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Sokratisches aus Frankreich — Brasilianische Folklore

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Unter dem Eindruck von Debussys Tod während des Bombardements von Paris schrieb Erik S a t i e (geb. 1866) das symphonische Drama „Socrate“, eines der meistzitierten und unbekanntesten Werke der neuen Musik. Die drei Sätze auf Texte, die den platonischen Dialogen (Gastmahl, Phädrus und Phädon) entnommen sind, wurden erst 1920 uraufgeführt und stehen — trotz der kleinen Besetzung für vier Soprane, acht Bläser, Harfe, Pauken und kleines Streichorchester — nur selten auf den Programmen öffentlicher Konzerte. Saties Sprache ist klar, einfach und herb. Das klassische Prinzip der Sparsamkeit ist so konsequent verwirklicht, wie in kaum einem anderen Werk aus dieser Sphäre. Die ornamentale Linie der Singstimmen gleicht der klassischen Architektur, die Harmonik weist in die Frühzeit abendländischer Polyphonie. „Kahl wie der Boden Attikas, kreidig wie ein herber Wein, der nach dem Felsen schmeckt“, schrieb ein Landsmann des Komponisten. Trotzdem spiegelt und vermittelt diese Musik echte Ergriffenheit. Freilich auf eine besondere Art, indem die ernstesten Dinge auf fast heitere Weise dargestellt werden. Das ist eine sehr sokratische — und eine französische Eigenart, die von dem Gefühl bestimmt wird, daß gegenüber der Ewigkeit Pathos, Leidenschaft und „Ausdruck“ nur Oberflächengekräusel sind. (Wir danken die erste Begegnung mit diesem Werk in Wien dem Institut FranCais und Prof. Espiau de La Maestre, der es vorzüglich kommentierte.)

Auch das 3. Chor-Orchesterkonzert in dem von der Ravag und der Gesellschaft der Musikfreunde gemeinsam veranstalteten Zyklus „Musik der Gegenwart“ vermittelte uns eine neue Bekanntschaft, wenn auch kein gerade „neues“ Werk: der „4 7. P s a 1 m“ von F1 o r e n t Schmitt (Jahrgang 1870) wurde bereits 1904 in Rom geschrieben. Dem zyklopischen Werk haftete in Frankreich lange Zeit das Odium der Un-aufführbarkeit an, da seine Wirkung auf die Ausführenden erschöpfend, auf die Zuhörer „niederschmetternd“ sei. In der Tat: eine Art Ueber-Barock im rhythmischen Donner des „Frappez des Mains! Nations, chantez la Gloire de Dieu par des cris d'une sainte allegresse!“, der plötzlich abgelöst wird von einem sphärischen Sopransolo zur Begleitung von Harfen, Flöten und zartfarbigen Orgelakkorden. (Unter der Leitung Herbert von Karajans sangen Teresa Stich-Randall und der Singverein.) — Am Anfang des Programms stand Honeggers 1942 geschriebene Streichersymphonie mit dem Trompetenchoral im letzten Satz, ein düsteres, grüblerisches Werk, in depressiver Stimmung geschrieben und auch den Hörer bedrückend. „Meine Musik ist in keinem Sinne ,reine' Musik, ich habe einen Abscheu vor dem .Abstrakten', dem sich gewisse zeitgenössische Musiker seit etwa 20 Jahren verschrieben haben und das doch nur Abwesenheit der Persönlichkeit zeigt.“ Das hätte man sich bei der Aufführung mehr zu Herzen nehmen sollen, die ohne Spannung und Intensität war und kaum eine richtige Vorstellung des Werkes vermitteln konnte. — Ueber das künstlerisch undiskutable Klavierkonzert von Kurt Leimer sich zu äußern, fühlt sich der Referent nicht bemüßigt, da durch dessen Aufführung der Komponist, „der sich um die Tournee der Wiener Symphoniker durch Deutschland verdient gemacht hat, ausgezeichnet werden sollte“, wie es in einer Pressemitteilung der Veranstalter heißt.

In einem Rot-Weiß-Rot-Konzert der Wiener Philharmoniker stellte sich als Komponist und Dirigent Heitor Villa-Lobos vor, einer der produktivsten Gegenwartskomponisten und repräsentativer Musiker seines Heimatlandes Brasilien. Von seinen acht Symphonien hörten wir die sechste, von den 16 „Choros“ — suitenartigen Kompositionen für verschiedenste Besetzung — Nummer sechs für großes Orchester. Eine reiche, farbige Folklore liefert diesem Vollblutmusiker, direkt und indirekt, das Material, das weiträumige Land spiegelt sich in den Großformen und monumentalen Wirkungen, die er erzielt. Die Brücke zur europäischen Musikkultur schlagen seine eigenartigen „Bachianas Brasileiras“ und die französische impressionistische Schule, als deren gelehriger Adept sich Vilfa-Lobos erweist

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