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Manuel de Falla

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Vor einiger Zeit ging die Nachricht vom Tode Manuel de Fallas, Spaniens bedeutendstem zeitgenössischen Komponisten, durch die Weltpresse. Er starb in Cordoba, in Argentinien, wo er drei Monate nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges liebevolle Aufnahme und Ruhe für seinen todkranken Körper gefunden hatte. Nordamerika hatte ihn oft eingeladen. Als er sich endlich entschloß, sein geliebtes Heim in Granada zu verlassen, wählte er Argentinien, wo er in dem Dirigenten und Komponisten Juan Jose Castro einen warmen Freund wußte. Am 23. November 1946 sollte er 70 Jahre alt werden, doch sind die Feiern, die man für dieses Ereignis vorbereitete, zu Totenehrungen geworden.

Manuel de Falla, dessen Persönlichkeit im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zu einem Begriff in der „Neuen Musik“ geworden ist, hatte einen schweren Weg bis zu seiner allgemeinen Anerkennung zurückzulegen. Nachdem es ihm nicht gelungen war, sich in seiner spanischen Heimat durchzusetzen, erlebte er erst mit 39 Jahren die erste Aufführung eines größeren Werkes im Ausland —, der Oper „La vida breve“ — und erst mit 43 Jahren begann er in London mit seinem Ballett „Der Dreispitz“ vor die breite Weltöffentlichkeit zu treten. Im darauffolgenden Jahrzehnt folgte dann ein äußerst glückhafter .Aufstieg, der zugleich seine künstlerische Position im internationalen Musikleben festigte. Doch während bedeutendstem Komponisten ihm die erste Oper, seine Ballette und (die symphonischen Impressionen Weltruhm einbrachten, entwickelte sich in der Abgeschiedenheit seines Heims in Granada ein vollkommen neuer, unbekannter de Falla, der sich als solcher erst wieder eine neue, breite Hörergemeinde erringen mußte. Damit zerfällt sein Schaffen in zwei vollkommen getrennte Stilperioden; in der ersten finden wir die impressionistischen, von vitaler rhythmischer Kraft und aus der andalusischen Folklore gespeisten Werke, in der zweiten dagegen jene, die zu einer entsinnliditen Klangsphäre führen und ein polyphones und lineares Satzgefüge prägen.

Die musikalische Hinterlassenschaft des Meisters ist nicht reich an Werken. Doch sparsam wie er komponierte, sind sie frei von allem Dekorativen und Unwesentlichen.

Betrachten wir den künstlerischen Werdegang de Fallas, dann fällt uns an ihrem Beginn sofort eine Gemeinsamkeit mit anderen Komponisten seiner spanischen Heimat auf: seine starke Blickrichtung nach Frankreich. Die Meister des französischen Impressionismus waren es, die ihn nach der Seinestadt lockten, und diese Berührung drückt auch seiner ersten, bedeutsam gewordenen Schaffensperiode ein starkes Gepräge auf. De Falla war aber vor allem Spanier — die Lieder seiner andalusischen Heimat klingen seit frühester Kindheit in seiner Seele —, und so wächst seine Musik trotz der Einflüsse der französischen Sezessionisten ganz aus dem Boden der spanischen Volksmusik. Er hat aber die Folklore nie kopiert, sondern nur befruchtende Anregung aus ihr geschöpft und so einen höchst persönlichen Stil geschaffen, der in seinen populären Werken den Zauber der andalusischen Urmelodie mit ihren oft an die Gregorianik gemahnenden Klangbildern in die Sphäre der Kunstmusik erhebt. Und anders als in den Werken der drei großen Impressionisten ist in diesen Kompositionen die Stellung des Rhythmischen verankert. Spontan und mit einer vitalen Fülle, die zeitweise an die russische Musik erinnert, entlädt sich in de Falks Schöpfungen der'Rhythmus. Seine Ballette sind hiefür der schlagendste Beweis und der „Feuertanz“ aus „Amor brujo“ und die „Faruca“ aus dem „Dreispitz“ sind daraus wieder Beispiele, die ganz besonders charakteristisch hervorleuchten. So verleiht der Rhythmus diesen Werken eine Wucht, die mit den subtilen Klangreizen seiner Orchesterpalette eine bemerkenswerte Kontrastwirkung erreicht.

De Fallas Studienzeit fiel in einen bewegten Abschnitt spanischen Musiklebens. Die heftig geführte Polemik um ein neues Kunstideal mußte auch bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Den Kompositionsversuchen der Studienzeit folgt sein erstes ernstes Werk: die Oper „Lavidabrev e“, nach dem Text von Carlos Fernändez Shaw: sie bringt dem Dreißigjährigen den ersten Preis der „Academia de Bellas Artes“. Trotz dieser ehrenvollen Auszeichnung wird die, Oper erst im Jahre 1913 in Nizza und ein Jahr später in Paris aufgeführt. Sie war ein großer künstlerischer Erfolg und machte sein künstlerisches Schaffen erstmals im Ausland bekannt.

