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Die Bühne als Polit-Arena-

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Passender als mit Thomas Bernhards Parabelstück auf das Theater und seinen desolaten Zustand hätte das diesjährige Berliner Theatertreffen vom 3. bis 19. Mai kaum beginnen können. Claus Peymann inszeniert mit komödiantischer Lust den Zusammenprall eines eitlen, dünkelhaften Mimen mit dem Stumpfsinn der Provinz.

Dieser „Theatermacher“ ist genauso ein egoistisches Ekel wie seine Vorgänger in früheren Bernhard-Stücken, und ebenso wie sie schleudert er seine Bosheiten gegen Österreich, die Frauen und gegen Kunst- und Kulturbetrieb und verurteilt das übrige Stückpersonal und die Zuschauer zum Zuhören.

Die Aufführung aus Bochum wurde in Berlin nur „unter Protest“ gezeigt. In einem empörten Telegramm an die Festspielleitung kurz nach Bekanntgabe der Jury-Entscheidung hatte Peymann diese Haltung angekündigt.

Als die siebenköpfige Jury deutschsprachiger Theaterkritiker ihren papistischen Entschluß verkündete und nach einer Zeit der Gerüchte und Spekulationen feststand, wer im Mai (nicht) zum Theatertreffen 1986 kommt, erhob sich heftige Kritik an der Auswahl von nur sieben Inszenierungen.

Die Anfechtbarkeit der Entscheidung liest sich aus den nackten Zahlen ab. Zusammen haben die Mitglieder der Jury, deren Sprecher in diesem Jahr Peter von Becker von „Theater heute“ ist, 120 der etwa 1.000 Neuinszenierungen der Spielzeit im deutschsprachigen Raum begutachtet. Gewiß eine repräsentative Vielzahl für alles das, was sich auf den Bühnen zwischen Flensburg und Wien, Basel und Berlin besser oder schlechter darstellt.

Verständlich, daß Peymann den Kritikern da nicht abnimmt, daß nur sieben Inszenierungen „bemerkenswert“ gewesen sein sollen. Die Auszeichnung „bemerkenswert“ wird für das beispielhafte Zusammenwirken von

Stück, Dramaturgie, Regie, schauspielerischer Leistung und Bühnenbild, konzentriert in seiner Inszenierung, vergeben.

Die Auswahl diesmal gibt ein falsches Bild des zu beurteilenden Theaterjahres, das nun keineswegs schlechter war als andere. Mit von der Partie: „Triumph der Liebe“ der Schaubühne am Leh-niner Platz Berlin, die auf dem Treffen leider nicht gezeigt werden konnte, „Der Theatermacher“ vom Schauspielhaus Bochum, „Amphitryon“ aus Bonn, „Föhn“ vom Tanztheater Bremen, „ödi-pus“ vom Thalia-Theater Hamburg, die „Gust“-Inszenierung des Residenztheaters München und „Hanglage Meerblick“ aus Stuttgart.

Fehlte es auch an Dichte am Wettbewerb, so präsentierte sich das Rahmenprogramm von ungewöhnlicher Vielfalt. Börries vor Liebermann, Leiter des Theatertreffens, nennt die Interessen, die er bei der Zusammenstellung des Programms verfolgte: „1986 ist es unser Hauptinteresse, die kleineren städtischen Bühnen zu integrieren und gleichzeitig den Beweis zu führen, daß es doch noch neue Stücke gibt. Beispielhaft stellen wir Bühnen vor, die sich um neue Stücke und Autoren kümmern, die sich an aktuelle Themen heranwagen.“

Stellvertretend für alle hatten hier Eßlingen, Osnabrück, Würzburg, Bonn, Ingolstadt und Kassel die Gelegenheit, ihr Engagement für ein zeitgenössisches Theater dem sensiblen Berliner Publikum zu zeigen. Und sie regten dann nicht nur zur Diskussion und Auseinandersetzung um neue künstlerische Formen und Inhalte an, durch sie wurde das Theatertreffen auch zu einem Ort der politischen Konfrontation.

Die Brecht-Tochter Hanne Hi-ob ist im Rahmen des Theatertreffens in Berlin-Kreuzberg unterwegs mit ihrem Projekt „Menschenlandschaften“ gegen die bundesdeutsche Ausländerpolitik. Eine Collage deutscher und türkischer, gesprochener und gesungener Texte.

Das Stadttheater Würzburg bringt in einem Theaterprojekt, das in Zusammenarbeit mit am-nesty international und terre des hommes entstand, das Thema Südafrika zur Sprache. Die Würzburger stehen da nicht allein. Auch die Staatsschauspieler aus München, allen voran der von „Theater heute“ zum Schauspieler der Saison 1984/1985 gewählte Sepp Bierbichler, engagieren sich gegen die Apartheid-Politik Südafrikas. Mehr noch, sie erreichten durch Aktionen im Foyer und auf der Bühne des Münchner Residenztheaters und durch Unterschriftensammlungen die Freilassung eines in Südafrika inhaftierten deutschen Pfarrers.

Das Theatertreffen wird durch diese enge Verbindung von Kunst und politischer Stellungnahme, die keine literarische Grundlage hat, immer wieder von der Frage begleitet, was das Theater darf und wo die Freiheit der Kunst endet.

Die Antwort liefert das Hamburger Ensemble: „Das Theater darf alles und kann es sich dann ja verbieten lassen. Nur muß es nicht mit der Schere im eigenen Kopf anfangen.“ Auch hier klingen eigene Erfahrungen mit.

Regisseur Jürgen Flimm, der aus Krankheitsgründen in Berlin fehlte, und Dramaturg Wolfgang Wiens vom Thalia-Theater haben mit Steuergeldern, die für das Theater gedacht waren, den Film „Stammheim“ produziert, um ihn dann in eine theatralische Aufführung zu integrieren.

Sind die Theaterleute also auf dem Weg, politischer zu werden? Das hieße, sie hätten irgendwann aufgehört, politisch zu sein. Nein, nur lassen sie die derzeitigen politischen Zustände stärker aus dem Theater heraus und über das Theater hinaus reagieren.

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