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Alpbach 1947

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Als vor zwei Jahren, kurz nach Beendigung des Krieges, die „ersten internationalen Hochschulwochen des österreichischen College“ in Alpbach-Tirol ^tattfandeil, schüttelten 'viele, selbst, wohlmeinende Beobachter den Kopf; war es nicht zu früh, war es nicht überhaupt gewagt, was hier eine kleine Schar von Studenten und Dozenten versuchte — angesichts der Zerklüftung Europas —, ein neues „Gespräch junger Europäer“ zu beginnen, ein Gespräch' der' Begegnung der Gegeißätze, um wesentlich drei große Problemkreis: Heranführung der jungen Studenten an die erregende Nahsicht und Gegenwartsbedeutung der Wissenschaft, Aufbau einer neuen Gemeinschaft ziwischcn Studierenden und Dozierenden, Eingliederung Österreichs in die seit 1938 unterbrochene abendländische Kulturgemeinschaft. Wurde hier nicht, so schien es, mit naturgemäß unzulänglichen Mitteln Allzugroßes angetastet: die Fragen um die notwendige Reform unserer hohen Schulen, die Problematik einer neuen Begegnung von Wissenschaft, und Leben und zumal die größte, welche in Gestalt vieler offener Wunden gerade in der Gegenwart die Geister bedrängt: Wie steht es denn um dieses Europa, das hier, im „Gespräch junger Europäer“ neu erlebt werden sollte, war und ist dies nidu eine fiktive Größe, eine imaginäre Einheit, deren historisch-realer Kern längst unter dem Zerrdruck innerer Konflikte zerbrochen, und nun, wund und offen, anderen und größeren Weltmächten Platz machen mußte?

Die kleine Gruppe von Studenten und Dozenten, welche sich- dem Gedanken einer österreichischen Collegebewegung verschworen hatten, wußte jedoch aus tiefer leidvoller Erfahrung um die Schwierigkeiten des Unternehmens. Die Not der Zeit, das

Pehlen' geistiger, 'seelischer, fiffilkWki S£ $egnung der studierenden Jb£end TEuröpas untereinander und gemeinsam mit den Problemen der Wissenschaft und unserer Epoche, stärkte jedoch in diesen jungen Menschen, die sich in der österreichischen Widerstandsbewegung gegen den Totalita-rismus Hitlers gefunden hatten„ die Überzeugung von der Notwendigkeit .raschen zielstrebigen Handelns! Sie waren sich dabei wohl bewußt, daß es hier, im Raum des Geistigen, des Persönlichen, des Innermenschlichen, nicht darum gehen konnte, durch klug ersonnene, aber letzthin gewissenlos in die Welt gesetzte Schlagworte die inneren Schwierigkeiten der vielen sich hier aufdrängenden Probleme äußerlich zu überdecken. Nur steter selbstloser Arbeit vieler Jahre kann es gelingen, die studentische Jugend Europas zu t a“t s e t'z e n d e r neuer und in vieler Hinsicht erstmaliger Gemeinschaft zusammenzuführen und dergestalt einen wichtigen und wesentlichen Baustein eines neuen Europa und nicht zuletzt eines seiner Gliedschaft in diesem Europa neu bewußten Österreich zu setzen.

Wenn nun in diesen Tagen die österreichische Collegcgemeinde ihre letzten vorbereitenden Arbeiten für die dritten internationalen Hochschulwochen in Alpbach, die dieses Jahr vom 23. August, bis 11. September stattfinden, abschließt, dann darf gesagt werden, daß das europäisdie Gesicht Österreichs hier seinen neben den Salzburger Hochschulwochen stärksten Ausdruck finden wird. Fördernde Teilnahme und Interesse der höchsten Stellen unseres Staates, vorab des Bundespräsidenten, der Regierung, zumal der Unterrichtsverwaltung, zeigen, daß Österreich gewillt ist, alles zu unternehmen, um in Alpbach 1947 Fortsetzung, Ausbau und Weiterentwicklung jener neueuropäischen Begegnung zu sichern, welche 1945 und 1946 daselbst verheißungsvoll begonnen wurde. Rund 300 Menschen (100 ausländische Studenten, Angehörige von 24 Nationen und 20 ausländisdie Dozenten, 100 österreichische Studenten mit 25 österreichischen Dozenten und rund 100 fallweise wechselnde „Sondergäste“) werden sich in diesem Spätsommer in dem Alpbachertal, das bisher schon oft Künstler,

