses, längerer Aufenthalt am Gastort, Leistungsvergleich auf musikalisch und menschlich vertretbarer Basis.

Wie konnten diese Ziele nun verwirklicht werden? Durch die Zusammenfassung der Veranstaltun-“ gen auf den Zeitraum einer Woche war es möglich, eine entsprechend intensive Öffentlichkeitsinformation durch Presse, Rundfunk, Ankünder durchzuführen, die für Einzelkonzerte in diesem Umfang nie möglich ist. Das regionale ORF-Studio nimmt sämtliche Konzerte auf und sendet diese in regelmäßigen Zeitabständen.

Wissenschaftsminister, Landeshauptmann, Bürgermeister und die Botschafter jener Länder, aus denen Gäste eingeladen sind, bekunden ihr Interesse durch Übernahme des Ehrenschutzes und sind oft bei den Konzerten persönlich anwesend oder entsenden ihre Kulturattaches. Jedenfalls sind die Konzerte seit Bestehen der Grazer Woche der Begegnung vom erstenmal 1974 an immer bestens besucht gewesen und haben das angestrebte Publikumsinteresse gefunden.

Durch den einwöchigen Aufenthalt der Gäste ist es möglich geworden, sich nicht nur gegenseitig kennenzulernen und die Probleme des Studiums aus oft sehr verschiedenen Situationen heraus zu verstehen, darüber hinaus ist die persönliche Information durch den Besuch von

Lehrveranstaltungen im eigenen Fachbereich an der Grazer Musikhochschule ein wesentlicher Teil des Aufenthaltes. Zuletzt bringt eine gemeinsame kulturkundliche Fahrt zu Musikergedenkstätten oder besonders interessanten Kulturdenkmälern noch ein Bild über unser Land, das viele der jungen Gäste zum erstenmal besuchen.

Der künstlerische Leistungsvergleich ergibt sich aus der Organisationsform: Jede der beteiligten Gruppen (in der Regel fünf bis sechs

Studenten) gestaltet nach eigenem Ermessen ein Konzert von eineinhalb Stunden Dauer. Dadurch entsteht im Programmaufbau ein buntes Bild von differenzierten Besetzungen und Werken, die für das Publikum interessant sind und trotzdem einen durchaus treffenden Leistungsvergleich ohne Wettbewerbsbedingungen ermöglichen. Außerdem spielt beim Schlußkonzert ein Teilnehmer aus jeder Gruppe begleitet vom Hochschulorchester ein Solokonzert. Die Gelegenheit, mit einem Orchester öffentlich vor einem großen Publikum in einem Konzertsaal auftreten zu können, ist für die jungen Künstler durchaus nicht oft gegeben.

Wenn man nun die Orte überblickt, aus denen bisher Studenten von Musikausbildungsinstituten in Graz zu Gast waren, ergibt sich ein interessantes Bild, das sich über weite Teile Europas erstreckte Helsinki, Stockholm, Malmö, Kopenhagen, Ham-

„Für eine Stadt in Randlage und eine Musikhochschule in dieser Stadt ist diese Öffnung nach außen eine Lebensfrage, um der Gefahr einer Isolation zu entgehen.“ bürg, Stuttgart, Rotterdam, Antwerpen, Brüssel, London, Luxemburg, Zagreb, Belgrad, Istanbul, Kattowitz, Warschau; in diesem Jahr werden Paris, Barcelona und Dresden hinzukommen. Aus den österreichischen Schwesterinstituten sind die Musikhochschule Wien und das Mozarteum Salzburg zu Gast in Graz gewesen.

Von den meisten der genannten Institute waren jeweils auch die Rektoren anwesend, so daß sich auch auf der Ebene der verantwortlichen Leiter ein fruchtbarer Gedankenaustausch entwickeln konnte. Jedenfalls fanden die bisherigen Teilnehmer diese Form der Veranstaltung für so ideal, daß eine Reihe von ihnen versuchten ähnliches im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchzuführen. So haben bisher Antwerpen, Hamburg, Malmö und London (Royal Acade-my) das Grazer Modell mit bestem Erfolg kopiert, Kattowitz und Istanbul folgen heuer.

Für die Grazer Musikhochschule ergab sich dadurch die Möglichkeit, mit den einschlägigen Musikausbildungsinstituten europaweit in Kontakt zu treten.

Für eine Stadt in geographischer Randlage wie Graz und eine Musikhochschule in dieser Stadt ist diese Öffnung nach außen eine Lebensfrage, um der latenten Gefahr einer Isolation zu entgehen. Daß die Grazer Musikhochschule heute weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt und angesehen ist, was sich in zunehmendem Maß durch weltweite Anfragen und Korrespondenz bemerkbar macht, ist nicht zuletzt ein Ergebnis dieser Woche der Begegnung und der konsequenten Arbeit und Bemühung der an der Hochschule tätigen Studenten und Lehrer.

Darüber hinaus soll durch diese Art von Veranstaltungen der höchst unerfreulichen Inflation von Musikwettbewerben ein Gegengewicht gesetzt werden, das den Verantwortli-chen^ und Geldgebern solcher Wettbewerbe sinnvollere und effektivere Möglichkeiten zeigt, als das gedan-kenlpse Kopieren von Modellen, die zutiefst dem Sinn musikalischer Tätigkeit widersprechen.

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