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Franzosische Mysterienoper in Munchen

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Uraufführung von Henri Tomasi „Don Juan de Manara“

Immer wieder bezeugt München, daß es unter den deutschen Städten dem französischen Geist gegenüber besonders offensteht. Es mag die geschmeidigere Geistigkeit dieser Stadt gewesen sein, die vor einigen Jahren Jean Cocteau begeisterte und dazu bewog, erstmals ein Bühnenwerk zur Uraufführung außer Landes zu geben. Sein Ballett „Die Dame und das Einhorn“ erlebte ihre Uraufführung in der Bayrischen Staatsoperette. Der universitäre Geist der Stadt wiederum führte vor kurzem bereits zum zweiten Male die Professorenschaft der Münchner Universität mit dem Lehrkörper der Pariser Sorbonne zusammen, um feierlich eine Demonstration abendländischer Geistigkeit zu geben. Die Katholizität Münchens wiederum mag der Grund für die Uraufführung der Mysterienoper „Don Juan de Manara“ von dem südfranzösischen Komponisten Henri Tomasi gewesen sein. Tomasi, Schüler von Paul Dukas und Vincent d'Indy, ist bisher in Deutschland kaum bekannt gewesen. Sein Schaffen galt vor allem dem Ballett, der Kammermusik und der Symphonik.

Die Mysterienoper „Don Juan de Manara“ darf aber zweifellos als Tomasis bisheriges Hauptwerk angesprochen werden. Zwei Jahrzehnte lang hat ihn diese Arbeit beschäftigt. Es begann in den zwanziger Jahren mit dem Auftrag einer musikalischen Umrahmung für die Hörspielfassung des Schauspiels, welches der litauische Emigrant und Dichter Oscar Vladislas de Lubicz Milosz über jenen spanischen Grafen Miguel de Manara aus dem 17. Jahrhundert geschrieben hatte, der sich als ein zweiter Don Juan fühlte, dann aber die Schalheit seines Lebens erkannte und ins Kloster ging, um sich der Not der Armen .und Sträflinge anzunehmen. Doch Henri Tomasi, fasziniert von dieser einfachen und eindringlichen Fabel Milosz', ließ der Gedanke an ein großes ■Musikalisches Drama um den spanischen Mönch seitdem nicht mehr los. Aus der Hörspielmusik wurde eine Suite, und Ende des zweiten Weltkrieges nahm der Plan einer großen Mysterienoper feste Formen an. Mit kleinen Veränderungen übernahm er die Dichtung von Milosz. Wie Claudel im „Seidenen Schuh“ schwebte auch ihm in der Form eine Anlehnung an das spanische Barocktheater vor. Während indes. Claudel die Vielfigurigkeit eines Welttheaters anstrebte, hat Tomasi noch bewußter die Strenge und Einfachheit des spanischen Auto Sacramentale wiederzugeben versucht. Das Geschehen ist auf eine höchst eindringliche Weise vereinfacht und durch symbolhafte Bilder zum Gleichnis erhoben. Da entlädt sich auf der Bühne keine äußere Dramatik. Eher lebenden Bildern sind die einzelnen Szenen zu vergleichen, Svenen übrigens, in welchen sich auf eine seltsame Weise die strenge Repräsentativst des panischen Barocks mit lyrischen Elementen und die tlnerbittlichkeit der moralischen und religiösen Prinzipien Jener Zeit mit beinahe romantischen Gemütsäußerungen verbinden. Zu gewaltigen musikalischen Akzenten erhebt sich Tomasi in den entscheidenden Momenten des Mysteriums: im Augenblick der Selbsterkenntnis sündhaften Lebens, bei der Klage um jene Geliebte, die — als erste Frau — in Miguel de Manara eine reine Liebe erweckte, weiter bei der Wundertat, die er als Mönch an einem von der Umwelt gehetzten Galeerensträfling vollzog, und schließlich in der Versuchungsszene im Schlußbild, als kurz vor seinem Tode noch einmal der Geist der Erde seiner habhaft zu werden sucht. Ueberraschend, aber doch feinfühlig empfunden ist nach diesem oft zu gewaltiger Kraft und Bildstärke entfalteten Mysterium' das stille Verlöschen der Musik in der Sterbestunde des Mönches. Fragt man nach den Vorbildern der Musik Tomasis, so findet man Anklänge an Milhaud und an die „Six“, gelegentlich denkt man an Auric; denn wie dieser versteht Tomasi in seinen lyrischen Partien vorzüglich die Geschmeidigkeit eingängiger Melodien durch aparte Instrumentation dem Vergleich mit der Konvention zu entziehen, dann aber findet man in der Verwendung langanhaltender rhythmischer Ostinati wieder Klänge, die an Strawinsky, ja einmal sogar an Orff erinnern. Doch darf man keinesfalls von Entlehnungen sprechen, es sind vielmehr nur Reminiszenzen in einem Werk von eigener skalenreicher Tonsprache.

Die Münchner Uraufführung lag in den Händen Rudolf Hartmanns, des Intendanten der Bayerischen Staatsoper, und Andre Cluytens', der als Gast aus Paris den Stab führte. Cluytens hatte sich die Partitur von ihren eleganten Lyrismen bis zu den kraftvollen Apotheosen vortrefflich zu eigen gemacht. Großartig neben der musikalischen Leistung die mächtigen, an Bilder von El Greco erinnernden Szenerien von Helmut Jürgens, die von den tiefdüsteren Bildern der Gründonnerstagsprozession bis zur hellen Stilszenerie der dezenten Liebesbegegnung Miguels sauber abgestuft waren und gelegentlich den Charakter des Kultischen erreichten. Das Gleichnis gleichsam als machtvolle Demonstration der Gottesmacht herauszustellen, war in diesen Szenenbildem Rudolf Hartmann großartig gelungen. Strengste mimische Disziplin, ja oft bewußte Hinwendung zum „lebenden Bild“ und eine schwere, manchmal meines Wissens durchaus neue Symbolik sind die Wesenszüge dieser Inszenierung, die entscheidend zum Erfolg des neuen Werkes beitrugen. Das Münchner Publikum rief den anwesenden Komponisten, die Solisten, unter ihnen vor allem Bernd Aldenhoff als Titeldarsteller, und die Leiter der Aufführung immer wieder begeistert an die Rampe. München hat damit seit langem wieder einmal die Uraufführung eines gewichtigen Opernwerks erlebt.

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