Experiment, Popkultur und "Party, Party!"

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Die Wiener Festwochen unter der neuen Leitung von Tomas Zierhofer-Kin setzen auf Performance. Grenzüberschreitungen sind formal und inhaltlich tonangebend, über allem thronen schicke Begriffe. Auf den künstlerischen Aufbruch wartet man noch. Eine Zwischenbilanz.

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Die Wiener Festwochen unter der neuen Leitung von Tomas Zierhofer-Kin setzen auf Performance. Grenzüberschreitungen sind formal und inhaltlich tonangebend, über allem thronen schicke Begriffe. Auf den künstlerischen Aufbruch wartet man noch. Eine Zwischenbilanz.

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Grenzüberschreitungen sind sowohl formal als auch inhaltlich tonangebend: Die Wiener Festwochen 2017 gehen in die Außenbezirke, verweigern die Dualismen von Mann/Frau, weiß/schwarz, Hoch-/Subkultur und bezeichnen die meisten ihrer Veranstaltungen mit dem Begriff "Performance". Zugleich benutzt das Programm doch wieder die Genrespezifika Theater, Tanz, Musiktheater, Film und Diskurs. Es kommen mit dem "Performeum", der "Akademie des Verlernens" und dem Hamam-Zelt Orte und Projekte hinzu, die neue Publikumssegmente ansprechen sollen. Partizipative Praxis lautet der Slogan, der Körper-und Theorieunterricht anbietet. Regelbrüche und subversiver Widerstand bilden das Thema der zahlreichen künstlerischaktivistischen Interventionen. Migration, queere Positionen und die In-Frage-Stellung gesellschaftspolitischer Positionen dominieren die Veranstaltungen.

"Kopf und Füße waschen"

Das Performeum, "temporäres Museum für performative Künste", ist in Favoriten angesiedelt, bei der Eröffnung kamen begeisterte Jugendliche, die "Party, Party, Party!" in ihre Handys riefen. Zu Recht, denn mit den neu etablierten "Vienna Party Weeks" gibt es jeweils donnerstags bis samstags den Dancefloor mit glamourösen Festen, schließlich möchte man dem Namen Festwochen gerecht werden.

Das Zentrum bildet ein aufblasbarer Hamam, der den Raum für Diskurse zum Thema Körperkultur und Politik bietet. Im Schwitzzelt folgt man den Ritualen orientalischer Badekultur unter dem Motto: "Lassen Sie sich Kopf und Füße waschen." Bis 11. Juni wird zum Thema "Kollektive Melancholie" diskutiert, bis Pfingsten gab es bei 45° C Vorträge zu queer-feministischen Positionen zum heißen Thema "Gender Jihad", nur Frauen und Transgender waren zugelassen. Mit wem interagiert wurde und wann genau was zu erwarten war, das bestimmte allerdings der Zufall. Auch was die Festwochen meinen, wenn sie dazu einladen, in die "Heterotopie postidentitärer Wirklichkeiten" abzutauchen, bleibt im Verborgenen schicker Begriffe.

Auch im Stadtzentrum ist man auf Zufälle angewiesen: Zu den bislang interessantesten Produktionen im Museumsquartier zählt "Während ich wartete". Konzise erzählen Mohammad Al Attar und Omar Abusaada die Geschichte einer Mittelstandsfamilie im Syrien-Krieg. Dokumentarische Einspielungen vom Kriegsgeschehen bringen die Wucht der Realität ins Theater, das Erzählen der individuellen Auswirkungen macht die Katastrophe und die Entscheidungen der Politik fassbar.

Vielversprechend klang auch "Die selbsternannte Aristokratie", ein Theatertanz-Projekt der französischen Gruppe "La Fleur".

Die Tänzer und Akteure erzählen von Proletariern, Klein-und Großbürgern und der Aristokratie. Hier geht es um Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Aufstieg vor der Folie politischer und sozialer Probleme. Dabei verbindet Regisseurin Monika Gintersdorfer die aktuelle Situation in den Pariser Banlieues mit Balzacs Kurzroman "Das Mädchen mit den Goldaugen". Sie konfrontiert die Privilegien der reichen Pariser mit den Hoffnungen von ivorischen Einwanderern.

Vielversprechend beginnt Gintersdorfers Performance: Rein physisch, mittels Körpereinsatz und Tanz, werden die Charaktere und deren Beziehungen definiert. Eine Pirouette, eine Kopfbewegung, eine Geste reichen aus, und schon ist auch die gesellschaftliche Position der Akteure klar. Doch nach einer knappen halben Stunde wiederholen sich die Ideen, der Fortgang ist zu offensichtlich, die ersten Besucher verlassen die Uraufführung.

So richtig gut besucht war bislang ohnehin nur Ivo Van Hoves Theateradaption "Obsession": Mit dem Auftritt des Hollywood-Schauspielers Jude Law wurde ein breites Publikum angesprochen. Kaum war Law auf der Bühne, wurden Smartphones gehoben und Fotos geschossen. So viele leuchtende Displays gibt es selten im Theater. Nach wenigen Minuten entblößte Law seinen Oberkörper, die Fans kamen auf ihre Kosten.

Assoziativ und unstrukturiert

Die Inszenierung -Gastspiel des Londoner Barbican Theaters - zählt zu den schwächsten des belgischen Regisseurs Van Hove. Er reduziert den bekannten und vielfach bearbeiteten Beziehungskrimi auf einzelne hochdramatische Szenen. Punktgenau lässt er Szenen aus Luchino Viscontis Film "Ossessione" nachspielen, der Fokus ist auf die Melodramatik gerichtet. Diesen Ansatz unterstützt die Musik, Arien aus der Oper "La Traviata" liefern großes Pathos. Mit dem posierenden Jude Law zählt diese substanzlose Produktion bislang zu den publikumswirksamsten der Halbzeit.

Ein Publikumsmagnet ganz anderer Art, ähnlich substanzarm, aber bildgewaltig, war Romeo Castelluccis "Democracy in America". Auch er wendet sich in seiner Inszenierung gegen binäre Systeme: frei nach Alexis de Tocquevilles 1832 veröffentlichtem Essay konfrontiert er die Welt der amerikanischen Ureinwohner gegen jene der puritanischen Einwanderer. Castellucci reflektiert (Aber-)Glauben versus (Ir-)Rationalität. Dabei bleibt er vage und diffus, unstrukturiert und allzu assoziativ. Vom versprochenen kritischen Kommentar zu Donald Trump, populistischer Politik und religiös motiviertem Politeifer war wenig zu spüren.

Knapp zwei Wochen noch lotet das größte österreichische Theaterfestival die Grenzen szenischer Darstellungskunst aus. Große epische Erzählungen und Körperinstallationen sind angekündigt, auf den künstlerischen Aufbruch wartet man noch.

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