Franz Grillparzer Denkmal - © Foto: iStock/laengauer

Franz Grillparzer zum 150. Todestag: "Von Humanität / Durch Nationalität / Zur Bestialität"

19451960198020002020

Mit seinem Pessimismus hat Franz Grill­parzer, am 21. Jänner 1872 verstorben, leider recht behalten.

19451960198020002020

Mit seinem Pessimismus hat Franz Grill­parzer, am 21. Jänner 1872 verstorben, leider recht behalten.

Werbung
Werbung
Werbung

Als Schülerin quälte ich mich mit seiner Komödie „Weh dem, der lügt!“. Was Franz Grillparzer da­rin über Wahrheit, Vernunft und Absolutheits­ansprüche verhandelte, dazu fehlte mir damals noch das Verständnis, das Reclamheftchen lag danach erst einmal irgendwo herum. Auch dem Premierenpublikum des Jahres 1838 missfiel das Stück, in dem niemand jenem Küchenjungen glaubt, der doch nur die Wahrheit spricht. Grillparzer war dermaßen betroffen von dem Misserfolg, dass er seine folgenden Dramen in der Schublade ließ.

Zerrissen von Selbstzweifeln zeigen ihn seine privaten Aufzeichnungen, aber auch als scharfsichtigen Kritiker der politischen Situation. Seine öffentlich aufgeführten Werke hingegen mussten erst die Zensur überstehen. „Ich hätte dieses Land […] zeitig verlassen müssen, wenn ich ein Dichter hätte bleiben wollen. Nun ists zu spät, mein Innres ist zerbrochen“, klagt der Dramatiker, der bereits als Student die Verhältnisse im „Land der Erbärmlichkeit, des Despotismus und seines Begleiters, der dummen Stumpfheit“, kritisiert hat, „wo Vernunft ein Verbrechen ist und Aufklärung der gefährlichste Feind des Staates“. Um Jahre später, nach 1848, zu konstatieren: „Der östreichische Staat hat sich rekonstruiert, d.h. mit einigen neuen aufgedrungenen Formen auf die alten Grundlagen wiederhergestellt: Gewalt und Dummheit.“ So gründlich Grillparzer die Mechanismen der Macht und die Gefahr der Verführung zur Macht darstellt, so irritierend wirkt das Ideal von einem habsburgischen Kaiser, der alles zusammenhält und dessen Herrschaft just durch Religion begründet ist, an deren Hilfe Grillparzer wohl selbst nicht recht glaubt.

Geboren am 15. Jänner 1791 in die Zeit der Französischen Revolution, erlebt Franz Grillparzer statt der ­Verwirklichung ihrer Ziele die volle Macht der absolutistischen Habsburgermonarchie. Dazu das berühmte Metternichʼsche Zensursystem, das politische Kritik hart bestraft und Werke des Geistes, auch Literatur, als höchst gefährlich einstuft. Bildung heißt: gehorsame Bürger schaffen. Grillparzer verbringt als Hauslehrer „die traurigste Zeit meines Lebens“, schafft es dann als Direktor des Hofkammerarchivs bis zum Hofratstitel und mehr noch: zum österreichischen Klassiker.

Die Zweite Republik huldigte ihn, der die Gefahren des Nationalismus beschrieben hat, als österreichischen Nationaldichter. Grillparzers Zeilen aus „Ein Bruderzwist in Habsburg“ klingen rückblickend durchaus prophetisch: „Ich sage dir: nicht Skythen und Chazaren, / Die einst den Glanz getilgt der alten Welt, / Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker: / Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar …“

Der freie Mensch zeigt sich als Bestie, der Wille des Volkes bringt auch Entsetzliches hervor – Grillparzer misstraute der Fortschrittserzählung der Aufklärung und ihrem Glauben an den Menschen als rationales, vernünftiges, moralisches Wesen. Mit seinem Pessimismus hat der vor 150 Jahren, am 21. Jänner 1872 verstorbene Dramatiker leider recht behalten: „Der Weg der neuern Bildung geht / Von Humanität / Durch Nationalität / Zur Bestialität“.

Auffallend stark sind Grillparzers Frauenfiguren, sie zerschellen allerdings an der patriarchalen Gesellschaft. Psychologisch versierte Dialoge zeigen in „Medea“, dem dritten Teil der Trilogie „Das Goldene Vließ“, ein modernes Ehedrama mit allem, was dazugehört, wenn Liebe in Hass kippt. Die Immigrantin geht in der Blankvers sprechenden Gesellschaft der Zivilisierten kaputt. Dabei tat sie alles, um sich anzupassen – bis zur Selbstaufgabe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung