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„Ich liebe es, Verantwortung zu tragen

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„Ich sage nicht, daß ich .verraten'-, wurde.Das wäre zu pathetisch. Ich sage auch nicht, daß es ein Abschied für immer sein wird. Vielleicht werde ich wiederkommen, wenn ich einmal Zeit habe, wenn die Verhältnisse andere sind. Aber ich bin enttäuscht. Wenn ich aus Wien abreise, ist ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen!“ Voll Melancholie und ganz ohne die für. ihn charakteristische Dynamik resümiert Giorgio Strehler sein „Österreich-Abenteuer“, seine Arbeit für die Salzburger Festspiele, fürs Wiener Burgtheater, seine vielen Pläne und Projekte, die, Stück um Stück, an Intrigen gescheitert, zerbrochen sind. Fast ein bißchen zu viel Melancholie für den sonst so von Arbeitsfreude, vom Willen zur Veränderung besessen erscheinenden weltberühmten Regisseur, der immerhin Chef des (auch schon legendär gewordenen) Mailänder „Piccolo Teatro“ ist und der demnächst in Paris die Leitung des „Odeon“-Theäters, des neuen „Theätre des Italiens“ übernimmt.

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„Ich sage nicht, daß ich .verraten'-, wurde.Das wäre zu pathetisch. Ich sage auch nicht, daß es ein Abschied für immer sein wird. Vielleicht werde ich wiederkommen, wenn ich einmal Zeit habe, wenn die Verhältnisse andere sind. Aber ich bin enttäuscht. Wenn ich aus Wien abreise, ist ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen!“ Voll Melancholie und ganz ohne die für. ihn charakteristische Dynamik resümiert Giorgio Strehler sein „Österreich-Abenteuer“, seine Arbeit für die Salzburger Festspiele, fürs Wiener Burgtheater, seine vielen Pläne und Projekte, die, Stück um Stück, an Intrigen gescheitert, zerbrochen sind. Fast ein bißchen zu viel Melancholie für den sonst so von Arbeitsfreude, vom Willen zur Veränderung besessen erscheinenden weltberühmten Regisseur, der immerhin Chef des (auch schon legendär gewordenen) Mailänder „Piccolo Teatro“ ist und der demnächst in Paris die Leitung des „Odeon“-Theäters, des neuen „Theätre des Italiens“ übernimmt.

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Er steht am Fenster seines Zimmers im Wiener Clima-Villen-hotel, über Nußdorfs Hügeln. Sinniert über das fahle März-Sonnen-ücht, spricht über dieses seltsame Gefühl, daß die vier Jahre, von denen er viele, viele Monate in Österreich verbracht hat, plötzlich zerronnen sind... Auch daß er eigentlich so wenig „Marken“ im Wiener Theaterleben hinterlassen habe, obwohl er, Strehler, doch so vieles aufzurühren versuchte.

Was für „Marken“? „Ich meine nicht die zwei Inszenierungen für die ,Burg', nicht .Trilogie der Sommerfrische' und .Spiel der Mächtigen' “, fährt Strehler auf, „ich meine, daß man hier so viel hätte ändern können... Daß man hier endlich hätte begreifen müssen, daß mit dem Nachgehen ausgetretener Wege nichts mehr zu bestellen ist... Der Wille, vieles zu erneuern, war ja da. Aber schließlich ist man doch nur den kurzen Weg gegangen!“

Fragend sehe ich Strehler an. Er präzisiert, worum es ihm damals ging, als er mit viel Glanz, Gloria, Laudationen und gewaltigem Geldaufwand vom Salzburger Festspieldirektorium an die Salzach geholt wurde. „Eine Idee in einem großen Zyklus durchzuführen, diesem Festival einen ganz spezifischen Welttheaterzuschnitt zu geben, Salzburgs wunderbare Spielstätten zu einer großen Einheit zu machen...“ Und ich erinnere mich, als ich Strehler damals, vor vier Jahren, in Salzburg traf und er von diesem Gesamtkonzept mit ungeheurem, schier un-bremsbaren Optimismus schwärmte: von Commedia dell-Arte-Spielen in Hellbrunn, seinem über fünf Jahre verteilten Mozart-Zyklus mit Kara-jan im Großen Festspielhaus, dem „Spiel der Mächtigen“ in der Felsenreitschule, dem „Danton“ und „Wallenstein“ folgen sollen, den Kam-

meroperprojekten im Landestheater usw. Intrigen, Anfeindungen, die Auseinandersetzungen mit Karajan, der Sieg des Kommerzes... Das alles hat Strehler enttäuscht.

