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Um das Burgtheater

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Das Burgtheater wäre nicht, was es ist, ein Herzstück österreichischer Kultur, würde es in diesen Tagen nicht von Sorgen umlagert sein. Dem Dienstantritt des Duumvirates, das seine Geschicke leiten soll, sind rasch Zwischenfälle gefolgt, die unliebsame Spannungen aufzeigen. Der langjährige technische Leiter des Hauses und ein bewährter Dramaturg sind, wie man hört, mit Kündigungen verabschiedet. Ein junger Schauspieler von schätzenswerter Begabung gibt in einem Offenen Brief seiner Freude Ausdruck, sich mit seinem Abgang vom Burgtheater aus den jetzigen persönlichen Verhältnissen im Hause befreien zu können. Neue, dem österreichischen Publikum bisher unbekannte Einführungen — Besucher, die bei gewissen der Direktion besonders am Herzen liegenden Aufführungen ihrem Mißfallen durch Zischen Ausdruck geben, werden polizeilich perlustriert — erregen scharfen Widerspruch. Fast jeder Tag hat eine kleine, unliebsame Sensation oder ein neues alarmierendes Gerücht. Solche Episoden des Tages, die aus der besonderen Natur des Theaterbetriebes entspringen mögen, werden von keiner Direktion völlig ausgeschaltet werden können. Aber verbirgt sich hinter ihnen nicht etwas Ernsteres, Größeres, jetzt in symptomatischen Erscheinungen sich Aussprechendes: Die Sorge, wohin geht der Kurs, was besagt die aufgezogene Flagge: „Nationaltheater“? Eine neue Aufgabe, zu der das Burgtheater hingeführt werden soll?

Schon die Programmgestaltung für die Festaufführungen — mit denen im September die Rückkehr des Burgtheaters in seine Heimstätte am Luegerring begangen werden soll, rief in der Oeffentlichkeit Verwunderung und Einspruch hervor. Diese Planung ging an ihrem Sinne vorbei. Es ist unser Burgtheater, von dem aus die geistigen Grenzen Oesterreichs weit in die Welt hinausreichen. Franz Herte-rich, der selbst als Künstler und Leiter mit Leib und Seele dem Hause diente, sprach von einer „menschenbeglückenden Sendung des Burgtheaters“. Sie wurde begründet in einer wechselvollen, mehrere Jahrzehnte langen Entwicklung. Die letzte Entscheidung fiel, als sich im Werke und in tiefer seelischer Uebereinstim-mung der große Dichter und der meisterliche Dramaturg trafen — Franz Grillparzer und Josef Schreyvogel. Damals wurde der große Stil der österreichischen Klassik der Dichtung und der Bühnenkunst begründet, der das Burgtheater zur ersten deutschen Bühne erhob. Seine Geschichte ist untrennbar verknüpft mit der vor 130 Jahren am 19. Februar 1825 erfolgten Erstaufführung von Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“, einer Premiere, die denkwürdig ist in der österreichischen Literatur- und Theatergeschichte wie keine andere. Heinrich Laube, der Direktor des Burgtheaters, 1850 bis 1867, der den „Ottokar“ gegen die Marotten einer engstirnigen Zensur betreute, notiert in seinem Kommentar zu den Dramen Grillparzers das Urteil seines großen zeitgenössischen Lexikographen Constantin von Wurzbach zu jener Erstaufführung: „Ein vaterländischer Dichter, ein vaterländischer Stoff, das erste Beispiel dieser Art, das auf die Bühne kam! Es war ein Ereignis, neu in seiner“ Art, und seit den Franzosentagen — freilich in anderer Weise — nicht erlebt...“ Was damals das Volk Wiens im ersten Erfahren empfindungsgemäß erahnte, das ist seither zum Wissen um die Größe der Schöpfung Grillparzers, zum unverlierbaren Nationalbesitz des Oesterreichers geworden, ein Kleinod aus seiner geistigen Schatzkammer, das man bei festlichen Gelegenheiten wie ein kostbares Geschmeide mit Stolz vorweht. So kann es auch gar nicht anders sein, daß die Dichtung Grillparzers zum Erfassen und Schauen herauszustellen ist und herausgestellt werden wird, wenn für den Frühherbst das Burgtheater die kunstliebende Welt des In- und Auslandes in seine Residenz zu Gaste laden wird.

Man darf deshalb heute die Frage um die Gestaltung der großen Festwochen des Burgtheaters als entschieden betrachten. Es war am Platze, daß seit jenem Programmentwurf diese Frage gestellt wurde, um das öffentliche Urteil aufzurufen. Bis ganz weit hinüber nach links zeigte sich eine Uebereinstimmung der meisten Antworten. Als man in dem zunächst vorgelegten Programm Goethes „Egmont“ den ersten Platz einräumte, glaubte man als besonderes Motiv für diese Wahl, die keine anderen Beziehungen aufwies, der Goetheschen Dichtung den Charakter eines „Freiheitsdiamas“ zurühmen zu dürfen. Von seinem Helden sagt die berühmte Kritik, die kein Geringerer als Schiller am 20. September 1788 in der Jenaer „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ veröffentlichte: „In der Geschichte ist Egmont kein großer Charakter. Er ist es auch in dem Trauerspiele nicht.“ Die Begründung Schillers durchleuchtet mit erbarmungsloser Schärfe die schweren Mängel des Dramas, von dessen Schlußszene sie sagt, daß sie „aus der rührendsten Situation durch einen Salto mortale in die Opernwelt versetzt“. Bei der ersten Aufführung in Weimar knapp einem Mißerfolg entgangen, wurde das Trauerspiel erst dann von anderen Bühnen angenommen, als nach mehr als einem Jahrzehnt Schiller auf Ersuchen seines Freundes Goethe eine Ueber-arbeitung — wie dann Goethe klagte: „Mit grausamer Gewalttätigkeit“ — vollzogen hatte. Daß am Wiener Burgtheater in einer festlichen Revue von Meisterwerken der deutschen dramatischen Dichtkunst die bedeutendste Schöpfung des österreichischen Klassikers Grillparzer etwa gegenüber einem „Egmont“ zurückstehen müßte, würde auch dadurch nicht verständlicher gemacht, daß an jenem Planentwurf an dritter Stelle Grillparzers „Libussa“ eingeordnet wurde, eine tiefsinnige Dichtung, der allerdings bisher ein großer Bühnenerfolg versagt blieb.

Man möchte nach der Ursache der seltsamen Verwirrung der Werte in jener Programmerstellung fragen. Grillparzers „Ottokar“-Drama steht an der Spitze des österreichischen historischen Schauspiels. Seine Handlung liegt fast siebenhundert Jahre zurück. Daß das psychologische und politische Panorama ein anderes ist, seine Sprache und seine Gestalten andere sind als heute, ist selbstverständlich. Es wäre naiv, so oder so Schlüsse daraus zu ziehen. Man wird bei uns, gottlob, nicht die Zensur des Vormärz nachahmen wollen, die beinahe ein Aufführungsverbot gegen Grillparzers Schauspiel geschleudert hätte, weil sie, wie der Dichter aufzeichnete', an „Aussprüchen über Grundsätze der Volksund Staatsbildung“ Anstoß fand. Und man-wird auch nicht, wie wir glauben, annehmen dürfen, die österreichische Republik lasse sich an Großzügigkeit übertreffen von dem Oesterreich der Kaiserzeit, in der weder Kaiserhof noch Theaterpolizei jemals den Versuch machten, Schillers „Wilhelm Teil“ zu zensurieren, in dem das Geschichtsbild in dichterischer Freiheit zu Ungunsten Oesterreichs verbogen wird.

Nein, wir sind kein Zensurstaat. Wir wissen um unsere geistigen Kleinodien. Wir wissen um den Auftrag, die Sendung des Burgtheaters.

Deshalb Straßenschranken auf und freie Bahn für Grillparzer und seinen „Ottokar“!

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