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VON NEUEN BÜCHERN

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„Franz Grillparzer.“ Von Josef Nadler. 454 Selten. —„„Gesammelte Werke.“ Von Franz Grillparzer. Herausgegeben von R. Backmann. 5 Bände, 2340 Seiten. Beide: Bergland-Verlag, Wien

Wenn jemand der geistige Erbe und Testamentsvollstrecker des unvergessenen August Sauer genannt werden darf, so ist es Josef Nadler. Davon legt die vorliegende Grillparzer-Biographie beredtes Zeugnis ab. Ihr Autor bekräftigt dies auch durch die Worte an Hedda- Sauer, die dem Buche vorangestellt sind.

Trotz der immer mehr anwachsenden Grillparzer-Literatur fehlte es uns bis jetzt an einer gültigen Darstellung des Lebens und Werkes dieses österreichischen Klassikers. Nadler hat sie uns nun aus der umfassenden Kenntnis der gesamten Problem- und Literaturlage, aus dem Leben in Grillparzers Gesamtwerk, an dessen historisch-kritischer Ausgabe er mitgearbeitet hat, beschert. Der Kenner von Nadlers Schriften wird die Grundzüge des vorliegenden Buches nicht nur in der „Literaturgeschichte des deutschen Volkes“, sondern mehr noch in seiner „österreichischen Literaturgeschichte“ vorgeformt gefunden haben. Nun hat sich aus diesem Grundriß ein umfassendes Lebensbild, eine eindringende Interpretation des Menschen, Dichters und Denkers Grillparzer entfaltet, hineingestellt in den Raum der österreichischen Landschaft und Geistesgeschichte, insonderheit seiner Vaterstadt Wien, aus deren Theatertradition dieser Dichter zutiefst zu verstehen ist. Die Kapitel über Wien zu Beginn und am Schluß des Buches lassen dies unmißverständlich erkennen. Der Wandel des geistigen und historischen Klimas von 1791 bis 1872, die große Zeitenwende für Österreich und Europa, die mit der Französischen Revolution anbrach und sich in den beiden letzten Weltkriegen endgültig vollendete, sie steht als Vergangenheits- und Zukunftsmoment hinter dem Leben und Werk Grillparzers. Aus ihrer Seins- und Sinntiefe hat Nadler Leben und Werk des österreichischen Dichters gedeutet, für viele Jahre gültig nachgestaltet. In vier Büchern, die die Jugend, seinen frühen Theaterruhm, sein Beamtendasein als Archivdirektor und sein einsames Altern und späten Ruhm umfassen, wird der Leser durch das Leben und Werk Grillparzers geführt, erlebt er seine inneren und äußeren Kämpfe und das Ringen um die gültige Gestalt, die der Dichter mit seinen letzten Dramen erreichen soll. Sie haben ihn zu dem „Dichter der letzten Dinge gemacht“, als der er sich selbst begriff, zum Propheten des Kommenden, das wir erleben mußten. Es ist Nadlers Verdienst, die Legende vom verkannten und gemaßregelten Dichter Österreichs endgültig zerstört zu haben. Es ist sein Verdienst, gezeigt zu haben, wie sehr dieser Dichter Hamann verpflichtet war („Melusine“) und wie sich in ihm das humanistische Erbe Platons auf österreichische Weise erneuert. Der Staats- und Geschichtsdenker Grillparzer hat in diesem Buch sein Denkmal gefunden. Dem Sachwalter und Fortführer spanisch-barocken Erbes und österreichischer Volkstheatertradition werden im tiefsten Verstehen die Züge nachgezeichnet und erhellt.

Was verschlägt es da, daß die Ahnenforschung die Abstammung Grillparzers aus Oberösterreich für noch nicht erwiesen hält? Was macht es aus, daß der Autor auch hier nicht auf besondere Streitfragen der Grillparzer-Literatur eingeht? Er hat ein Monument errichtet, das für Jahrzehnte alles überragen wird, was noch über Grillparzer geschrieben und gedacht werden wird.

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