Giorgio Strehler - der Größte seiner Zeit

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Schönes, Ergreifendes, Liebevolles und Trauriges haben sie geschrieben - der Heltau, der Endler, die Pizzini. Leute, die ihn gekannt haben, mit ihm gearbeitet, sein Leben beobachtet und mitgelebt haben. Hier aber - Sie verzeihen - schreibt ein Bewunderer, ein Theatermensch wie er, einer, der sich dem Theater, seinem Land, dem Erdteil Europa verpflichtet fühlt, ihn aber nur flüchtig kannte, aus der Ferne bewunderte, aber einer, der glaubt, ihn verstanden zu haben.

Am Christtag 1997 hat sein großes Herz aufgehört zu schlagen, sein Hirn aufgehört zu denken. Giorgio Strehler ist gestorben. Der Heilige Abend des Jahres 1997 war der letzte Abend seines Lebens - die letzte Nacht, die stille, die sogenannte Heilige Nacht.

Der Sohn eines österreichischen Vaters und einer italienischen Mutter, der Direktor des großen Kleinen Theaters in Mailand (Piccolo Teatro) ist von uns gegangen und wird wie der einzige mit ihm vergleichbare Regisseur Max Reinhardt trotzdem ewig bei uns bleiben. Der Ära Reinhardt und der Ära Strehler werden Leerlauf, Häßlichkeit und Anmaßung folgen. Nichts, was sich vergleichen läßt mit dem, was Giorgio Strehler wollte, und - das ist das Erstaunenswerte - erreichte. Mit ihm starb ein Theater, das "schön sein durfte". Keine Selbstbeweihräucherung, keine Auslagendekorationen, kein blutleeres Arrangement. Dekoration, Licht und Farbe dienten dem Werk und den Schauspielern, nicht sich und ihren Kreatoren selber. Strehler ließ menschliches, verständliches Theater spielen, das sogar im Schmerz noch glücklich machte. Wer wird uns jemals wieder einen "Diener zweier Herren" oder "Baruffe Chiozzotte" zeigen und erleben lassen. Mit Strehler ist Goldoni zum zweiten Mal gestorben.

Ich erinnere mich, ich habe ihn seinerzeit in Salzburg sein Spiel der Mächtigen probieren gesehen. Er ging vor Michael Heltau her - ein König, der zeigt, wie man schreitet. Der Lowitz, der Paryla, die Thiemig, wir saßen staunend im Zuschauerraum. Endlich erhob sich Karl Paryla, klopfte auf seine Armbanduhr und raunzte lachend "Basta", "Sindicato". Strehler brach ab, verkündete die Mittagspause. Der Antifaschist und Abgeordnete der PSI achtete die Regeln der Gewerkschaft. Zehn Minuten später - die Bühne war leer geworden - marschierte er königlich auf und ab, Heltau hinter ihm, Zepter und Reichsapfel in den Händen. Mittagspause a la Giorgio, trotz Sindicato, Basta und Paryla. Bei der Premiere sah ich die Szene, so, wie sie geprobt war, stark und eindringlich und wie beiläufig.

Man hat dem Maestro oft das Burgtheater angeboten - er hat nicht gewollt. Warum? Zuviel Bürokratie? Ich weiß es nicht, aber wäre er nach Wien gekommen, als Burgtheaterdirektor, mit all seiner Klugheit, seinem Charme, seiner Menschlichkeit, seinem Humor und seiner Kunst, er hätte uns viel Grausiges erspart. Er war kein Schreier, er war ein Könner, der sich zum Handwerk bekannte, der Schmutz und Gemeinheit scheute und der einer politischen Idee diente, die Menschenliebe heißt.

Er ist von Lugano über sein Mailand nach Triest heimgekehrt. Dort, wo er aufwuchs, sein Triestiner Österreichisch lernte und zum ersten Mal einen Reinhardtschen Sommernachtstraum sah mit Glühwürmchen, die er und andere Jugendliche fingen, und die sich flimmernd als Titanias Leuchten in den Himmel hoben.

Danke, Giorgio Strehler, Sie haben nie piccolo teatro gemacht, weil Sie in Ihrer Zeit der Größte waren.

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