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Kennen wir de Falla?

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Den Haag, Anlang Juli Das alljährliche Holland-Festival hat auch dieses Jahr wieder bewiesen, daß es wohl möglich ist, im Zeitalter der überflüssigen Festspiele ein eigenes Gesicht zu wahren. Zwei gegensätzliche, sich jedoch jeweils zu einem eindrucksvollen Ganzen bindende Gedanken sind es, die nun schon seit Jahren in Holland programmatisch klug und in der Durchführung niveauvoll abgewandelt werden. Zum nationalen Besitz, der alten niederländischen A-cappella-Kunst und der hochstehenden Mahlerund Bruckner-Pflege des Concertgebouw-Orchesters als zentralen Gebieten, tritt nun schon seit Jahren jeweils das Werk eines bedeutenden ausländischen Komponisten, entweder eines Zeitgenossen übernationaler Bedeutung oder aber eines Musikers, dessen Schaffen noch fruchtbringend in unsere Tage hineinreicht. Daß auch die kulturellen Grenzen Hollands nach allen Windrichtungen weit geöffnet sind, bewies sein Festival einmal mit dem Hinweis auf das Gesamtoeuvre von Leos Janacek, ein andermal mit dem Hauptthema „Strawinsky, der 70jährige“, und in diesem Jahre waren es zwei Namen, die das eigentlich künstlerische Niveau bestimmten: Manuel de Falla und Alban Berg, dessen „Lulu“ in der bekannten Essener Inszenierung Hans Hartlebs mit Gustav König als ausgezeichnetem Dirigenten die Fachleute von weit her nach Holland rief.

Die Kernfrage: Kennen wir de Falla? wurde gleich am ersten Abend des vierwöchigen Festivals mit der Gegenüberstellung des zweiaktigen lyrischen Dramas „La vi da breve“ (1905; Uraufführung Nizza 1913) und des 1923 für die Fürstin Polignac geschriebenen Puppenspiels „E1 Retablo de Maese Pedro“ angeschnitten und mit den „Noches en los Jardines de Espana“ und einigen Liedern vollends gestellt. Aber die Gegenüberstellung der beiden Bühnenwerke blieb doch entscheidend. In ihrer kaum überbrückbaren stilistischen Spannung wurde die hohe Kunst-Ic'stung de Fallas offenbar, sein Weg vom volkstümlichen Lyrismus andalusischen Charakters zur kastilischen von Rittern und Mönchen belebten

Welt des Cervantes. Während uns Heutigen Im Gegensatz zur zeitgenössischen Meinung des Verlegers Ricordi (der „La vida breve“ ablehnte, weil sie zu wenig Verismus 1 la Leoncavallo besitze), das Frühwerk als noch zu stark dem italienisch-französichen Operngeschmack der Zeit (Massenet) verpflichtet erscheint, andererseits in der Tat als zu lyrisch-konzertant (Sonnenuntergang Ende des ersten Aktes) und zu sehr auch ballettartig erweitert, um als „Oper“ der Musikbühne erhalten bleiben zu können, berührt uns das streng stilisierte, trotz schwierigster szenischer Probleme übrigens durchaus bühnenwirksame Puppenspiel ungemein stark. Die gedankliche Konzentration der Musik, ihre starke Bildkraft, der ständige Wechsel von Bühne und Puppenspiel, dies alles, spielerisch gebunden durch den Ansager, der die Schwelle zum Irrealen besetzt hält, ohne darum zu wissen, ergibt eine lebensvolle Synthese sublimierter Stilisierung, die wie die Vision einer zukünftigen Kunstanschauung gewirkt haben muß.

Diese Zukunft ist heute Gegenwart geworden, und die künstlerische Realisierung des Puppenspiels fällt, ob gewollt oder nicht, dem Film und noch mehr dem Fernsehen gleichsam in den Schoß. Denn das bewies die ausgezeichnete holländische Aufführung: „El Retablo“ gehört nicht auf die Opernbühne, es ist auch nicht für ein anonymes Opernpublikum geschrieben. Es ist ein aristokratisches Kunstwerk, wie alle große Musik de Fallas, es ist auch moderne Kammermusik, wie kaum eine andere unserer Zeit, und es scheint, als ob ihre feinnervige Schönheit sich erst abseits der großen Welt, in den eigenen vier Wänden ganz mitteilen wird.

Kennen wir de Falla? Wir erleben immer wieder Ausschnitte aus seinem Schaffen, aber sie haben sich noch nie zu einem Ganzen gefügt. Holland machte einen glücklichen Anfang. Und es müßte einmal möglich sein, die ganze Spannweite dieses einzigartigen Künstlers erleben zu können, wie sie sich nur an wesentlichen Stationen seiner Entwicklung ablesen läßt.

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