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Die Welt der Leidenschaft und des Nichts

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„Aedificabo et destruam“ — dieser von Montherlant so häufig verwendete Spruch hätte fast sein Motto sein können. Auf der letzten Seite der „Carnets 1958—1964“, deren Titel wohl bezeichnend ist — Geh, spiel mit diesem Staub“ —, stellt der Autor fest: „Wer zu leben wußte, muß auch zu sterben wissen.“ Die Agenturmeldung, die am 22. September den Selbstmord des Schriftstellers mitteilte, der als Sechsundsiebzigjähriger sein Augenlicht zu verlieren fürchtete, könnte wie ein lakonischer Kommentar zu dieser oftmals geäußerten Angstvorstellung klingen. „Zu sterben wissen“? Wußte Montherlant „zu leben“?

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„Aedificabo et destruam“ — dieser von Montherlant so häufig verwendete Spruch hätte fast sein Motto sein können. Auf der letzten Seite der „Carnets 1958—1964“, deren Titel wohl bezeichnend ist — Geh, spiel mit diesem Staub“ —, stellt der Autor fest: „Wer zu leben wußte, muß auch zu sterben wissen.“ Die Agenturmeldung, die am 22. September den Selbstmord des Schriftstellers mitteilte, der als Sechsundsiebzigjähriger sein Augenlicht zu verlieren fürchtete, könnte wie ein lakonischer Kommentar zu dieser oftmals geäußerten Angstvorstellung klingen. „Zu sterben wissen“? Wußte Montherlant „zu leben“?

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Die Vorliebe des Autors für gewisse glanzvoll-grausame Epochen (spanisches Siglo d'oro, italienische Renaissance) könnte den Biographen leicht dazu verführen, ihn zum „letzten Kondottiere“ zu stempeln. Hinter diesem hoheitsvoll zurückgeworfenen Antlitz springen die brutal gespannten Züge eines Colleone hervor. Man denke auch an D'Annun-zio: wenn Montherlant auch keine Städte erobert hat, so hat er wenigstens imaginäre Triumphbogen errichtet. Gleich einem Bandenchef war Henry Milton de Montherlant stolz auf die Feinde, die ihm seine Unversöhnlichkeit, seine Menschenverachtung, die Überheblichkeit seiner Einsamkeit — vielleicht auch die seines Genies — einbrachten. „Gott schenkte ihm die Gabe des Ekels im Überfluß“ („Le Maitre de Santiago“).

Man hat in ihm den „letzten Vertreter einer Tradition“ gesehen. Tradition? In Wirklichkeit hat Montherlant fast sein ganzes Leben damit verbracht, frech und beinahe frischfröhlich die Traditionen umzustoßen. Nietzsche, falls er Fußball gespielt hätte, Barres, wenn er seinen Lehnstuhl verlassen hätte, um in die Arena hinabzusteigen, hätten seine brüderlichen Vorbilder sein können. Vom Katholikentum seiner Kindheit waren ihm scheinbar nur der Abscheu vor der Frömmlerei und ein Gefallen am Nichts geblieben, der auch beim spanischen Christentum zu finden war und den er bei den Jansenisten wieder anzutreffen glaubte. Aber wie soll man dann das Ende von „Port-Royal“ (1954) verstehen?

„Gott und Port-Royal werden Sie

überall vorfinden. Die hereinbrechende Nacht wird wie alles in dieser Welt vorübergehen.“

Sein Geschlecht, dessen kriegerische Ahnen bis ins 15. Jahrhundert zu Robert Millon, Edler von Albe-mont, zurückreichen, zwang ihn „zu dienen“ (selbst wenn eines seiner Bücher in der Folge „Service inutile“ heißen sollte). Er hatte sich im ersten Weltkrieg freiwillig gemeldet und wurde 1918 schwer verwundet. Jedoch dieses „andere Ich“, identisch mit dem Helden des „Songe“ (1922), Alban de Bricoule, betrachtet den Kampf als eines der aufregendsten Männerspiele überhaupt.

„Er hatte getötet. Er hatte eine Frau besessen... er war für die Seele bereit...“

Was ihn nicht daran hinderte — und es wurde ihm später oft zum Vorwurf gemacht —, 1940 den Unsinn jeden Krieges zu verurteilen.

