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Odysseus-Oper in Berlin

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Das große Ereignis der Berliner Festwochen — künstlerisch und gesellschaftlich — bildete die seit Wochen mit Spannung erwartete Uraufführung der Oper „Odysseus“ von Luigi Dallapiccola. Das im Auftrag der Deutschen Oper geschriebene Werk hat auf das Premieren- und Fachweltpublikum einen bedeutenden Eindruck gemacht.

Dallapiccola hat das Textbuch selbst geschrieben. Schon seit seiner frühesten Jugend hat ihn der Odysseus-Stoff gefessel . Es war ein Bemühen, der Gestalt des Odysseus ine menschliche Form zu geben. Er eieht den legendären Helden als „bildhafte Entsprechung des modernen Menschen’; das bedeutet ein gequältes Wesen, wie es Jeder wahrhaft denkende Mensch ist“. Nicht der „erfindungsreiche, vielgewanderte Held“ steht im Mittelpunkt der Handlung, sondern der „edle, herrliche Dulder“, den es immer wieder hinaustreibt auf das Meer, um die Wahrheit zu suchen, den Namen, das Wort zu finden, um das Einsamsein im Herzen zu überwinden… „O schauen, dann erstaunen, und erneut wieder schauen“ ist die Not seines Suchens.

Einem mit so viel philosophischem Gedankengut befrachteten Libretto konnte nur eine Musik entsprechen, die in abstrakter Diktion die textliche Vorlage nicht beeinträchtigen durfte. Nur mit den Mitteln der Dodekaphonie — zwei Reihen und alle Varianten von Krebs und Umkehrungen — konnte der Komponist musikalisch der Idee seines Werkes nahekommen. Mit einer subtil ausgehorchten Partitur von raffiniertem Klang erreicht er eine Atmosphäre von ästhetischer Distinktion. Dabei_ erhebt sich die Frage, ob das Werk überhaupt als Oper bezeichnet werden kann. Es ist ein großer schön- anzusehender Bilderbogen mit dreizehn Stationen auf Odysseus Irrfahrten, von denen nur eine einzige, die vorletzte, Odysseus Heimkehr und das rächende Blutbad, Dramatik besitzt. Alles andere ist Epik. Man fragt sich: hat dieses Werk in seiner inhaltlichen und musikalischen Substanz die komplexe Qualität, daß es bei einer Aufführungsdauer von mehr als drei Stunden die Aufmerksamkeit des Zuhörers ohne Ermüdung zu fesseln vermag? Ich persönlich glaube an seine Beständigkeit, ungeachtet ob Oper, Oratorium oder Mysterium.

Im Schlußbild ist Odysseus wieder auf das Meer, in die Einsamkeit geflohen, eine Flucht vor sich selbst. Hier endlich im Ringen seiner Seele um Erleuchtung nach dem „Warum des Lebens“ erkennt er die Wahrheit und den Herrn, seinen Schöpfer. (Auf der letzten Partiturseite stehen die Worte eines Fragmentes aus den „Bekenntnissen“ des heiligen Augustinus: „Du hast uns für Dich selbst geschaffen, und unsere Herzen sind ruhelos, bis sie ihre Ruhe in Dir finden.“

Die Aufführung hatte Festspielformat. Eric Saedän in der Titelrolle hatte als introvertierter „herrlicher Dulder“ zwar keine faszinierende Ausstrahlung, doch war seine Gestaltung infolge kluger Phrasierung und durch den Einsatz eines sympathi-sehen Baritonmaterials von rührender und im Epilog von ergreifender Eindringlichkeit. Neben ihm am zwingendsten Jean Madeira mit fundiertem Kontraalt als Circe und Melantho. Annabelle Bemard (Kalypso und Penelope), Catherine Gayer (Nausikaa), Hildegard Hillebrecht (Antikleia), waren darstellerisch wie sängerisch hervorragende Protagonisten, denen die Herren Helmut Melchert (Demodokos und Teiresias), Ernst Krukowski (Anti- noos), Victor von Halem (König Alkinoos) sowie viele Nebenrollenträger sich gleichwertig zur Seite stellten. Der Chor, mehrmals auch aus entfernten Räumen über Laut-* Sprecher herangeführt, leistete in der Einstudierung von Walter Hagen- Groll schier unlösbare Aufgaben. Das Orchester bewältigte die immens schwierigen Anforderungen mit bewundernswerter Sicherheit. Gustav Rudolf Sellner stilisierte die Gestik seiner Darsteller in antiken Posen, wie sie auf alten Amphoren und Skyphen, Krügen und Tellern zu sehen sind. Der Bühnenbildner Fernando FarulU schuf buntfarbenkontrastierende Dekors von mediterraner Leuchtkraft. Der diesmal durch die Partitur zum Maßhalten gezwungene und daher ausgewogener dirigierende Lorin Maazel erreichte ein Klangbild von ästhetischer Qualität.

Das Publikum erkannte in seiner überwiegenden Mehrheit die große und gedankenvolle Bedeutung dieses Werkes. Einige Buhrufer im Olymp vermißten wohl, ihrer gymnasialen- Vorstellung entsprechend, den martialischen Helden und kamen deshalb nicht auf ihre Kosten. Der starke Erfolg konnte jedoch dadurch nicht beeinträchtigt werden. Ein großer Abend, der einer Schöpfung von höchstem Niveau gewidmet war.

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