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Die ersten Festwochen-Premieren versprechen viel.

Das Titelbild des 135-seitigen Programms der Wiener Festwochen (noch bis 19. Juni) macht den Spagat der inhaltlichen Konzeption deutlich: Sie verneigen sich nicht vor Konventionen, sie strecken dem Althergebrachten die Zunge raus. Aber sie bieten auch etwas an, Kunstfutter abseits der eingefahrenen Wege, offene Hände für Neues.

Im Rahmen der Schwerpunkte Toleranz, Offenheit und Auseinandersetzung mit politischen Realitäten hat die Festivalleitung zwei Künstler ausgewählt, die exemplarisch die Achse bilden: Für das Sprechtheater ist es Shakespeare, für die Musik gibt es eine Leoš-Janácek-Hommage. Das umfangreiche Programm haben die Festwochen ihrer im April verstorbenen Schauspieldirektorin Marie Zimmermann gewidmet. Insgesamt sind das heuer 24 internationale Premieren, drei Uraufführungen, sieben Neuinszenierungen und eine Wiederaufnahme.

Neues Theater entdeckt

Verlässliche Empfehlungen sind schwierig, denn neben den wenigen Namen, die bekannt sind, wie etwa Ronnie Burkett, Frank Castorf oder Luc Bondy, ist der Großteil der Künstler hierzulande kaum jemandem ein Begriff. Die Festivalleitung hat also eines ihrer angekündigten Ziele realisiert und Produktionen eingeladen, die abseits der üblichen Festivaltrampelpfade laufen.

Die ersten Schauspielpremieren versprechen spannende Theaterwochen, geben sie schon einen guten Einblick, was unter dem Begriff politisches Theater zu fassen ist. Für eine grundlegende Debatte ist das Spannungsfeld zwischen politischen Verhältnissen und privaten Lebenszusammenhängen notwendig. Die ersten vier Produktionen antworten darauf mit ihrer jeweils eigenen ästhetischen und inhaltlichen Besonderheit.

Was ist ein Leben wert?

Die Troerinnen behandeln ein verdrängtes Stück Zeitgeschichte: nämlich die Zwangsprostituierung koreanischer Frauen durch die japanischen Besatzer (siehe die Kritik in der letztwöchigenFurche). Der schwedische Autor Carl Henning-Wijkmark thematisiert dagegen in seinem 1978 veröffentlichten Roman Den moderna döden ein tabuisiertes Zukunftsthema, dessen Gegenwart eben zu beginnen scheint. Der von Crescentia Dünßer für das Schauspielhaus Hamburg adaptierte Text Der moderne Tod schildert ein Gespräch von Experten aus der Gesundheitswirtschaft darüber, wie eine Gesellschaft mit der demographisch ungünstigen Entwicklung - höhere Lebenserwartung bei steigenden Gesundheitskosten und immer weniger Einzahlern - umgehen soll.

Dieser Themenabend zum letzten Lebensabschnitt des Menschen ist ein aktuelles, hochbrisantes Stück Theater, das mit ungeliebten Wahrheiten und radikal anmutenden Forderungen nicht spart. Das Erschreckende daran: was einst als negative Utopie gemeint war, ist inzwischen von den realen Verhältnissen eingeholt worden.

Im Stück von der Last der Alten sind ungeheure Sätze zu hören. Weil das Alter zu teuer sei und die Generation, die alles aufgebaut habe, alles niederzureißen drohe, sei die Todesbereitschaft zu erhöhen. Nur wie? Denn Sterben gelte als unnatürlich, der Wille zur Selbstbegrenzung sowie die Einsicht in die gesellschaftliche Notwendigkeit des freiwilligen Abgangs sei noch wenig verbreitet. Es gelte daher eine neue, ja situationsbedingte Ethik zu entwerfen. Der Wert eines Menschen könne nicht höher stehen als die gesellschaftlichen Ressourcen reichen, also seien fixe Altersgrenzen einzuführen. "Wir werden ja auch alle gleich alt geboren, warum sollen wir nicht auch gleich alt sterben?"

Eheszenen mitspielen

Neben diesen explizit gesellschaftspolitischen Stücken bewegt sich die andere Achse um die Kernfrage des privaten Zusammenlebens, korrespondierend mit Adornos Verdikt, wonach kein richtiges Leben möglich sei im falschen. Der holländische Regisseur Ivo van Hove hat für seine Inszenierung von Bergmans Szenen einer Ehe eine Laborsituation zur Beobachtung der kleinsten Form des Zusammenlebens gewählt. Das Publikum wird in drei Gruppen geteilt und durchläuft Abschnitte einer Ehe, dargestellt von drei verschiedenen Darstellerpaaren, die die Protagonisten Marianne und Johan zeigen.

Die drei Spielbereiche sind nur durch Vorhänge getrennt, sodass man in jeder Station die Dialoge der jeweils anderen beiden Paare hört, Sätze wiedererkennt oder sie als Konsequenzen antizipiert. Kaleidoskopartig erschließt sich eine Beziehung zwischen Hoffnung, Enttäuschung und der Suche nach Verständnis und Erkenntnis im Gegenüber.

Im letzten Teil sind alle Zuseher um die kreisrunde Spielfläche versammelt. Diesmal zeigen alle sechs Darsteller gleichzeitig den Prozess der Trennung bzw. ihre Versuche, sich neu zu definieren. Das Publikum ist auf gleicher Ebene mit den jeweiligen Mariannes und Johans, sitzt am Boden oder auf Sofas und wird maßgeblicher Teil der Inszenierung. Bei van Hove gibt es keine Illusion. Es gibt keinen Unterschied zwischen Darsteller und Zuschauer, und man fragt sich am Ende dieses spannenden Ehedramas: Ist man eigentlich innerhalb oder außerhalb dieses Beziehungskäfigs?

Dienstmädchen Sonja

Ein weiterer Höhepunkt der heurigen Festwochen ist zweifellos die Inszenierung des Letten Alvis Hermanis. In einem hyperrealistischen Interieur, in dem die Zeit suspendiert, ja verräumlicht scheint, entfaltet er die ungemein zarte, melancholische Geschichte des Dienstmädchens Sonja (nach einer Erzählung von Tatjana Tolstaja), der ewigen Naivität der Seele, aufgehoben in der fragilen Liebe eines unbekannten Verehrers. Sonja ist vom Glück der Beschränktheit geschlagen und darum immun gegen die Zurichtungen der Gesellschaft. Ein wahres Kleinod, das Lust auf mehr macht.

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