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Die Bühnen der Bundesländer: Wenig österreichische Gegenwartsdramatik und unterschiedlich spannende Spielpläne.

Genau hier liegt die Mitte Europas" - genau hier meint Graz, genauer gesagt das Schauspielhaus Graz. Zwischen Slowenien und Rumänien, Bulgarien und Ungarn positioniert Intendantin Anna Badora das Schauspielhaus inmitten einer veränderten Zusammensetzung Europas. Menschen, deren Leben aus dem Lot geraten ist, bevölkern das Schauspielhaus 2007/08. Neben vielen Klassikern, die verkrachte Existenzen (Horváths Zur schönen Aussicht) und Lebenslügen-Helden (Ibsens Die Wildente) zeigen, setzt Badora auf Stücke, die ihren Blick auf unsere Gegenwart werfen. In Koproduktion mit dem Theater im Bahnhof wird Pia Hierzeggers The Sound of Seiersberg uraufgeführt - dem Traum von einer neuen Heimat im Süden von Graz. Womöglich heilen neue Orte alte Wunden? Auch in David Greigs Pyrenäen sucht ein Mann nach einer neuen Identität zwischen vermeintlichen Tatsachen und aktuellen Gefühlen.

Worauf man sich ganz besonders freuen darf, ist Tom Kühnels musikalisches Projekt Go West, der Suche einer österreichischen Familie nach dem großen Glück in Amerika, das stark an die Geschichte der Trapp-Familie erinnert. Die bewährte Kombination Tom Kühnel mit der Puppenspielerin Suse Wächter garantiert eine ästhetisch außergewöhnliche Produktion. Zahlreiche Uraufführungen bieten jungen Dramatikern wie Gerhild Steinbuch, Ewald Palmetshofer oder Saša Stanišic´ sowie Regietalenten wie Christine Eder, Friederike Czeloth, Sandra Schüddekopf oder Roger Vontobel, Raum, sich auszuprobieren und ihre Sichtweisen unter Beweis zu stellen.

Darüber hinaus hat Badora eine neue Schiene eröffnet, die sich Bloggt das Theater! nennt und monatlich einen kulturwissenschaftlichen Experten aus den Nachbarländern zu Vortrag und Diskussion einlädt. Badora zeigt sich nicht nur als weltoffene, sondern auch als risikofreudige Theatermacherin mit Blick in die Zukunft. Somit ist Graz im Ranking der Spielpläne der Landesbühnen auch heuer wieder ganz vorne platziert.

Unmittelbar gefolgt vom Tiroler Landestheater, wo Brigitte Fassbaender im Schauspiel neue Akzente setzt. Auch sie thematisiert die Frage, wie das neue Europa Menschen zu Grenzgängern macht. Sartres selten gespieltes Stück Die Troerinnen zeigt Parallelen zwischen der Kolonialmacht Athen und dem modernen Europa. Chefdramaturgin Doris Happl ist zugleich Hausautorin in Innsbruck und hat den Kriminalfall Tannöd für die Bühne bearbeitet; auch hier richtet sich der Blick auf die in uns sitzenden "kriegerischen Dämonen". Von Happl stammt ebenso die Fußball-Revue Frauen, Fouls und Fallrückzieher, die rechtzeitig zur EM uraufgeführt wird. Freilich ist auch der erfolgreiche Dramatiker Händl Klaus (Tiroler!) wieder dabei, diesmal mit Dunkel lockende Welt.

Auch Vorarlberg liefert einen theatralen Beitrag zur Fußball-EM. Intendant Harald F. Petermichl wird ein "Projekt" einrichten, das allerdings nicht viel mehr als "Erstaunliches aus der erstaunlichen Welt des Fußballs" ankündigt. Darüber hinaus ist Gerhild Steinbuch vertreten, die in kopftot die Trauerarbeit eines jungen Mädchens bzw. deren Beziehung zum Vater verhandelt. Auch Reto Fingers Kaltes Land setzt sich mit Bewältigungsstrategien einer Frau auseinander, in deren Familie nach dem Tod des Bruders Schweigen herrscht. Auf Mein junges Herz, Momentaufnahmen der Berliner Nachwuchsautorin Anja Hilling, darf man besonders neugierig sein.

In Klagenfurt beginnt mit Josef Köpplinger eine neue Ära (das Interview lesen Sie in Furche Nr. 36). Am Landestheater Salzburg sieht der Spielplan eher farblos aus, wirklich neu ist nur die Bühnenfassung von Thomas Bernhards Holzfällen.

Auch Linz hatte schon spannendere Jahre. Die szenische Lesung der Gewinnerin des Thomas-Bernhard-Stipendiums, Johanna Kaptein, wurde kurzfristig abgesagt. Anstelle dessen soll die junge Hamburgerin nun ihr Stück Brautmo(r)den präsentieren. In der Jahresvorschau findet man allerdings keinerlei Hinweise dazu. Ein wenig hausbacken klingt das Projekt Lebenstraum Österreich, das sich eine "Linzer Geschichte der Migration zum Thema" macht. Da hofft man auf ein gutes Konzept.

Die Studierenden der Kunstuniversität Linz sind währenddessen in St. Pölten aktiv, wo Isabella Suppanz mittlerweile "Welttheater" macht. Freilich sind viele Produktionen Gastspiele und Kooperationen, wie Anja Hillings Protection oder René Polleschs L'Affaire Martin! Etc. (Berliner Volksbühne). Aber auch Eigenproduktionen, etwa Tschechows Kirschgarten mit Anne Bennent, garantieren Qualität.

Resümee: Der jährliche Wermutstropfen, dass die zeitgenössischen österreichischen Dramatiker eher Schubladentäter bleiben müssen, ist auch heuer wieder bitter. Wer sich für Gegenwartsdramatik auf der Bühne interessiert, der muss nach Graz.

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