„Als ich nach Wien kam, war alles anders. Ich war nur noch Regisseur, Gast, hatte Einzelproduktionen zu betreuen. Und als damals Kanzler Kreisky plötzlich meinte, Strehler wäre der ideale Burg-Direktor, sagte ich lieber gleich nein. Natürlich war ich davon fasziniert, ein solches Theater zu leiten. Aber ich war durch die Salzburger Erfahrungen schon sehr gebremst, ein gebranntes Kind! Bei allem Interesse für die Burg habe ich sehr genau gesehen, daß dieses Haus viele schwache Punkte hat: Gewerkschaftsprobleme, daß es eine Totalreform braucht. Eine Reform eines solchen Nationaltheaters ist allerdings eine kulturpolitische Tat von eminenter Bedeutung. Und sicher nicht Sache eines Ausländers, schon gar nicht eines Regisseurs, der nicht einmal perfekt deutsch spricht. Mir war klar, daß eine solche Reform nur mit einer Rückenstützung durch die Regierung durchführbar ist“.

„Anderseits bin ich auch ein Mann der Macht, der Dialektik. Ich liebe es, Verantwortung zu tragen. Und hinter den Kulissen haben wir viel darüber gesprochen, was man für dieses Haus tun könnte. Ich sagte schließlich, daß ich mir vorstellen könnte, dieses Haus mit einem Team zu führen: Trotz all der immensen Schwierigkeiten, die ich während der Arbeit an der ,Trilogie' und am .Spiel der Mächtigen' mit Gewerkschaften, Technik usw. hatte... Ich habe Großes gewollt, aber vielleicht habe ich hier viel falsch gemacht Und in Wien haben viele den Willen gehabt, die Burg zu erneuern. Aber man ist halt den einfachsten Weg gegangen...'

Alle Pläne, die Strehler schließlich auch noch mit der „Burg“ hatte seine zyklischen Vorschläge, hier Brecht in Musterinszenierungen zu verwirklichen, alles ist gefallen. „Ich werde hier vielleicht einmal wieder inszenieren... Achim Benning hat mich daraufhin angesprochen. Aber er hat mir auch ehrlich gesagt, daß er mir nicht geben kann, was ich an Zeitaufwand brauche. Und ich will mir auch nicht nachsagen lassen, daß ich hier Geld verschwende. Aber man muß wissen, was Kunst kostet.“ Und mehr zu sich seihst: „Ja, ich werde hier einmal wieder inszenieren, ein kleines Stück, ohne Aufwand, wenn ich Zeit haben werde. Im Moment sterbe ich vor Arbeit, vor Verpflichtungen!“

Doktor Strehlers Wien-Aufenthalt war kurz. Auf knappe drei Tage bemessen. Für eine Festansprache in der „Burg“, beim SPÖ-Parteitag, war er angereist, um ein paar Freunde zu treffen, um Andrea Jonasson, Star seiner „Trilogie“- und „Spiel der Mächtigen“-Inszenierungen, seine „große Liebe“, ein paar Tage zu sehen, da sie hier ihre Burg-Verpflichtungen absolviert. Er will sie eigentlich keine Minute missen. Während unseres Gesprächs ist sie dazugekommen, setzt sich an seine Seite, beutelt die wallende rote Lokkenpracht, strahlt ihn mit ihren hellblauen Augen an. Man merkt: Er besinnt sich, vergißt seine Melancholie. Hat er bisher eher gedämpft gesprochen, so entzündet sich plötzlich etwas. Das überlegene Strehler-Lächeln dominiert. Der Grand-seigneur, der Star, spricht über sein Theater, große Pläne, Kulturpolitik ...

Nach den legendären Erfolgen mit Tschechows „Kirschgarten“ und Gol-donis „Campiello“ — beides wollte er in Wien als „Piccolo Teatro“-Gastspiele zeigen, beides ist in Wien bereits in der Planung gescheitert — arbeitet er an Jeän Genets „Balkon“. Alles andere hat er abgesagt: einen „Hamlet“ für Peter Halls Londoner National Theatre, ein Hamburger Projekt, die Scala-Produktionen des „Othello“ und „Don Carlos“... „Mein Freund, Intendant Paolo Grassi, hat sich die Haare gerauft!“, beteuert Strehler. „Aber es geht das nicht auf einmal. Als Regisseur träume ich davon, an einem Stück lang und konzentriert zu arbeiten. Als Theaterdirektor des .Piccolo' muß ich mir dabei allerdings immer wieder Grenzen setzen, was sehr gesund ist. Aber in Mailand herrscht wenigstens nicht jene furchtbare Maschine, die zum Beispiel in Wien alles frißt, die jede Produktion zu

einer Hölle des Zeitdrucks, der Arbeitszeitvorschriften, des Gewerkschaftsdiktats macht... Wo man jeden Tag, an dem nicht geprobt wird, bereits als Verlust berechnet, obgleich solche Tage für das Reifen

einer Konzeption oft ungeheuer wichtig sein können.“

Strehler kommt auf sein organisatorisches Erfolgskonzept. „Früher hat man bei uns ein Stück manchmal nach 20 Tagen abgesetzt. Das war schon ein Erfolg. Heute laufen meine Inszenierungen hingegen oft jahrelang, werden immer wieder aufgefrischt und sind durch das En-suite-Spielen eigentlich immer viel besser geworden. Jeder im Ensemble ist sich seiner Möglichkeiten, seiner Wirkungen bewußt geworden. Und auch das Publikum ist durch dieses Programmierungssystem mitgewachsen. Ich glaube, für eine richtige Publikumspolitik ist das entscheidend. Der Erfolg eines Stückes spricht sich allmählich herum, es kommen immer mehr und nur so können wir auch neue Publikumsschichten ansprechen. Sogar solche, die früher nie ein Theater betreten haben, kommen heute ins Piccolo Teatro ...“

„Früher haben zum Beispiel die Mailänder Stadtbeamten von mir mehrere Stücke pro Jahr gefordert; heute verstehen sie, daß man mit wenigen, aber hervorragenden Produktionen en suite auch kommerziell effektiver arbeitet. In Mailand haben wir heute geradezu einen Publikumsboom, vor allem enorm viel Jugend, die sich ins Theater gezogen fühlt, weil sie die Krise der Konsumgesellschaft nur zu deutlich spürt, weil sie die Banalitäten der miserablen TV-Programme und ihre konfektionierten Informationen satt hat. Hier hat auch meine Theaterpolitik, eine Politik des Theaters als reales dialektisches Forum, eingesetzt. Diese Reform hat viel Mut gekostet, war gefährlich, aber wir haben gewonnen!“

In Wien hat Strehler zwar aufgegeben. Aber Paris hat vor kurzem für ihn ein um so größeres Projekt verwirklicht: Auf Einladung Giscard d'Estaings wird Strehler mit seiner Piccolo-Teatro-Truppe jährlich vier Monate im Pariser „Odeon“ und selbst auch mit den Schauspielern der Comedie Francaise jährlich ein Stück erarbeiten. „Die Franzosen haben ein Mordsrisiko auf sich genommen. Grotowski bekommt für seine Theaterexperimente ein Kloster, Peter Brook bekam seinen Keller, ich bekomme das Odeon ... Aber sie machen konsequent Kulturpolitik, kämpfen um die kulturelle Basis, planen riesige Kulturzentren, wollen Vater und Mutter der Künste sein, und ich finde das gar nicht so idiotisch, wie manche, die Kulturausgaben als Verschwendung verurteilen.“

Vor allem hat Strehler, gemeinsam mit der französischen Regierung, einen Mittelweg gefunden, um sich weiterhin um sein „Piccolo Teatro“ kümmern zu können (Strehler: „Ich kann mein Ensemble nicht verlassen!“) und dennoch in Paris arbeiten. So stehen bereits seine Pariser Pläne für die nächsten drei Jahre fest: Mit „Kirschgarten“, „Campiello“, den „Tagen der Commune“, dem „Balkon“, dem „Sturm“, einem Programm gemeinsam mit Milva, und noch ein paar anderen Stücken wird er den Franzosen sein spezifisches Theater, Welttheater Marke Strehler, vermitteln. Und auch in Paris wird er sich, ähnlich wie er's in Wien mit der Burg wollte, um die altehrwürdige Comedie Frangaise bemühen, wird mit ihren Schauspielern arbeiten: „Vielleicht ändern wir so das Klima. Eine Reform der Comedie ist aber noch dringender als eine der Burg, denn dort ist alles noch schwieriger...“

Nur eines glaubt er sicher zu wissen, daß ein ähnlicher Skandal wie er sich in Wien um die Bundestheater abspielte, in Paris schwer denkbar wäre. „Den Wiener Bundestheaterkrach habe ich nur aus der Ferne miterlebt. Aber ich habe fast gefürchtet, daß da eine Hexenjagd ausbricht, daß da plötzlich die Spießer siegen, ihren Wahn zum Maß aller Dinge machen werden und sagen: ,Was braucht ein kleines Land große Theater!'... Es ist viel leichter, große Traditionen zu zerstören, als solche Institutionen wie die Bundestheater zeitgemäß zu verändern. Aber diese Erneuerung wäre lebenswichtig. Für Wiens gesamtes Theaterleben. Und ich glaube, jetzt wäre der richtige Moment gewesen, in dem diese Reform hätte stattfinden müssen!“

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