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VARIATIONEN ÜBER DONJUAN

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Wie kühn der Griff Mozarts und Da Pontes nach dem Stoff des Burlador de Sevilla war, erhellt eine Bemerkung Goldonis in dessen Memoiren aus dem Jahre 1787: Jedermann kenne dieses schlechte spanische Stück, das die Italiener II convitato di pietra und die Franzosen Le festin de pierre nennen. Er habe es in Italien immer mit Abscheu gesehen und könne nicht begreifen, daß sich das Stück so lange halte und die Leute in Scharen anziehe und wtie es das Entzücken eines zivilisierten Landes sein mochte. Was Goldoni freilich nicht hinderte, es selbst zu bearbeiten. In der Tat war dieser Stoff auch Speise für den Theaterpöbel: die Lust an der kühnen Frivolität eines Herrenmenschen, die Feigheit und Faulheit seines Dieners, die verschiedenartigen Reaktionen der weiblichen Opfer und schließlich der Theatereffekt der Höllenfahrt. So fühlt sich noch Giovanni Bertaiti, Da Pontes unmittelbarer Vorgänger, verpflichtet, dem von Giuseppe Gazzaniga vertonten Capriccio drammatico gewissermaßen als. Entschuldigung eine Einleitung voranzustellen: die Geschäfte gehen schlecht, und da schlägt der Impresario eben vor, das bekannte und beliebte Zugstück auf die Bretter zu bringen

Ursprünglich handelte es sich aber um einen „moralischen“, man kann sogar sagen, religiösen Stoff, in dem das mittelalterliche Motiv der Einladung an einen Toten mit dem barocken des ungezügelten Lebensgenusses verbunden war. Und in Spanien, der Heimat des „Spötters“, sah man dessen Leben durchaus vom schrecklichen Ende her. Zu so groß-

artiger Kühnheit und infernalischer Frivolität Meß man den Helden emporwachsen, daß die irdische Gerechtigkeit nicht mehr mit ihm fertig wurde und die himmlische rächend eingreifen mußte. Dies war das Stück, das 1630 zum erstenmal gedruckt wurde und unter dem Namen des Tirso de Molina erschien. (Heute neigt man dazu, es Calderón zuzuschreiben.) Dann gab es Bearbeitungen, die vea allem durch Vermehrung der burlesken Szenen um die Dienerfigur den Stoff verharmlosen. So wanderte es durch das Théâtre de la Foire, wurde in Frankreich von Molière als Sittenbild und später als Vaudeville verbreitet, in England zur Burleske mißbraucht und in Italien als Opèrnstoff benützt. In der Zeit, als Mozart nach ihm griff, gab es eine venezianische und zwei neapolitanische Don-Juan-Opern, Eine davon, das Capriccio drammatico von Bertati- Gazzaniga, wurde Da Pontes Vorlage.

Da Pontes Überlegenheit zeigte sich in fast jedem Satz, den er neu schrieb. Doch hatte er vor allem das Formproblem zu lösen und einen rasch dem Ende zustrebenden Einakter zu einem „abendfüllenden“ Libretto auszugestalten. Positiv löste er diese Aufgabe im Finale des ersten Aktes, während die Anfangsszenen des zweiten mit retardierenden Motiven bestritten werden. Die zehn Personen Bertatis werden durch Ausscheiden der Donna Ximena und des Koches Lanterna auf acht reduziert. Donna Anna, die bei Bertati nach dem Tod des Vaters im Kloster verschwindet, wird zur Hauptfigur und Gegeœpielerin Don Juans. Ihre „Funktion“ wird ebenso stark verändert wie die der Donna Elvira als Gattin und Warnerin. In der Gestaltung der Schlußszene zeigt sich Da Pontes Meisterschaft ebenso wie im Impetus der vier Anfangsszenen, die, verkürzt und konzentriert, der Handlung gewissermaßen Fallgeschwindigkeit verleihen.

Die Frage nach dem Kern, nach dem Wesen, dem Charakter Don Juans wollen wir zu beantworten versuchen, indem wir an Hand späterer Bearbeitungen und Umdichtungen erläutern, was er (und seine Gegenspieler) nicht waren. „MeinDon Juan“, sagt zum Beispiel Lenau, „darf kein den Weibern ewig nachjagender, heißblütiger Mensch sein. Es ist die Sehnsucht in ihm, ein Weib zu finden, welches ihm das inkarnierte Weibtum ist und ihn alle Weiber der Erde, die er denn doch nicht als Individuum besitzen kann, in die-

