6583362-1951_30_11.jpg
Digital In Arbeit

Holland auf dem Weg zur kulturellen Einheit

Werbung
Werbung
Werbung

Amsterdam, Anfang Juli

Holland hat ein dramatisches Genie hervorgebracht, das sich in der Fläche des erschaubaren unbewegten Bildes erfüllte, dessen dramatische Tiefe durch den Einbruch des Lichts olfenbar wurde. Was Rembrandt erlebte und woran er schließlich scheiterte, wenn auch nur in diesem Leben, wiederholt sich in der Kunstgeschichte Hollands bis auf den heutigen Tag. Die Gesellschaft, vornehmlich im weltweiten Handel groß geworden, erachtet Kunst zuerst als Beiwerk, als Möglichkeit, den Erfolg in Handel und Wandel zu verherrlichen. Sie sei Verschönerung, kaum Anruf, das Sein zu vertiefen und seinen Sinn zu enträtseln.

Und dennoch begibt sich gerade innerhalb dieser, der künstlerischen Existenz im allgemeinen nicht gerade günstigen Sphäre, immer von neuem der Aufbruch schöpferischer Persönlichkeiten. Sie stehen mehr als anderswo tan Gegensatz zur Umwelt, die die Notwendigkeit ihrer Existenz nur schwer einsehen kann. Holland Ist das Volk der Individualitäten; Willem Pijper, der 1947 verstorbene bedeutende holländische Komponist, führte sein Leben lang den fast vergeblichen Kampf gegen die schismatisch veranlagte Natur der Niederlande:. Die Gegensätze innerhalb der Schaffensgebiete sind groß; die Entwicklung, die organische, war mehrfach unterbrochen — vor allem (ähnlich England) auf dem Gebiete der Musik —, und die verwirrende, heute besonders exponierte Vielfalt des Schaffens hat noch auf keinem Gebiet, selbst nicht auf dem der größten holländischen Kunstleistung, in der Malerei, in der Gegenwart jene Schwerpunkte gefunden, an denen sich sowohl das Schaffen selbst, wie das Interesse der Öffentlichkeit halten und orientieren könnte.

Im allgemeinen fühlt sich der schaffende Künstler hier vereinsamt. Die Klage darüber Ist groß. Die Behauptung, man tue in Holland nichts für die Kunst, ist jedoch zweifellos ungerecht und selbst wieder eine Folge der schismatischen Veranlagung des Holländers. Zwar sind auch in Holland die großen Mäzene, Kaufleute und Bankiers, denen vor allem zahlreiche Museen und deren überreiche Bestände zu danken sind, nahezu ausgestorben. Aber sowohl Land wie Städte bemühen sich, durch Kunstpreise, Stiftungen und nicht zuletzt Subventionen der Theater und Orchester, Schaffen und Kunstleben zu fördern. Dabei wurde bisher jeder mit einer öffentlichen Förderung verbundene Einfluß auf die Richtung des Schaffens streng vermieden. Die Kun6tliebe des zuständigen Ministers und seiner engsten Mitarbeiter ist bekannt. Aber auch in Holland hängt natürlich die staatliche Kunstförderung vom Finanzminister ab. Und Holland macht gerade in

diesen Tagen eine finanzielle Krise durch, die sich auch im Ausbleiben der Subventionen für Oper und Concertgebouw-Orchester ausdrückt. Gerade in diesen Tagen des Holland-Festival entstand deshalb eine heftige Diskussion in der Öffentlichkeit, der Bestand der nun fünf Jahre alten .Niederländischen Oper* schien gefährdet, die Umwandlung des C o n-certgebouw von einer privaten Gesellschaft in eine öffentlich geführte Organisation wurde gefordert Natürlich hat der Subventionsgeber das Recht, organisatorisch günstigere Situationen zu verlangen. So wurde mit der Bekanntgabe, daß die Subventionen gesichert seien, zum Beispiel auf dem Gebiet des Balletts ein Zusammschluß der drei verschiedenen künstlerischen Zielen dienenden holländischen Tanzgruppen verbunden; kein Zweifel, daß die Uberwindung des kulturellen Schisma in Holland ein Gebot der Stunde ist.

Andererseits sind die Versuche, die Bevölkerung am Kulturleben zu interessieren, außerordentlich zahlreich. Es gibt kaum ein zweites Land in Europa, in dessen Museen sich Ausstellungen verschiedenster Thematik derart jagen wie in Holland. Dabei wird die im holländischen Kulturleben überall heute spürbare Aufgeschlossenheit dem ausländischen Schaffen gegenüber nachgewiesen, wie zum Beispiel Ausstellungen deutscher Graphik oder moderner Kunst mit Picasso, Chi-rico, Campigli, Chagall, Bracque usw. beweisen. Für die holländische Tradition zeugt eindrucksvoll die Ausstellung der 60jährlgen Charley Toorop, die in ihrem Gemälde Drei Generationen“ ihr Selbstporträt zwischen die Porträts ihres Vaters Jan und ihres Sohnes, des Malers Fernhout, stellen konnte. Ein Kuriosum im holländischen Ausstellungswesen ist die reizvolle Schau „Fleur en Interieur* , im Prinzenhof zu Delft, auf geschichtlichem Boden also; denn hier ereilten Wilhelm von Nassau, den .Vater des Vaterlandes“, die Kugeln der Häscher. Es ist eine Schau der auch heute noch hochstehenden hollandischen Heimkultur, und Blumen färben symbolisch das modische Interieur der Gotik (Rose, Lilie), Renaissance (Akelei) und des 19. Jahrhunderts (Narzisse und andere).

Auch das Holland-Festival, das nun zum vierten Male seit dem Kriege stattfindet, hat die Wahrheit von der schismatischen Veranlagung des Holländers bewiesen. Die Bevölkerung bevorzugt deutlich das Konzert, während Schauspiel und noch mehr Oper, die freilich nirgendwo ohne Tradition gedeihen können, fast abseits liegen. Zwar kann Holland mit viel Recht 6ich als Geburtsland des .Jedermann“ bezeichnen. (Er heißt hier .Elckeilyc“, und seine alljährliche Aufführung auf dem schönen Marktplatz zu Delft gehört schon zur Tradition.) Aber zum Volks-

stück ist bis heute noch nicht das Welttheater übernationaler Prägung getreten. Es zeugt daher von großer Konsequenz, wenn man zu den ewigen Grundlagen abendländischen Dramas zurückfindet und mit Euripides .Iphigenie“, Glucks .Orfeo“ und schließlich auch Beethovens .Fidelio“ gewichtige Schwerpunkte setzt. Sie werden umringt von geschichtlichen und zeitgenössischen Forderungen. Benjamin Britten musiziert Purcells von ihm dramatisch verdichtete „Dido'-Oper, V. Gui bringt mit Verdis .Maskenball“ italienisches Brio in das holländische Opernensemble. Es gibt überraschend gute Stimmen, die jedoch, soweit jünger, allzu schnell an jroße Aufgaben herangeführt werden. Die natürliche Kulturbrücke, die Holland vom Kontinent zu den britischen Inseln bildet, wurde dieses Jahr besonders eindrucksvoll Richtung Frankreich beschritten. Man brachte Jean Francaix musikalisches Lustspiel „TApo-strophe“ nach Balzac, ein witziges Vaude-

villespiel mit viel Dialog und eingestreuten Liedern und Ensembles im Stile der opera comique neuzeitlicher Prägung, und ein Ballett von Serge Nigg, der neuerdings an die französische Romantik Cesar Francks anschließt, zur Uraufführung.

Aber Schwerpunkte des holländischen Kunstinteresses 6ind die Konzerte im Concertgebouw, mit dessen Orchester, in fünfzig Jahren von Willem Mengelberg groß gemacht, Rafael Kubelik Mahlers „Fünfte“ und Georg Szell Bruckners .Achte“ hervorragend musizierten, die alljährlichen „Matthäuspassionen“ im ganzen Land und die vielen Kirchenkonzerte der niederländischen Bach-Gesellschaft. Und nun ist da6 Holland-Festival zum größten Unternehmen eines kleinen Landes geworden, dessen Neigung, in Splittergruppen des kulturellen Schaffens und Interesses zu verfallen, zu überwinden. Es wird seine mehrfache Mittlerstellung noch ausbauen, noch gesamteuropäische! gestalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung