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Grillparzers politisches Testament

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Mild schien die Abendsonne über dem Leben Franz Grillparzers. Die Ehrungen zu seinem 80, Geburtstag machten an dem Greis vieles gut, was der Jüngling und Mann an persönlicher Kränkung, beruflicher Zurücksetzung und dichterischer Enttäuschung erfahren hatte. Und der Dichter, dessen von Falten der Bitterkeit gezeichnetes Gesicht auf jenem Porträt zu sehen ist, das unsere Hundertschillingnote nun in Hunderttausende^ von Exemplaren verbreitet, anerkannte dies wohl. Als er sich am Morgen seines Ehrentages, am 15. Jänner 1871, vom Lager erhoben hatte, soll er — alles vergessend, alles verzeihend — gesprochen haben: „Der heutige Tag wird für mich die Wirkung eines Trunkes aus dem Strom Lethe haben.“

Grillparzer machte also seinen Frieden mit Zeit und Umwelt, bevor er, nicht ganz ein Jahr später, die Augen für immer schloß. Zu einem allein war er nach wie vor nicht zu bewegen: Den Schreibtisch aufzuschließen und jene Werke der Oeffenflichkeif vorzulegen, die er nach dem ersten Mißerfolg von „Weh dem, der lügt' vergrämt in aller Stille und Zurückgezoqenheif geschaffen hatte. In aller Stille und Zurückgezogenheit, doch nicht im geheimen! Wir wissen, dafj bereits 1850 sich Heinrich Laube, der bekanntlich dem dramatischen Werk Grillparzers den ihm gebührenden Platz im Repertoire des Burgtheaters erkämpft hatte, mit viel guten Worten und wohl auch mit einer Portion List sich bemühte, den damals in erster Fassung so gut wie abgeschlossenen „Bruderzwist in Habsburg* für eine Aufführung im Burgtheater freizubekommen. Vergeblich. So konnte erst Katharina Fröhlich als Universalerbin, beim Sammeln und Ordnen des Nachlasses, von Grillparzers Vetter Theobald von Rizy tatkräftig unterstützt, das schon genannte Werk zusammen mit der „Jüdin von Toledo“ und der „Libussa“ der interessierten Nachwelt vorstellen.

Alle drei nachgelassenen Stücke sind historische Dramen — mehr noch — sind politische Dramen. „Politisch“ nicht im Sinne von Tagespolitik, von Wählerversammlung oder Volksaufzug natürlich, sondern im Geiste jener alten Hellenen, die dieses Wort Europa geschenkt hatten. Grillparzer spricht von der Zeit, von den Menschen, vom Staat. Und im Spiegel der Vergangenheit werden die Konturen der nähen und weiteren Zukunft sichtbar gemacht von einem Mann mit einem überwachen Sinn für kommende Wetter und Unwetter, die er beinahe physisch im voraus zu spüren vermeint. Aufgezeichnet von einem Dichter, der eben jenem Lande entstammte, das ein Späterer einmal nicht ohne tieferen Sinn in einem scheinbar leichtfertigen Apercu als eine „Versuchsstation für Weltuntergänge“ bezeichnen sollte,

Nirgends aber spricht der politische Denker und Seher deutlicher und unverschlüsselter ab eben in jenem „Bruderzwist in Habsburg“. Da ist schon der historische Vorwurf an sich. Gespenstisch wetterleuchtet es um jenen historischen Rudolf II., der sich immer fester und unnahbarer in seiner Burg zu Prag von „der V/elt“, von „dem Leben“, abriegelte, während ringsum das Reich in den Fugen kracht, Zwietracht die Geister scheide) und Aufruhr selbst in die Familie des Kaisers Einzug hält. Dieser aber schauf auf die Sterne, liest in alten Büchern und sinnt Pläne der Wellverbesserung und Verbrüderung. Ein Tor, und doch ein Weiser. Ein Wissender, der sich im klaren ist, dar; nun, da die Uhr so weif vorgeschritten ist, der erste Schritt, gleichgültig welcher, die wilden Gewalten herausfordern mufj. Zur Rettung ist es schon zu spät; es gilt nur noch, das unheimlich Drohende hinauszuschieben. So lange wie möglich. Und als dann nach langer Zeit der erste Zug im grofjen Schachspiel der Weltgeschichte getan wird, da greifen auch schon die Räder des Schicksals ineinander. „Ein kurzer Feldzug nur steht uns bevor“, spricht die Stimme der braven Mittelmäßigkeit. Doch schon wird der Ruf aufgenommen von anderen: „Der Krieg ist gut, und währt er dreißig Jahre.“

Uns Menschen an der Mitte des 20. Jahrhunderts läßt dieser wilde Schrei nach wie vor für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren. Was Grillparzers Umgebung und seiner unmittelbaren Nachwelt vielleicht historische Reminiszenz erschien — wir haben es wiederum erlebt: den zweiten Dreißigjährigen Krieg 1914—1945.

