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Der zweite Abend im neuen Haus

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Wenn man in der großen Pause zwischen dem I. und 4. Akt des „D o n K a r I o s“ im neuen Burgtheater an eines der Fenster trat, die auf der Ringseite des großen Wandelganges gelegen sind, sah man zu den erleuchteten Fenstern des Rathauses hinüber. Zwischen dem festlich angestrahlten Burgtheater und dem ebenso hell und festlich leuchtenden Rathaus drängte sich und tanzte die Menge, „das Volk“. Zur gleichen Zeit, da in der „Burg“ die Premiere der Neuinszenierung von Schillers „Don Karlos“ in der Regie von Josef Gielen auf die Bühne kam, fand draußen die große Befreiungsfeier in der Regie der Stadt Wien statt, mit den Symphonikern und Feuerwerk. Der Beginn des Feuerwerks war von den Veranstaltern so gelegt worden, daß er in die große Pause der Theatervorstellung fiel, so daß die Premierengäste auf diese Weise zu einem zweiten Schauspiel kamen und neben den Stars der Bühne auch die grünen, roten und silbernen Sterne und Kometen, die sich aus den abgeschossenen Raketen entfalteten, bewundern konnten.

Das Zusammentreffen der beiden Feste scheint uns mehr als bloßer Zufall zu sein. Nicht nur. daß sowohl die durch den Staatsvertrag erlangte völkerrechtliche Souveränität Oesterreichs als auch die Eröffnung des erneuerten Burgtheaters am Ring Ausdruck dafür sind, daß eine Periode der Provisorien, eine Ueber-gangszeit des „Nicht-mehr“ und „Noch-nicht“ ihr Ende gefunden hat: auch der Gleichzeitigkeit der Wiener Befreiungsfeierlichkeiten mit dem „Don Karlos“ scheint uns ein-Sinn innezuwohnen. Ist doch Schillers „dramatisches Gedicht“ ein Schauspiel, das in starkem Maße für die Freiheit plädiert. Freilich sollen wir in dieser Freiheit, für die da plädiert wird, weniger die Befreiung der Niederlande von Spanien sehen (die Schiller sicher nicht in allem richtig dargestellt hat), sondern einen höheren Freiheitsbegriff, der die Würde des Menschen mit einschließt. Wie das bei Schiller, dem Ideal und Idee des Schönen und Guten und — aus diesen erwachsend — des Edlen mehr bedeuteten, als irgendeinem anderen deutschen Dichter, gar nicht anders sein konnte, wurde aus dieser konkreten geforderten Befreiung die Freiheit an sich. So ist uns „Don Karlos“ das Schauspiel, in dem der Satz: „Sire. geben Sie Gedankenfreiheit“, gesprochen wird (und dabei gibt es im „Don Karlos“ gut zwei Dutzend Sätze, die „geflügelte Worte“ geworden und in die Literaturgeschichte eingegangen sind). Aus'diesem Gründe, wegen dieses Satzes, durfte der ,;Don Karlos“ — am Burgtheater zuerst 1 809. zuletzt 1938, seinerzeit noch als „Don Carlos“ inszeniert — in den letzten Kriegsjahren nicht mehr gespielt werden. Man fürchtete, nachdem man einige Male diese Erfahrung gemacht hatte, daß sich an dieser Stelle die Ovationen für die Darsteller zur Demonstration gegen das herrschende Regime steigern würden. (Auch diesmal gab es Applaus auf offener Ssene; er Wieb aber im Rahmen der Ovation.) ! Dieser zweite Abend der festlichen Wiedereröffnung de; Burgtheäters war ein großer Abend, der ganz einer Dichtung gehörte und an dem nicht (wie es die Presse im Oktober 1888. aus Anlaß der Eröffnung des Burgtheaters am Franzensring, geschrieben hatte) „das neue Haus die dominierende Rolle im Repertoire“ spielte. Gewiß begegnete das erneuerte Haus

(mit seinen teils sehr gelungenen Neuerungen, wie der verbesserten Akustik, und seinen teils ganz und gar mißlungenen Neuheiten, wie etwa den kitschigen Büfetträumen) nach wie vor einem großen Publikumsinteresse. Aber die Gedanken an das neue Haus Hieben dank einer Würdigen und dichten Inszenierung ebenso in die Pause verwiesen wie das Feuerwerk.

Wir haben hier eine Aufführung zu sehen bekommen, die an die große Burgtheatertradition anknüpft, sie aus dem „Exil“ des Ronacher-Gebäudes heimnahm ins alte-neue Haus, eine Aufführung, die zugleich auch in ihrem Mut zu stürmischem Pathos und überschwenglichem Gefühl so heutig war, daß sie uns als eigentliche Festpremiere und als Beginn einer erneuerten Burgtheatertradition erscheinen möchte. Freilich, Revolutionen, Experimente, richtunggebende Neuerungen (wie sie heute vielleicht nur Jean-Louis Barrault in Paris und Bertolt Brecht in Berlin versuchen) darf man vom Burgtheater nicht erwarten: Aber die festliche, einheitliche Aufführung, die nicht nur repräsentatives Theater ist, sondern auch klassische Dichtung von Leben durchpulst zu spielen versteht, ist Eigentum des Burgtheaterl.

Ein wundervolles Bühnenbild von Stefan Hlawa: feierlich und dunkel, der Raum, in dem Dichtung gesprochen werden konnte, in dem Spanien die Welt wurde, weit und doch beklemmend. Oskar Werner als Don Karlos: eine trotz aller Modernität Schillersche Erscheinung voll knabenhafter Grazie, verhaltener Leidenschaft, tiefem Gefühl, wach und sensibel. Werner Krauß als König Philipp IL: so gut und stark wie eh und je; hart und fest und plötzlich, ein paar Augenblicke lang ganz offen, weich, ergriffen, unsicher. Werner und Krauß: zwei ideale Besetzungen, zwei Schauspieler, zwischen denen eine Spannung entstand, die das Haus in Atem hielt. Fred Liewehr als Marquis von Posa: der gute Freund, der, wie Schillert Konzeption es wollte, im 4. und 5. Akt immer mehr in den Vordergrund tritt und als ebenbürtiuer Geist neben dem Infanten steht. Hilde Mikulicz als Elisabeth von Valois macht die Königin greifbar, in — wie Carl Jakob Burckhardt es sagte — „ihrer ausgewogenen, unübertroffenen, wahren Natur. Zwar ist sie ohne Glück und resigniert, aber sie kennt den Frieden. Sie handelt nicht aus Prinzip, nicht aus kaltem Verstand, kein Aufruhr treibt sie, kein Ehrgeiz, keine Leidenschaft. In ihr erfüllt sieh der Anspruch des klassischen Menschen“. Judith Holzmeister als Prinzessin von Eboli: sehr menschlich, weiblich, keine Intrigantin. — Der Beifall brach immer wieder in die offene Szene en und hielt bei geschlossener Szene so lange, bis der Vorhang wieder aufging.

Das Theater „Kaleidoskop“, oftmals das Burgtheater unter den kleineren Bühnen genannt (eine Bezeichnung, mit der man ihm allerdings nicht unbedingt einen guten Dienst erweist), spielte Shakespeares „Verlorene LiebesmüY“. Auch wenn man ein strikter Feind jedweden Wortwitzes ist: „Verlorene Liebesmüh“ ist nun einmal verlorene Liebesmüh. Die Mühe glaubte man dem „Kaleidoskop“; von der Liebe spürte man weniger. Doch wollen wir auch sie glauben. Freilich kann Idealismus nicht alle andere, was zum Theater gehört, ersetzen.

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