Dichter, Freunde zu besinnlicher Einkehr einlud, zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden. Um die Begegnung im Raum * der ' Wissenschaften möglichst intensiv und für den einzenlen fruchtbar zu gestalten^ sind 14 Arbeitskreise vorgesehen: Philosophie, Theologie, Psychologie, Humaniora, “'-Literatur-Kunstwissenschaften und Kunstkritik, Geschichte, Soziologie, Nationalökonomie, Recht, Physik, Biologie, Medizin, Chemie und Technologie. Das verbindende Leitmotiv dieses Jahres heißt „Weltbild und Menschenbild“ und steht dergestalt im Anschluß an die, Grundthemen der beiden Vorjahre, welche ..Wissenschaft und Gegenwart“ und „Erkenntnis und Wert“ beinhalteten. Die einzelnen Arbeitskreise werden von hervorragenden Lehrkräften des In- und Auslandes geleitet — eine ganze Reihe Namen \ on Weltruf befinden sich unter ihnen. Um jedoch zu verhindern, daß diese Ar-Seitskrei.se bloße Monologe dieser durch Wissen und Autorität überragenden Per-'•önlidikeiten werden — nichts widerspricht nämlich dem Wesen des Alpbacher Geistes mehr als der Monolog eines auch noch so genialen Einzelnen —, ist es das B.estreben der Leitung, innerhalb dieser Kreise ver-cchiedene Dozenten als Gesprächspartner zusammenzuführen, so daß der Student' dergestalt lebendig eingeführt wird in die Vielfältigkeit geistiger Fragestellungen. Zur Sicherung lebendigster Entfaltungsmöglichkeit dieser Arbeitskreise wurde die Zahl der für die Gesamtheit der Teilnehmer bestimmten Vorträge deshalb auch, im Vergleich zum Vorjahr, wesentlich herabgesetzt: hier sollen nur, vorgetragen von ersten Vertretern des europäischen Kulturlebens, ger wisse ^große Grundfragen behandelt werden, welche in Inhalt und Form geeignet sind, auch dem thematisdi Fernerstehenden zu bleibendem Eindruck und Erlebnis zu werden. Während sich also die wissenschaft-lidie Arbeit in kleinen und kleinsten Zellen straff organisiert und verwirklidit, ist ein weiter --Raum- ausgespart,; für persönliche gesellscbaftljdie Begegnung 'der Angehörigen der -verschiedenen Nationen, der Bekenner der verschiedenen religiösen, wissenschaftlichen und weltanschaulichen Bekenntnisse und Richtungen. In diesem Raum nehmen als Brückenbildner zwei Institutionen gewichtige Funktionen ein. Die erste betrifft die Veranstaltung von Gesellschafts-abenden — musikalische Darbietungen, Dichterlesungen, Ausstellungen der Werke bekannter arrivierter und noch unbekannter junger Künstler gliedern sich in diesen Raum der persönlichen . Begegnung ein. Zum zweiten hat hier das Aufscheinen der „Sondergäste“ einen wichtigen Zweck zu erfüllen. , In mehrtägigen Turnussen werden in- und ausländische Künstler, Musiker, Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller, Dichter, Herausgeber bekannter Zeitschriften, und Politiker — unter anderem auch englische und französische Parlamentarier — in Alpbach eintreffen und das Spektrum Europas in seinen verschiedenen Strahlungen aufzeigen.

Den Teilnehmern von „Alpbach 1947“ werden also reiche Möglichkeiten geboten zu wissenschaftlicher Aussprache und Fortbildung, zu persönlicher Begegnung mit Studierenden und Dozenten vieler Nationen, und zur Fühlungnahme mit führenden Vertretern des europäischen Kulturlebens.

Am letzten Tage der „Internationalen Hochschulwochen“ sind sämtliche Teilnehmer in Innsbruck Gäste der Tiroler Landeshauptstadt und ihres Bürgermeisters. Ein Abschlußabend in der Hofburg soll allen Beteiligten ^festlicher Ausklang und zugleich Einladung zur Wiederkehr, zur Fortsetzung der in Alpbach selbst geleisteten Arbeit sein. Denn: „Alpbach 1947“ begreift sich nur als äußerer Höhepunkt innerer Entwicklung, es will und kann nur sein dienendes Glied einer Bewegung,. die. in Österreich in Arbeitskreisen und Arbeitstagen in zäher steter Arbeit immer deutlicher Gesicht und Gestalt gewinnt: ihr Ziel ist die Gewinnung aller zeitaufgeschlossenen lebendigen Kräfte in Studenten-und Dozentenschaft zur Mitarbeit am Aufbau einer neuen akademischen Gemeinschaft in Österreich — in einem,. neuen Europa.

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