ser einen genießen macht.“ Also nicht mehr einer, der aus Enttäuschung sein Streben nach dem Höheren aufgegeben hat, sondern ein Sucher sein Leben lang. — Grabbe verbindet Don Juan mit der Faustgestalt und zeigt, wie der Suchende der Sinne und des Geistes Opfer des Bösen wird. A. K. Tolstoj zeigt ihn auf dem Weg zur Erlösung, beim älteren Dumas geht er in sich und büßt sein sündiges Leben, Byron erklärt seinen Charakter durch die in seiner Jugend empfangenen negativen Eindrücke: eine zu strenge Mutter, die Verführung des jungen Don Juan durch eine ältere Frau u. a. — E. T. A. Hoffmann entfernt sich, exaltiert-genial und phantastisch, am weitesten vom Kern des Stoffes, indem er Donna Anna „deutet“ ( das Feuer einer übermenschlichen Sinnlichkeit durchströmte ihr Innerstes Nur er, Don Juan, konnte den wollüstigen Wahnsinn in ihr entzünden“; sie war dazu bestimmt, ¿die ihm innewohnende göttliche Natur erkennen zu lassen“.) So und auf noch andere Weise, bis herauf zu Shaw und Sternheim, wurden Don Juan und seine Gegenspieler „umfunktioniert“. Versuchen wir, ihren Kern zu erkennen.

In einer Studie über die Don-Juan-Gestalt hat Otto Rank darauf hingewiesen, daß der jBurtador alles andere ist als ein erfolgreicher Abenteurer und Glücksritter. Sein Glück existiert nur in der Phantasie des Zuschauers. Zu Doq_Juan gehört — untrennbar von ihm auch auf der BühigÉ0P sein „böses Gewissen“ oder, mit positivem Vorzeichen Wersehen, sein „Ich-Ideal“, der komische Held Leporello. Er istt auch Freund und Vertrauter, vielmehr aber ein feiger, ängstMcher, unfreiwilliger, nur auf seinen Vorteil bedachter Begleiter. Er verkörpert die Kritik, die Angst, das Gewissen des Helden. Und es bedarf nicht des Hinweises auf den wiederholten Rollentausch zwischen Don Juan und Leporello, auch nicht der Parallelen zu Faust—Mephisto, Don Quichote und San- cho Panza, des Morgenlandfahrers und seines Bundesbruders Leo (bei Hermann Hesse), um zu erkennen: diese zwei sind eins. Aber auf dem entscheidenden tragischen Höhepunkt, in der Kirchhofszene, die den Zusammenbruch Don Juans einleitet, wird die komische Figur des Leporello, welche die Forderungen des Ich-Ideals in spöttischer Weise abtun soll, abgelöst von einem weit mächtigeren Repräsentanten des Ich-Ideals, nämlich dem Schuldbewußtsein, in dessen Darstellung im Standbild des Komturs wir unschwer eine direkte Vater-Imago erkennen. Hier tritt ein beim Burlador, bei Molière, Zorilla und anderen Autoren verkommendes Motiv zutage: die Empörung des Helden gegen den Vater (die bei Holteii sogar zum Vatermord führt) als den Repräsentanten der obersten Autorität. Er ist gewissermaßen die Personifikation des Gewissensbisses, der Vergeltungsangst und der rächenden Gerechtigkeit. Daher der Schauer, der uns packt, und daher auch unser Mißtrauen gegen die Deutung der Donna Anna durch den Romantiker E. T. A. Hoffmann. Denn sinnliche Leidenschaft ist ihr ganz fremd; in ihrem: beleidigten Ehrgefühl und in der Liebe zum Ermordeten steht sie ambivalent für den Vater. So allein ist sie Don’ Juans ebenbürtige Gegenspielerin, bis jener selbst den Burlador zur Hölle schickt.

In dieser letzten Szene nun zeigt sich auch Don Juans Größe. Er, der die Menschen verachtet und die Lüge abgestreift hat, der Männer beseitigte, um in den Besitz ihrer Frauen zu gelangen, der auch kein Liebling der Damen war, sondern nur listiger und gewalttätiger Verführer, der allein einer Welt von Feinden gegenüberstand, hat nun einen würdigen und todbringenden Gegner gefunden. Diesem Übermächtigen, in Helm und Harnisch, hoch zu Roß und von steinerner Unverletzlichkeit, tritt er weder bramarbasierend noch herausfordernd gegenüber. Amor fati. Unser Gefühl schwankt zwischen Abneigung und Sympathie. Denn das Metallisch-Undurchdringliche seines Wesens vermag nur ein anderes zu durchschlagen, zu erhellen: Die Musik Mozarts. Weshalb haben uns alle literarischen und psychologischen Deutungen der Gestalt — und es gibt deren noch viele — unbefriedigt gelassen? Sören Kierkegaard scheint die Antwort zu wissen: „Die abstrakteste Idee, die sich denken läßt, ist die sinnliche GeniaUtät. Die vollendete Einheit dieser. Idee und der dazu gehörenden Form finden wir in Mozarts Don Juan.“ Die Idee des Faust sei eine historische, darum werde jede Zeit ihren Faust hervorbringen. Freilich könne man sich auch in der Musik viele klassische Werke denken, aber es ist doch nur eines da, von dem man sagen kann, daß seine Idee absolut musikalisch ist, nur eines, in dem die Musik nicht als Begleitung auftritt, sondern als Offenbarung der Idee, als Offenbarung ihres eigenen inneren Wesens.

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