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Mit Marx und Marcuse

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Basels Theaterschiff hat die Klippe seines Theaterkrachs sicher umfahren V«d den Absprung seines Steuermanns (oder Heizers?) Friedrich Dürrenmatt leichter verschmerzt als das Zürcher Schauspielhaus das Ende der Ära Löffler. Der Direktor der Basler Theater (Komödie und Stadttheater), Werner Düggelin, steuert ruhig weiter seinen „progressiven” Kurs, während in Zürich trotz des Überlaufs von Dürrenmatt (sein launig verulkter Urfaust war ursprünglich für Basel geplant) und trotz redlicher Bemühungen von Buckwitz, gute Ansätze immer wieder von einer Woge des konventionellen Konsumententheaters verschlungen werden — zur großen Beruhigung des Verwaltungsrates und der hinter ihm stehenden Kreise.

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Basels Theaterschiff hat die Klippe seines Theaterkrachs sicher umfahren V«d den Absprung seines Steuermanns (oder Heizers?) Friedrich Dürrenmatt leichter verschmerzt als das Zürcher Schauspielhaus das Ende der Ära Löffler. Der Direktor der Basler Theater (Komödie und Stadttheater), Werner Düggelin, steuert ruhig weiter seinen „progressiven” Kurs, während in Zürich trotz des Überlaufs von Dürrenmatt (sein launig verulkter Urfaust war ursprünglich für Basel geplant) und trotz redlicher Bemühungen von Buckwitz, gute Ansätze immer wieder von einer Woge des konventionellen Konsumententheaters verschlungen werden — zur großen Beruhigung des Verwaltungsrates und der hinter ihm stehenden Kreise.

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Wenn die beiden lebendigen und experimentierfreudigen Bühnen Basels immer wieder eine überregionale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, so geschieht das sowohl durch die Qualität einzelner Aufführungen wie auch durch eine ausgeprägt moderne Gesamtkonzeption: Düggelin und seine Mitarbeiter wollen es zwar mit den angestammten Freunden des kulinarischen Theaters und der Oper (mehrere zum Teil recht bemühte, zum Teil eher bemühende Opernaufführungen gingen über die Bretter) nicht völlig verderben — versuchen aber unermüdlich, ein neues, dem Theater lange entfremdetes Publikum dazuzugewinnen. Wie Althaiis (Direktor der Kunsthalle Basel) ein „offenes Museum” haben möchte, so Düggelin ein „offenes Theater”, das auch junge Leute, Arbeiter und politisch Interessierte anzuziehen vermag — und er sucht dies nicht nur durch Stückwahl und Inszenierung zu erreichen, sondern auch durch möglichst wirksame Propaganda, durch öffentliche Diskussionen nach den Aufführungen, durch Gastspiele von Popmusik- und Flamencogruppen, oder durch das direkte Angehen von gesellschaftspolitisch aktuellen Themen (z. B. Rekonstruktion eines Dienstverweigerungsprozesses) auf der Bühne. Düggelin weiß dabei auch, womit er ankommt, und es geschieht zweifellos eher durch manchmal leicht modische Kompromisse, als durch eine ganz konsequente, persönliche Haltung. — Verdienstvoll an diesem Arbeitsstil ist aber beispielsweise, daß sie eine intensive Zusammenarbeit mit jungen Autoren mit sich bringt — in dieser Spielzeit gleich mit dreien.

Zu Beginn der Saison wurde man zwar durch eine Eigeninszenierung des Hausherrn von Büchners „Dantons Tod” ziemlich enttäuscht —