Grillparzers „Bruderzwist* ist eine große politische Prophefie. Kaiser Rudolf II. Ist uns wieder begegnet im „allen Herrn zu Schönbrunn“, den ein tatqnfreudige Jugend seinerzeit nicht verstand, nicht verstehen konnte. Rudolf II. ist aber auch so richtig das menschliche Abbild 'des alten Oesterreich nach 1848, das bekanntlich nicht nur zwischen den Völkern, sondern auch zwischen den Zeiten stand.

In den großen Kaiserreden des „Bruderzwistes“ enthält beinahe jede zweite Zell ein Goldkorn staatspolitischer Philosophie. Immer wieder kreisen die Gedanken um „die Zeit“. Don Cäsar, der natürliche Sohn Rudolfs IL, ist in seiner Hemmungslosigkeit dem Vater „der freche Sohn der Zeit“. Und gegenüber Ferdinand klagt Rudolf:

„So dringt die Zeit, die wild verworrene, neue Durch hundert Wachen bis zu uns heran, Und zwingt zu schauen uns ihr greulich Antlitz. Die Zeit! Die ZeitI denn jener junge Mann, Wie sehr er tobt, er ist doch nur ihr Schüler.“

Und ein wenig späten

„Allein, wer wagt's, In dieser trüben Zelt

Den vielverschlungenen Knoten der Verehrung ,

zu lösen eines Streichs.'

Und ein Blick auf den gesfirnfen Himmel macht den Gegensatz zwischen hier und dort nur noch deutlicher.

„Kennst du das Wörtlein: Ordnung, junger Mann? Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus, Hier unten eitle Willkür und Verwirrung.'

Deshalb also steht Kaiser Rudolf festi

„Damit Ich lebe, muß Ich mich begraben, Ich wäre fot, lebt ich mlf dieser Welt. Und daß ich lebe, Ist vonnöfen, Freund Ich bin das Band, das diese Garbe hält. Unfruchtbar selbst, doch nötig, weil es bindet.'

Denn am Horizont der Geschieht* nahf schon das Verhängnis.

„Ich sage dir: nicht Skyten und Chazaren, Die einst getilgt den Glanz der alten Welt, Bedrohen unser Zeit, nicht fremde Völker: Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar.'

Genug der Zitate. Sie wollen nicht der Lektüre von Grillparzers politischem Testament vorgreifen,

Bücher haben ihr Schicksal! Warum sollte es großen Bühnenstückän besser gehen? Ein Kapitel für sich — und ein sehr bezeichnendes — ist nämlich die Geschieht des „Bruderzwistes“ auf dem Theater. Bis 1918 hielt man in Oesterreich das Stück aus einer falsch interpretierten Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus nach Möglichkeif vom Spielplan der großen Bühnen fern. Nach diesem Jahr wiederum war es gewissen überängstlichen Republikanern suspekt. Die Erkenntnis für den wahren Kern des Stückes, der sich in der Hülle der Haus-, Hof- und Staatsaktion verbirgt, mangelte diesen wie jenen. Das Verhältnis brach erst auf, als die Schrecken und Gefahren, die Rudolf II. — und damit Franz Grillparzer — erschaut hatte, über dem Land und seinen Menschen lasteten. Als schon mitten im zweiten Weltkrieg im Burgthealer zu Wien der „Bruderzwist in Habsburq* in Szene ging, da fielen so manchen die Schuppen von den Augen. Nun wußten sie die Flammenschrift von Grillparzers Menetekel richtig zu deuten.

Aus dem Vorwort zum soeben erschienenen Band 22 der „Oesterreich-Reihe“: Franz Grillparzer, „Ein Bruderzwist in Habsburg“, Bcrgland-Verlag

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