Zu einem Zeitpunkt, da der französische „homme de lettres“ nur das Alleinsein in den vorsorglich mit Büchern gepolsterten vier Wänden seines Arbeitszimmers suchte, begeistert sich Montherlant für den Sport: Leichtathletik („Les Olympiques“, 1924), aber auch, gereizt durch diesen entscheidenden und endgültigen Dialog zwischen Mensch und Tier, ähnlich dem Mythos von Mithra („Les Bestiaires“, 1926) übt er sich in Spanien im Stierkampf. Der Hornstoß, den er dabei abbekam, hatte für ihn die gleiche offenbarende Wirkung wie seine Kriegsverletzung.

Viele haben in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen — „L'entre-deux-guerres“ — das Erwachen eines besonderen Weiblichkeitskultes verfolgt (Midinetten-Zivilisation nennt es Montherlant): tatsächlich stellen Giraudoux, Colette, Paul Morand die Frau auf die Stufe einer poetischen, zärtlichen oder sinnlichen Gottheit; Montherlant, im Gegenteil, verhöhnt und beleidigt in seiner Tetralogie „Les jeunes fllles“ (1936 bis 1939) das schwache Geschlecht. Eigenartig, beinahe verdächtig erscheint die Wohlgefälligkeit, mit welcher er den Schriftsteller Costals, einen zynischen Verführer, beschreibt. Der Leser muß wohl Costals und Montherlant als eine Person identifizieren, obwohl letzterer der empfindsamste und großzügigste Mann sein kann.

Ein längerer Aufenthalt in Nordafrika konfrontiert Montherlant, wie nachher Camus, mit der Blendwirkung des Lichts. Zurück bleibt ihm davon auch ein tiefer Abscheu vor dem europäischen Kolonialismus, wie er in der „Rose de Sable“ oder einigen schrecklichen Worten des „Maitre de Santiago“ (1947) zum Ausdruck kommt:

„... Die Kolonien sind da, um verloren zu werden. Sie werden mit, dem Sterbekreuz auf der Stirn geboren ...“

Diese Worte oder eher diese Verurteilungen gewinnen noch an Gewicht als Montherlant seine echte Berufung entdeckt und Dramatiker wird. Schon mit „La Reine Morte“ (1942), die die Geschichte Ines' von Castro erzählt, dringt er in die quasi legendäre, mystische und übermenschliche Welt vor, die seit Äschylos und Racine vielleicht für die Perfektion der Katharsis notwendig ist. Jedesmal — „Pasiphae“, „Malatesta“, „Port-Royal“, „Le Cardinal d'Espagne“ — versucht sich die menschliche Größe zu definieren, indem sie sich in einem dem Scheitern geweihten Kampf den Mächten der Welt entgegenstellt, in dem Streben des Ideals zur Unvernunft. In einem langsamen Reifeprozeß verschmelzen sich Ethik und Ästhetik. Elitäre Moral, mit etwas Skepsis getönt: „Die Welt der Leidenschaft und die Welt des Nichts“; Auffassung des Bühnenwerks aufgebaut auf dem Kampf der Seelen mit den Worten.

Verbergen großartige Aussprüche nur das Nichts, wie über Kleiderpuppen drapierte Gewänder?

Während seiner letzten Jahre entflammte in Montherlant, der sich mit Symbolen und Zeichen umgab — eine römische Maske, eine griechische Statuette, ein Schwert — aufs neue die Liebe zum römischen Altertum, wie einst in seiner Jugend. Kann die neuerliche Lektüre des Werks von Sueton die sein ganzes Schaffen bestimmende Polarität erhellen? Den aus Scheiterhaufen und Brandfackeln geborenen christlichen Glauben, den Hedonismus und die Askese, den Possenreißer Nero und den Helden Mark Aurel? ... Montherlant hat seinem genauso gespielten wie gelebten Leben selbst ein Ende gesetzt. Und sogar in seiner letzten Ruhestätte liegt eine Herausforderung an seine Epoche: auf dem kleinen, wenigen Parisern bekannten Friedhof von Picpus, wo nur die Opfer der Schrek-kensherrschaft von 1793 und ihre Nachkommen begraben sind, ist Henry Millon de Montherlant neben einem seinerzeit enthaupteten Vorfahren beigesetzt worden. Racine hatte gewünscht, in Port-Royal begraben zu werden... In der Zeitung „Le Monde“ zieht Poirot-Delpech eine enttäuschte Bilanz: „Montherlant hat das angeekelte Schwindelgefühl, die moralische Steifheit der alten Mächte und alte, wackelnde Kulturen prächtig zum Ausdruck gebracht, eine theatralische Haltung, wie sie nicht besser sein könnte, die aber durch seinen freiwilligen Tod plötzlich von echter Tragik überstrahlt wird.“

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