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Wiener Oper in Holland

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Amsterdam, Mitte Juli 1949 Während die eine Hälfte Europas schwer arbeitet, um die durch den zweiten Weltkrieg aus den Fugen geratene Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen und die Kriegsschäden auszumerzen, organisiert die andere Hälfte Festspiele. Auch die Niederlande wollten mit der Veranstatlung des von Mitte Juni bis Mitte Juli in Amsterdam, Scheveningen und im Haag stattfindenden „Holland-Festival“ ihren Beitrag zu dieser europäischen kulturellen Besinnung leisten —, denn dies muß der tiefere Sinn der verschiedenen wie Pilze aus dem Boden schießenden Festspiele in ganz Europa seinl Nach langwierigen und mühevollen Unterhandlungen war es gelungen, die Wiener Staatsoper für eine Reihe von Gastspielen zu gewinnen. Sie war die „Stimme Österreichs“ bei dieser internationalen Veranstaltung, und — um es gleich vorwegzunehmen — es war eine triumphale Stimme, die da erklang! Außer dem Gefühl eines großen künstlerischen Erfolges können die Wiener Gäste auch zugleich das Wissen mit sich nehmen, daß sie ihrem Lande kaum abschätzbare Dienste hinsichtlich der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und den Niederlanden erwiesen haben.

Neben dieser kulturpolitischen Seite des Operngastspiels darf aber auch nicht der Dienst übersehen werden, den die Wiener der Welt der Oper als solcher erwiesen haben. Opernaufführungen waren vor dem Kriege allein ausländischen Gastspielen Vorbehalten. Die Mehrzahl der musikalischen Niederländer ging vor allem zu den Orchesterkonzerten ihrer allerdings auf einer hohen Stufe stehenden verschiedenen städtischen Orchester, unter denen das Con- certgebouworchester ja international bekannt und berühmt ist. Erst nach dem zweiten Weltkrieg entstand eine eigene niederländische Operngesellschaft in Amsterdam, die das Interesse für die Öper durch manche gute Vorstellung in weiteren Kreisen zu wecken verstand. Was aber vollendete Opernkunst bieten kann, haben die Wiener zu zeigen vermocht. Der Musikkritiker der „Tijd“, eines der größten Amsterdamer Blätter, schrieb über die „Entführung“, die die Reihe der Vorstellungen eröffnete: „Was soll man sich den Kopf zerbrechen, um nach der physischen Ursache dieser mühelosen Kunst zu suchen, die eine Tatsache ist, mit einer verwirrenden Selbstverständlichkeit sich selbst fortbewegt, jauchzend vor Freude, singend vor Glück und weinend in ihrem immer süßen Liebes- schmerz. Jeder Künstler ist bei dieser Aufführung so voll Vergnügen dabei, als würde er es zum erstenmal in seinem Leben tun, und Krips hat das größte Vergnügen von allen. Und dabei ist alles von einer unbeschreiblichen Präzision, nicht nur die technische Seite, sondern auch im Ton, im Akzent, in den tausend Schattierungen. So kommt man an diesem Abend von einem Entzücken ins andere, und Liebhaber der Opernkunst wissen auf einmal wieder, daß sie besteht, die Oper, diese paradoxale Verbindung von Musik und Theater, und daß sie uns zu einer Klimax von Entzücken bringen kann, so daß ein Theaterstuhl ein schwebender Wolkensitz werden kann, was ja auch der Zweck eines Theatersitzes sein soll, wenn man auch leider nicht zu oft davon sprechen kann.“

Als zweite Vorstellung wurde in Amsterdam der „Rosenkavalier“ unter der Leitung von Prof. Dr. Böhm mit gleichem Erfolg gegeben. An diesem Abend war ein besonders repräsentatives Publikum im Theater, unter anderen Prominenten auch der Generalsekretär des Unterrichtsministeriums und der österreichische Gesandte, die übrigens bei allen Vorstellungen anwesend waren, sowie der Bürgermeister der Stadt Amsterdam, der der Wiener Oper im Rathaus einen festlichen Empfang bereitet hatte, bei welchem die Kapelle der Philipps- Fabriken sogar den — Deutschmeistermarsch spielte. Dem Erfolg des „Rosenkavaliers“ folgte als Abschluß in Amsterdam eine glanzvolle „Don-Juan“-Aufführung unter Prof. Krips, bei der Amsterdam unter Begeisterungsstürmen von den Wiener Künstlern Abschied nahm. Doch der große Erfolg begleitete diese auch nach dem Haag, wo nach den Worten des Kritikers der „Tijd“ „das Wunder an diesem Abend aufs neue über das Publikum kam“. Man könne sich keine vollkommenere Vorstellung denken, als diese „Figaro“-Aufführung. Jeder einzelne Künstler erregte die größte Bewunderung und zum Schluß schrieb die „Tijd“: „Es war eine einmalige Einheit, in der jeder für alle einstand und alle unter Böhms Meisterhand für das Werk, für die Partitur, für Mozarts „Figaro“, der den Triumph des Menschen darstellt, errungen durch einen der vollkommensten Menschen, die zwanzig Jahrhunderte europäischer Kultur hervorgebracht haben.“

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