Obwohl die tragische Liebesgeschichte dieser Oper stark in der Sphäre des Verismus wandelt, verlieh ihr der Musiker de Falla Züge, die mit dem italienischen Naturalismus keine Gemeinsamkeit aufweisen. Ihr Grundton zeigt den Kontrast zwischen dem trostlosen Vorstadtmilieu und der rauschenden Lebensfreude der begüterten Schicht. Wenn auch leise Anklänge an die Tristanharmonik spürbar sind, herrscht doch das Klangkolorit des Impressionismus vor. Die Melodik schöpft teilweise aus der andalusischen Folklore, doch de Fallas Meisterhand vereint all diese heterogenen Elemente zu einem durchaus persönlichen Stil.

Im Jahre 1907 endlict. erfüllt sich sein sehnlicher Wunsch: Paris. Doch wurde aus einem nur auf Wochen berechneten Besuch ein siebenjähriger Studien- und Schaffensaufenthalt. Wirtschaftlich stand seine erste Pariser Zeit unter keinem günstigen Stern, er mußte sich seinen Lebensunterhalt kümmerlich als unbekannter Musiklehrer verdienen. Im Laufe der Jahre jedoch erwirbt er sich die Freundschaft Debussys, Ravel s und D u k a s, der drei Hauptvertreter des französischen Impressionismus, die ja auch für sein künstlerisches Schaffen bedeutungsvoll wurden. Nach sieben fruchtbaren Jahren in der „Ville lumiere“ kehrte de Falla 1914 in seine spanische Heimat zurück, um sich in Granada ganz seinem Schaffen zu widmen. Ein Jahr später bringt Madrid zwei neue Schöpfungen des Gereiften zur Uraufführung: die symphonischen Impressionen für Klavier und Orchester mit Jose Cublies als Solisten, und sein erstes Ballett „El amor brujo“ (Liebeszauber).

Doch fast ein Jahrzehnt sollte vergehen,' ehe de Fallas Name im internationalen Musikleben Gewicht erhielt. Nach der glanzvollen Uraufführung der Tanzpantomime „El sombrero de los tres picos“ (Dreispitz) im Londoner Alhambra-Theater im Jahre 1919 trägt das Diaghilew-Ballett dieses Werk durch die Welt. Es stellt einen Höhepunkt , im Schaffen de Fallas dar und vereint die Urkraft andalusischer Volksmusik mit dem Raffinement modern-europäischer Kompositions- und Orchestertechnik zu sinnvoller Synthese.

Die Werke jedoch, die Manuel de Falla nach den Welterfolgen seiner Ballette der Musikwelt schenkte, zeigen eine neue, bisher unbekannte Art des Meisters und bedeuten bald eine vollkommene Abkehr vom impressionistisch gefärbten andalusischen Stil. Mit der Klavierkomposition „Fantasia baetica“ und dem Gitarren-Solostück „Homenaje a Debussy“ ist sie eingeleitet worden. Ein weiterer Schritt auf diesem Wege ist das in jeder Beziehung eigenwillige Werk „El retablo del maese Pedro“ (Meister Pedros Puppenspiele), das eine Episode aus Cervantes „Don Quichotte“ bringt, und seine Uraufführung im Jahre 1923 auf der Hausbühne der Prinzessin de Poügnac in Paris erlebte. Ein weiterer, entschiedener Schritt in dieser Richtung ist de Fallas „Kammerkonzert für Clavicembalo, Flöte Klarinette, Violine und Violoncell“, das eine herbe, fast asketische Tonsprache führt und durch den Verzicht auf andalusische Exotik auch in der Anwendung folkloristischer Mittel einen neuen de Falla zeigt. Und so folgt de Falla mit diesen Werken dem Weg, der für die Entwicklung der neuen Musik symptomatisch ist: die Anknüpfung an die vorklassische Polyphonie. Damit rückt der spanische Meister bewußt vom sinnlich beschwingten Klangbild des Impressionismus ab und wendet sich einer Musik zu, die einen erjtsinnlichten, absolut musikalischen Gehalt erstrebt. Diese Entwicklung fügt sich dem organischen Gehalt einer Entwicklung ein, die von der Außenwelt ins Innere weist und Sinne und Empfindungen in metaphysische Bezirke führt.

Dieser neue de Falla des „Kammerkonzerts“ hat im internationalem Musikleben den Meister der klangsprühenden und von vitaler rhythmischer Kraft durchpulsten Ballette noch nicht zu verdrängen vermocht, und so weiß die Mehrzahl der Opernbesucher nichts von der Stilwandlung, die die Werke seiner zweiten Schaffensperiode kennzeichnen. Als musikalischen Nadilaß schenkte er der Welt seine große Kantate für Soli, Chor und Orchester, „Atläntida“, zum katalanischen Text von Jacinto Ver-daguer komponiert. Die musikalische Welt erwartet mit Interesse dieses Werk. Sein Stilgepräge ist uns noch unbekannt, und so wissen wir nicht, welche Überraschung uns der große spanische Meister damit bereitet hat.

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