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Romanische Meister

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Immer wieder gilt es, unsere vorgefaßte Meinung und gewisse Begriffe zu prüfen, zu ergänzen und zu erweitern. Die landläufige Vorstellung von der italienischen Musik wird vorzüglich durch Wesenszüge der Werke Verdis, Rossinis, Puccinis und einiger anderer Veristcn bestimmt. Aber es gibt noch eine andere „italianitä“, die sich in der Tonkunst ebenso ausprägt, wie auf dem Gebiete der Diditkunst; in den strengeren Zügen eines Dante oder Manzoni — frei von jeder Romantik und Sentimentalität. Hieher gehören neben den zeitgenössischen Komponisten Busoni, Malipiero und andere auch die älteren Meister Geminiani, Vitali und Vivaldi. „Instrumentalmusik ist nicht dazu da, um das Ohr zu erfreuen, sondern Empfindungen und Gemütsbewegungen auszudrücken und Leidenschaften darzustellen“, schrieb der ScarlatttSchüler Francesco Geminiani, der, mit Händel befreundet, wie dieser in England wirkte und starb. Auch seine zwölf Concerti grossi weisen auf Händeis Nähe und sind Zeugnisse hoher Meisterschaft und einer ernsten Kunstauffassung. Mit einem Werk von Ildebrando Pizetti (geboren 1880) führte uns der italienische Meisterdirigent Carlo Zecchi, Rom, in die jüngste Vergangenheit. Die zu einer Suite zusammengestellten drei Orchesterstücke entstammen einer Bühnenmusik zu d'Annunzios Drama „La P i s a n e 11 a“, das 1913 in Paris uraufgeführt wurde. Die Tonsprache des Werkes, dessen letzter Satz den Titel trägt „La danse de l'amour et de la mort parfumc-e“, ist die des epigonalen Impressionismus, der geistige Gehalt der einer überwundenen Rausch- und Reizkunst, die uns heute nicht mehr viel zu sagen hat. Die in orientalischen Farben glühende Melodik brachte Zecchi jedoch so wirkungsvoll zur Geltung, daß man über die Schwächen des Werkes gern hinweghörte und sich dem melodisch-harmonischen Zauber dieser Partitur überließ. Als unübertrefflicher Meister des Impressionismus erwies sich wieder einmal Maurice Ravel in seiner Suite „Le tombeau de Couperi n“, einer liebevollen Huldigung eines modernen Meisters für das Genie und Werk des großen Claveci-nisten. Selten hatte man Gelegenheit, eine so subtile, klangschöne und tänzerisch beschwingte Aufführung dieses Werkes zu hören, wie sie Zecchi mit den Symphonikern bot — Wir kennen den Typus des genialen, draufgängerischen und mitreißenden Dirigenten — bei dessen Darbietungen man allerdings oft in Sorge ist, ob nicht er selbst, das Orchester oder gar die Musik zu Schaden kommen. Zecchis Interpretation ist gekennzeichnet durdi die Liebe und Wärme, mit welcher er dem Kunstwerk naht und die auch auf die Ausführenden und Hörer ausstrahlt: ein neuer, uns bisher wenig bekannter Typus des Dirigenten, den wir freudig begrüßen!

Ihre Lebendigkeit und außerordentliche Assimilationskraft erwiesen 'die romanischen Musikformen auch in der Neuen Welt, in Latein-Amerika. Parallel zur historischen Entwicklung gestaltete sich in den südamerikanischen Republiken auch das %A icksal der Musik. Vor 1492 blüht die indianische Musik der Inkas. In der Kolonialzeit, etwa bis 1810, wird die einheimische Kultur fast vollständig zerstört und auch die Musik verdrängt. In den nächsten hundert Jahren ist eine unbestrittene Vorherrsdiaft der italienischen Oper festzustellen, und erst gegen Ende des ersten Weltkrieges wird eine national-* argent.nisdie Oper in spanisdier Sprache aufgeführt. Die neue Musikbewegung während der letzten dreißig Jahre knüpft bewußt an die einheimische Folklore an, so daß von einer Renaissance — im eigentlichen Sinne des Wortes — der Inka-Musik gesprochen werden kann. Gleichzeitig vollzieht sich, besonders deutlieh in Argentinien und Brasilien, eine Verschmelzung aller aus Europa importierten Musikelemente, seien sie skandinavischen, romanischen oder slawischen Ursprungs. In den Tanzformen dominiert das spanische Element, welches ja seinerseits wieder einen starken orientalischen, und zwar maurischen Einschlag aufweist. Mitbestimmt aber wird diese vielfältige Mischung durch die auto-chthone indianische Folklore, die den neuen Werken ihre besondere harmonische und klangliche Färbung verleiht Auf die Melodien europäischen, insbesondere spanischen und italicnisdien Ursprungs, wirkt die Pentatonik — ohne daß es bisher freilich zu einer deutlich sichtbaren Synthese aller dieser Elemente, also einem latein amerikanischen Musikstil, gekommen wäre. Vorderhand sind nur einzelne charakteristische Wendungen festzustellen, die als spezifisch argentinisch, brasilianisch oder kubanisch (dessen Musik einen stark negroiden Einschlag zeigt) anzusprechen sind.

Proben symphonischer Musik aus Südamerika vermittelte uns — als europäische Erstaufführungen — dei nach fast zehnjähriger Abwesenheit zu einem Besuch in seiner Heimatstadt weilende Dirigent und Komponist Kurt Pahlen, der gegenwärtige Leiter der Filarmomca-Metropoütana von Buenos Aires und Dirigent des philhar-monisdien Orchesters von Ro.-a.-io. Mit dem außerordentlichen Aufschwung, den das Musik leben besonders in den größeren südamerikanischen Städten genommen hat, scheinen die einheimischen Komponisten vorläufig noch nicht ganz Schritt zu halten. In der „Dritten argentinischen Suite für Streichorchester“ des 85jährigen Komponisten Alberto Williams, einer etwas akademisch-trockenen Arbeit, suchen wir vergeblich nach spezifisch argen-tinisdien Zügen. Aufschlußreicher ist die indianische Legende „Imbapara“ von O. L. Fernandez, ein großangelegtes, modern instrumentiertes Tongemälde, in welchem sowohl die spanische als auch die indianische Korn ponente deutlich zu spüren sind. Ein sakraler Tanz, in gemessenem Viervierteltakt — zu dumpf dröhnen den Vierteln der Pauken, des Gongs und der kontrapässe eine mono tone pentatoivsche ' Bläsermelodie — gab uns eine suggestive Vorstellung von diesem fernen Erdteil und seiner eigentümlichen Kunst.

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