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Wiener Studentenschauspieler in Holland

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Es ist immer noch ein großes Wagnis und kühnes Unternehmen, auch wenn Österreicher in ihrer Muttersprache zum holländischen Volke reden wollen. Von allen Gebieten Europas hat keines unter der Besetzung so schwer gelitten und diese so bitter empfunden wie Holland, aus verschiedenen Gründen. Den Verlust der persönlichen Freiheit empfand man vielleicht noch schwerer als den des Reichtums. Eine uralte demokratische Tradition, der schweizerischen ähnlich, wurde hier unter der Herrschaft landfremder Vögte, die der eigenen Heimat entfremdet waren, ebenso mit Füßen getreten wie die nationale Ehre eines seit Jahrhunderten unabhängigen Volkes. Der Einbruch de‘s nationalsozialistischen Terrors bedeutete gerade in Holland weit mehr als eine bloß militärische Besetzung. Außerdem -tfar es, an der Luftlinie zwischen England und dem Rhein gelegen, gewaltigen Zerstörungen ausgesetzt. Blühende Städte, wie Nymwegen, Arnheim, Venio, verwandelten sich in Trümmerhaufen. Die üppigen Berichte vom wiederaufblühenden Holland, die in letzter Zeit Journalisten in die Welt gesetzt haben, sind Phantasieprodukte, selbst wenn Klischees aus der Vorkriegszeit Gegenwartsbilder vorzutäuschen suchen, Ebenso werden die heute noch bestehenden knappen Lebensmittelrationen durch Inserate von zahlreichen Exportartikeln in Schweizer Blattern nicht wettgemadit.

Dennoch sucht Holland neue Beweise völkerversöhnenden Geistes und humanitärer Nächstenliebe zu geben. Kürzlich sind Hunderte von österreichischen Kindern in wirtschaftlich bevorzugten Gegenden Hollands untergebracht worden und eben jetzt nach den Wiener Sängerknaben auch junge österreichische Schauspieler nach Holland gekommen.

Mit Unterstützung der österreichischen Gesandtschaft im Haag und der „Niederländisch- österreichischen Vereinigung“ unternahm das „Studio der Wiener Hochschulen“ das Wagnis, im April dieses Jahres in verschiedenen Städten Hollands aufzutreten. Nur dort, wo örtliche Empfangsvorbereitungen getroffen werden konnten, war eine Erfolgsmöglichkeit gewährleistet. Daher kamen zunächst die Städte Haag, Amsterdam, Delft, Utrecht, Nymwegen und Maastricht in Betracht. Haag und Amsterdam wählten aus dem reichen Spielplan ein modernes Stück, nämlich Bahrs „Kinder", während die übrigen Städte Goethes „Urfaust“ wünschten. Überall waren die Vorstellungen sehr gut besucht und wurden die Künstler, deren Leistung das Durchschnittsmaß von Darbietungen sonstiger Laienschauspieler überragte, mit einem bisweilen geradezu stürmischen Beifall belohnt.

Einen besonders großen Erfolg durften die Wiener Schauspielerstudenten in Nymwegen verzeichnen. Hier hatte man, d a das Gebäude des Spadttheaters nicht mehr besteht, den größten Versammlungsraum der Stadt (mit 1600 Sitzplätzen) für die Aufführung des „Urfaust" bestimmt, und gerade hier inmitten des ärgsten Trümmerfeldes, das der zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, erwies sich die Durchschlagskraft des Gebotenen im vollbesetzten Hause glänzend. Aus dem Haag war außer einem Vertreter des holländischen Unterrichtsministeriums auch der österreichische Gesandte erschienen.

Die junge Schar, die schließlich nach der Schweiz weiterreiste, konnte mit einem stolzen

Gefühl der Befriedigung auf ihr Gastspiel in den Niederlanden zurückblicken. Denn sie hatte den Bann gebrochen und als erste wieder Stücke in deutscher Sprache dem immer noch peinlichsten Erinnerungen ausgesetzten Hollind vorzutragen unternommen. Die Wiener Schausp elerstuden- ten legten für das ungebrochene Kulturschaffen Österreichs schönes Zeugnis ab und erweiterten damit ihre internationalen Beziehungen. Wenn sie wiederkommen, wird man sie als gute Freunde willkommen heißen. Selbst das Burgtheater wird jetzt an ein Gastspiel in den Niederlanden denken dürfen. Vielleicht bringen Wiener Schauspieler einmal auch ihren größten Dramatiker, Grillparzer, mit. Vor allem aber würde ein Stück aus der Tradition der Salzburger Festspiele wie „Jedermann“ auch in Holland stärkste Beachtung finden.

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