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Zum Start seiner Direktion am Burgtheater zeigt Martin Kušej drei Inszenierungen. Diese lassen ahnen, wohin mit ihm die Reise geht. Es wird ernst.
Zum Start seiner Direktion am Burgtheater zeigt Martin Kušej drei Inszenierungen. Diese lassen ahnen, wohin mit ihm die Reise geht. Es wird ernst.
Eröffnungspremieren stehen immer unter besonderer Beobachtung, vermeint man sie doch als programmatisches Statement oder als eine Art Grundsatzrede (v)erklären zu können. Das gilt im Besonderen auch dann, wenn mit einer neuen Spielzeit auch gleich eine neue Direktionszeit einhergeht. Den Auftakt zu seiner Ära überlässt der Neo-Burgtheater- Direktor Martin Kušej einem anderen. Das heißt, der Regisseur Kušej nimmt sich zunächst zurück und bringt dem Wiener Publikum, wenn man so will, stattdessen ein Geschenk mit. Der Regisseur Ulrich Rasche, in wenigen Jahren berühmt geworden durch seine formal überaus strengen, stets todernsten, monumentalen, wuchtigen und bildstarken Chorinszenierungen, ist zum ersten Mal in Wien zu sehen. Nachdem er letztes Jahr in Salzburg mit einer ebenso überwältigenden wie auch umstrittenen Inszenierung der ältesten überlieferten Tragödie – „Die Perser“ des Aischylos (473 v. Chr.) – zum ersten Mal in Österreich zu sehen war, zeigt er nun in der Hauptstadt auf der großen Bühne des Burgtheaters Euripides’ vermutlich letzte Tragödie „Die Bakchen“ aus dem Jahre 406 v. Chr.
Imposantes Maschinentheater
Wer noch keine Inszenierung von Rasche gesehen hat, den dürfte das herausfordernde, martialische und monumentale Maschinentheater überwältigt haben, wer schon die eine oder andere Arbeit kennt, den dürfte die Inszenierung zwar wenig überrascht, aber dennoch beeindruckt haben. Denn auch diesmal hat Rasche, der stets sein eigener Bühnenbildner ist, eine imposante Bühnenmaschinerie entworfen. Die besteht aus drei doppelspurigen Laufbändern, die sich hydraulisch zu Schrägen nach oben und unten kippen und gegen einander drehen lassen. Auf ihnen schreiten die Darsteller, sechs Protagonisten und ein fünfzehnköpfiger Chor, während der dreieinhalb Stunden ohne Unterlass vorwärts.
Dabei skandieren sie, untermalt vom wummernden Minimal-Sound eines Streichquintetts und rhythmisch getaktet durch beeindruckendes Schlagwerk, die Verse des Euripides, wobei jede Silbe gestreckt, gedehnt, mal gebrüllt, mal gepresst wird. Diese Wortmusik, gepaart mit einer beinahe skulpturalen energetischen Präsenz des Chors, erzeugt in ihrer Vehemenz einen Sog, dem man sich kaum zu entziehen vermag. Es ist denn auch der präsentische Reiz von Rasches forcierten, körperlich-räumlichen und akustischen Verfahren – oder anders gesagt das, was nur das Theater kann –, was diesen Abend so außergewöhnlich und für die Zuschauer zu einer körperlichen Erfahrung macht. So gesehen ist er auch eine Feier des Theaters. Aber mehr noch: Auch wenn Rasche seine „Methode“ beinahe jedem Text überstülpt, kann konstatiert werden, dass gerade für die „Bakchen“ die chorische Form durchaus tieferen Sinn macht. Die attische Tragödie erzählt nämlich die Geschichte von Dionysos, dem Sohn des Zeus, der in seine Geburtsstadt Theben zurückkehrt, um seine Anerkennung als Gott einzufordern.
Seinem Gottesanspruch stellt sich der junge, aufgeklärte König Pentheus entgegen, der dem irrationalen, orgiastischen Kult menschengemachte Gesetze und Ordnungen entgegenstellt. Unbarmherzig stiftet der Rückkehrer allerlei Unheil, manipuliert und verführt die Bewohner. Im bacchantischen Rausch wird der junge König von seiner Mutter Agaue schließlich aus Versehen getötet. Etwas verkürzt kann man sagen, es geht in dieser Tragödie um den Konflikt von Mythos und Logos, oder anders gesagt um göttliche versus menschliche Ordnung. Unschwer ist dem eine zeitgenössische politische Lesart abzugewinnen.
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