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Bildnis eines Dichters

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FRANZ GRILLPARZER. Von Walter Naumann. Das dichterische Werk. Zweite, veränderte Auflage. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, ]“. (In der Reihe Sprache und Literatur, Band 42). 176 Seiten, kartoniert. DM 14.80. - JAHRBUCH DER GRILLPAKZER-GESELLSCHAFT. 3. Folge, 5. Band, 1966. Bergland-Verlag, Wien. 220 Seiten, Leinen. S 118. —.

„Grillparzer ist Österreicher in jeder Fiber; Kopf, Züge, Haltung, Meinung, Stimmung, alles ist anders als bei gleichzeitigen Vertretern deutschen Schrifttums.“ Seit Richard von Schaukai 1922 dies in einem Aufsatz so formulierte und Hugo von Hofmannsthal seine berühmt gewordene „Rede auf Grillparzer“ hielt, ist die Kette der Versuche nicht abgerissen, an Grillparzer österreichisches Wesen zu erkennen und zu definieren: von Ernst Alker angefangen bis jüngst zu Gerhart Baumanns Buch. Auch Walter Naumann, der heute den Lehrstuhl für vergleichende Literaturwissenschaft an der Technischen Hochschule in Darmstadt innehat, will sich in seiner Betrachtung des dichterischen Werkes Grillparzers in diese Reihe stellen, wenn er im Vorwort sagt: „Es umfaßt von der Erkenntnis der politischen Wirklichkeit bis zur Darstellung der zartesten Schattierungen im Leben und seelischen Geschehen alle Stufen der Ausprägung einer nationalen Eigenart, so. daß Grillparzer als der österreichische Klassiker gelten kann.“

Mit stoffbeherrschender Souveränität und methodischer Genauigkeit geht auch Naumann an seine Arbeit. Er hält Grillparzers Lebensbild dem Goethes entgegen und holt aus dem Kontrast beider wesentliche Züge der Charakteristik Grillparzers scharf heraus. Dessen Gelingen oder vielmehr Nichtgelin-gen der Lebensgestaltung und der Zusammenhang dieser Frage mit dem Künstlertum wird zum Ausgangspunkt der Untersuchung. Sie gewinnt bezeichnender Weise den „Zugang“ zu den dichterischen Werken Grillparzers in den Analysen des Gedichtes „Abschied von Gastein“, der Erzählung „Der arme Spielmann“ und des Dramas „Bruderzwist“. Dem Dichtertum bringt Grillparzer sein persönliches Dasein zum Opfer, es ist ihm Sendung und Pflicht, er darf und will nicht die innere Spannung verlieren, aus der seine schöpferische Kraft wächst. Grillparzer stellt sich nicht so wie Goethe selbst dar, es drängt ihn zur allegorischen Darstellung allgemein menschlicher Bezüge. „Darum nimmt er gern eine allgemeine traditionelle Form auf, da diese ihm den Rahmen des Allgemeingültigen bietet, nach dem er strebt.“ Da Einsicht, nicht Wandlung das Prinzip des Dramas bei Grillparzer ist, Wahrheit, nicht Leben sein Ziel, liegt etwas Lehrhaftes schon im dramatischen Rahmen. An den einzelnen Stücken Grillparzers zeigt Naumann dies auf, indem er von den Themen ausgehend jeweils das Problem erörtert und die Erkenntnisse, die durch das Geschehen herbeigeführt werden, das „ruhende Ende“ nennt. Die Fragen nach Wahrheit und Lüge, nach Wirklichkeit und Täuschung ergeben solche Probleme, an denen Stück für Stück Grillparzers Schaffen, aber auch jede seiner Figuren gemessen und geprüft werden. Der Dichter kann den Lebenswunsch nach Geltung nur mit ironischem Blick sehen, da er genau weiß, daß zuviel, nämlich das Wohl des Ganzen, auf dem Spiel steht, um dem Einzelnen diese Selbstbefriedigung zu erlauben. Aber tragisch ist das

Geschick des Einzelnen, an den die menschliche Gemeinschaft ihren Anspruch stellt.

