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Der Mensch und das Welttheater

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Der Verfasser, Literaturprofessor in Bloomington, einer Stadt von rund 30.000 Einwohnern, die eine Staatsuniversität besitzt (Indiana, USA), legt mit dieser im Untertitel nachdrücklich und bescheiden bezeichneten „fragmentarischen Geschichte“ die erste Bühnengeschichte unseres großen österreichischen Dramatikers vor. Der besondere Vorzug der Darstellung liegt in der gründlichen Auswertung der Sammlung von Zeitungsausschnitten des Instituts für Theaterwissenschaft in Wien (ab 1945), der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, des Theatermuseums in München und anderer Quellen. Dazu kommen noen ein mit geradezu architektonischem Geschick begabter Sinn für Zu-sammenschau, Feingefühl für die Deutung dichterischer Wesensart und nicht zuletzt Verständnis für dramaturgische und theatertechnische Bausteine. Die Lektüre führt zu mitunter sehr überraschenden Auf-

Schlüssen, lang eingegrabene Vorurteile und Fehlschüsse werden förmlich weggeblasen (so die immer wieder nachgeplauderte Mär vom völligen Verschwinden Grillparzers aus dem Burgtheaterspielplan zwischen 1938 und 1951). Es wird auch nachgewiesen, daß es keinesfalls stimmt, wenn behauptet wird, Deutschland (also das Sprachgebiet außerhalb Österreichs) habe sich Grillparzer abweisend gezeigt. Wichtig erscheint uns ferner das Studium der Regiemaßnahmen, der Einstellung verschiedener Spielleiter zum Drama Grillparzers. Über die Schwerpunkte der Wertung einzelner Rezensentenstimmen kann man natürlich nach persönlicher Meinung anders denken, und wir sehen das innerhalb der Fachleute schon: auf Seite 141, Zeile 5, wird die Inszenierung von „Ein treuer Diener seines Herrn“ — gleichlaufend mit den zitierten Stimmen der Wiener Presse vom Oktober 1951 — für die Burg als „Meisterleistung“ bezeichnet. Urs Helmensdorfer (in dem nachfolgend besprochenen Buch „Grillparzers Bühnenkunst“, Bern 1960) schreibt dagegen in einer auf die Seite 67 überlaufenden Fußnote von Seite 66: „Die schamlose Mache kann nicht scharf genug verurteilt werden.“ a

Nun ist es aber nicht Sache des Buches von Fürst, dieser oder jener Schauspielerleistung, dieser oder jener Inszenierung den Vorrang zu geben, sondern einen vielflächigen Kristall im hellsten Licht zu drehen, daß die Facetten funkeln und jede Drehung eine neue Ansicht gewährt. Jeder wird sich mit dem Buch als wichtige Grundlagenforschung befassen müssen, der das Thema „Grillparzer und die Bühne“ fernerhin behandeln möchte.

GRILLPARZERS BÜHNENKUNST. Von Urs H e 1mensdorfer. Francke-Verlag, Bern. 149 Seiten. Preis 13.50 sfr.

Von diesem Werk ist oben bereits die Rede gewesen. Es handelt sich dabei um Studien zu Grillparzers Kunstbegriff (ein sehr wichtiges Thema, man braucht nur Grillparzers „Ästhetische Studien“ durchzublättern), um Interpretationen der zwei Stücke „Ein treuer Diener seines Herrn“ und „Ejn Bruderzwist in Habsburg“, um „Grillparzers Kunst der Szene“ (wobei hier ebenfalls viele dramaturgische Probleme berührt werden und sprachliche Fragen zur Sprache kommen). Die allgemeine Einstellung ist gleicherweise entfernt von unkritischer Bewunderung wie von modernistischer oder gar kulturpolitischer Nörgelei. Die Darstellung ist zügig und bedient sich, unterstützt durch viele Zitate (wie bei Fürst), einer klaren Sprache.

GRILLPARZERS „GOLDENES VLIESS“. Ein dichterisches Bekenntnis. Von Rudolf Stiefel. Francke-Verlag, Bern.

„Wir behaupten nicht, daß sich die Bedeutung des Vließes mit einem Schlagwort, wie wir es geben, völlig decke oder erschöpfe“, sagt R. M. Meyer in seiner Geschichte der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, und weiter: „Das Drama ist pessimistisch durch und durch.“ Die Zwietracht der Welt hat Stiefel vor Augen: „Das paradiesische Einssein ist das Erste, was durch den Vließraub verlorengeht“, denn „klar sei der Mensch und einig mit der Welt“, wie Medea sagt. Es stimmt, daß der Mythus des Dichters von der Existenz der gesamten Menschheit handelt. Da begegnet sich Stiefel mit den Andeutungen Meyers. Und in der Tat, man könnte sich kaum ein symbolträchtigeres Ding denken als das Vließ, und unwillkürlich entsinnt man sich der symbolischen Bedeutung des Ringes bei Richard Wagner.

Li drei Kreisen wird versucht. Individuum und Werk wechselseitig zu betrachten und zu deuten: den Menschen, den Künstler, „die letzten Dinge“, vom Innern, das am schwersten zu versinnlichen ist, weiter zur M:ttlerschicht bis in Transzendente. Und je weiter sich der Dichter, 90 wird hier mit unerbittlicher Konsequenz dargetan, von der Mitte seiner Existenz fortbewegt, desto dramatischer, desto unausweichlicher, desto deutlicher gewahrt er. der Gottsucher, der von der Undurchdringlichkeit Gottes Erschütterte, den irrationalen Punkt, wo das Forschen und Wissen aufhört und der demütige Glaube beginnt.

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