ich würde sie ganz knapp als modisch (oder hilflos) unterkühlt bezeichnen — vielleicht wird Shakespeares „Was ihr wollt” Düggelin noch von einer vitaleren Seite zeigen. — Vital allerdings ist Hans Bauers Bearbeitung und Inszenierung von Jarrys „Vater Ubu” — vital, komödiantisch und hintergründig zugleich. Der kürzlich verstorbene Regisseur, dessen letztjährige Godot-Inszenie- rung mit Recht über Basel hinaus beachtet worden war, hatte für diese Aufführung eine Art Szenenkollage aus sämtlichen Ubu-Texten vorgenommen — mit überzeugenderem Erfolg als kurz zuvor Paul Pförtner für Zürich. Im grotesk-phantastischen Bühnenraum von Jörg Zimmermann (mit riesigem Wecker und ebenso gigantischer Kaffeekanne) entfaltet sich eine alptraumhafte Vision, die ebenso das Grand- Guignolhafte wie das hintergründig Dämonische des Ubu enthält, quälend aktuelle Bezüge durchschimmern läßt und den Archetypus des wildgewordenen Spießers in jedem von uns entdecken läßt. Die fast chaplinhafte Agilität Hubert Kronlachers entsprach dem Marionettenhaften, das dem Ubu anhaftet. Stärker kam die schon fast programmatische Linie des Basler Theaters in der schweizerischen Erstaufführung von Harald Sommers „Ein unheimlich starker Abgang” zum Vorschein, worüber an dieser Stelle bereits berichtet wurde. Auch die „Eisenwichser” Heinrich Henkels kommen dem Trend der Zeit entgegen und gingen gerade im richtigen Zeitpunkt über die Bretter, um vor allem bei der jungen Generation gut anzukommen. Das zweite Stück des jungen Autors, der bis vor kurzem den Beruf eines Flachmalers ausgeübt hatte, wurde auf Anregung der Basler Dramaturgie geschrieben, die nach einem Stück über die

Arbeitswelt gesucht hatte. (Der Erstling Henkels „Spiele um Geld” soll 1971/72 uraufgeführt werden.) „Eisenwichser” lehnt sich künstlerisch an Beckett an. Eine Zweifigurensituation in abgeschlossenem, gefährdetem Raum, ein groteskbanaler Dialog um Arbeitsbedingungen und -Vergünstigungen, Ehe und Femsehkrimis, der eine Kritik an dieser Arbeitswelt impliziert, die sich auf Marx und Marcuse stützen kann. Aber — wie bei Sommer — ein happeningartiger Schluß, und ein kontrapunktischer Gegensatz zwischen den Vertretern zweier Generationen.

Ungleich bedeutender freilich erscheint mir die Uraufführung von Dieter Fortes Erstling „Martin Luther und Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung”. Forte schrieb das Stück nach fünfjähriger Vorarbeit, und seine ungekürzte Aufführung würde an die neun Stunden dauern. (Des Tschechen Kosta Spates geraffte Inszenierung zeigt ungefähr ein Drittel davon.) „Das Deutsche Theater hat einen neuen Autor”, schrieb die „Frankfurter Rundschau” und das Zürcher „Sonntagsjoumal” meint, es sei einer, „dem mehr einfällt, als er gestalten kann — ein seltener Fall”. Dagegen wirft ihm die „Neue Zürcher Zeitung” eine „vulgär-marxistische Perspektive” vor, „die er in die Vergangenheit projiziert”. Nach Marxens Rezept glaubt er, die Geschichte vom Kopf auf die Füße zu stellen, aber was dabei herauskommt, ist sehr problematisch.

Luther erscheint hier als spießig verbohrtes, bald autoritär aufbrausendes, bald feige sich duckendes Werkzeug der Fürsten, hinter denen aber wiederum die „graue Eminenz” Fugger mit seinem alles beherrschenden Kapital und Wirtschaftsdenken steht. Die „Einführung der Buchhaltung” oder einer neuen Gesellschaftsordnung bestimmt die Reformation, und einzig Luthers Gegenspieler Thomas Münzer will die religiöse Umwälzung konsequent ins Soziale weiterführen, und geht dabei zugrunde. Die satyrische Behandlung Luthers und die zahlreichen Pointen des Stücks liegen größtenteils im Text und seiner rhetorischen Behandlung. Forte be- harrt darauf, ihn größtenteils wortgetreu aus Dokumenten übernommen und keineswegs manipuliert zu haben. Erstaunlich ist dabei die Bühnenwirksamkeit der Vorgänge, denen gar nichts Dokumentarisch-

Trockenes anhaftet, die vielmehr die Zuschauer in Bann schlagen und ihnen nicht wenige, vielleicht bittere Lacher entlocken.

Es scheint also in der Tat, daß Basel „in dieser Spielzeit die erste Uraufführungsbühne des deutschsprachigen Theaters” besitzt, wie die „Frankfurter Rundschau” schreibt. .(Eine recht bedeutende Balletturaufführung, Klaus Hubers „Tene-

brae” als szenische Interpretation fügt sich hinzu.) Basels Theater haben aber noch viele andere Bedürfnisse zu befriedigen, und vielleicht wäre Dürrenmatts Vorschlag, die deutschschweizerischen Theater sollten viel weniger, dafür gründlicher durchgearbeitete Produktionen liefern und dann austauschen, doch einmal zu überprüfen.

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