Im Drama Grillparzers wird deutlich, daß der Dichter sich gedrängt fühlt, etwas Abschließendes zu zeigen, ein Urteil abzugeben. Die höchste Instanz, das Richtende, legt der Dichter in die Wirklichkeit selbst: das letzte Urteil über das Handeln des Menschen liegt im Geschehen. Nicht auf den Einzelwillen kommt es an, sondern auf das Allgemeine, in dem er das Göttliche sieht. Zum Begriff der Rechtfertigung des Einzelnen gehört der Bezug auf das Bleibende: dem Dichter ist die Zeit Dauer, sie versagt sich ihm als Augenblick der Tat und des Genusses. Das bedeutet Verzicht, Preisgabe des Anspruches an das Leben, führt schließlich zu der Meinung, daß dem Betrachtenden das Lebendige nicht erlaubt sei, daß das Ausleben den Dichter in seiner Bestimmung störe. Deshalb zeichnet Grillparzer jene Gestalten mit Ironie, die sich restlos in das Vergängliche stürzen, in das Erleben und Tun des Augenblicks. Das „Erlebnis“, das für Grillparzer durchaus der Kategorie des Vergänglichen angehört, das in der Liebe triumphiert, ist darum in Grillparzers Werk als süßer und doch bedrängender Traum dargestellt, als etwas, das wie fremde Gewalt über uns kommt und „uns selbst entfremdet“. Es ist nötig zur Be-

Geschehende nötig ist zum ewigen Gericht — doch ohne letzten Wert an sich. Auch die Tat, die im Licht der Selbstgestaltung eines Menschen geschieht, ist ihm verdächtig. Ihm gilt einzig die Wirkung der Tat eines Menschen auf die andere, auf die Gesamtheit, ohne selbstische Absicht.

Die Einsichten Naumanns in das Werk Grillparzers ergeben ein Seelenbild des Dichters, das in der Richtung des Psychologischen, ja Metaphysischen vertieft und erweitert ist. In der Gestalt Grillparzers und in seiner Lebensart nur das österreichische erkennen zu wollen, weil sein Werk zweifellos das bedeutendste Zeugnis des öster-reichertums in seiner Epoche war, scheint mir zu bescheiden. Bei allem patriotischen Stolz — und ihn erst recht bekräftigend —: hier ist wohl eine Kategorie des Menschlichen offenbar, die größer ist und weiter reicht und nur hier bei uns ihre für die Welt beispielhafte Ausprägung fand. Und ist nicht gerade dem Romanisten Naumann und seiner Kenntnis der spanischen Literatur der Blick für die typische Lebensform Grillparzer, für das Charakteristische in seinem Werk als eine wahrhaft europäische Erscheinung geöffnet worden? Das Schlußkapitel seines Buches „Grillparzer und das spanische Drama“ allein wäre eine reiche geistige Ernte zu nennen, obwohl es scheinbar ein Teilgebiet darstellt.

Ähnliche in sich geschlossene Betrachtungen, die Einzelheiten betreffen und doch in die Mitte der Gestalt Grillparzers weisen, schenkt uns von Zeit zu Zeit das Jahrbuch der Grillparzer-GeBellschaft, dessen fünfter Band der dritten Folge (zusammengestellt und redigiert von Prof. Johann Gunert) vorliegt. Die Fülle des als Huldigung zum 175. Geburtstag des Dichters besonders liebevoll zusammengetragenen Materials zeigt auf, wie das Werk unseres großen Dichters über alle Modeströmungen der Kunst hinweg seine Wertbeständigkeit bewahrt hat und weiterhin geistige Macht ausübt. Die Beiträge von österreichischen Gelehrten und Schriftstellern wie die Proben erstmaliger Übertragungen von Dichtungen Grillparzers ins Spanische und Italienische bezeugen, daß sein Werk heute nicht nur für uns Gültigkeit hat, „sondern als geistig-künstlerische Manifestation eines Genies auch Menschen anderer Völker in seinen Bann zieht“.

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