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Eine Grillparzer-Uraufführung

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Eine Grillparzer-Uraufführung, 1958, in Wien, im V o 1 k s t h e a t e r f „B 1 a n k a von Kastilien“ ist der Erstling des Gymnasiasten Grillparzer. Hofmannsthal schrieb auf oder, besser, unter der Schulbank „Der Tor und der Tod“. Liebesleidenschaft und Tod, anders und in historischem Gewände, sind das Thema des jungen Grillparzer. Man wird ihm und dem Werk nicht gerecht, wenn man da nur die sichtbaren Spuren Schillers und des jungen Goethe wahrnimmt. Die moderne Bühnenkunst hat, wie zahlreiche Beispiele zeigen, die reizvolle Berufung, mit der Sonde moderner Schauspielkunst und mit der Wachheit des Intellekts, gerade in verkannten oder „unreifen“ Werken der Großen die Spurenelemente aufzuzeigen: das kostbare Eigene, das in diesen Werken bereits die Prägung des Genius verrät. Es ist deshalb verdienstlich und sinnvoll, gerade vom Standpunkt unserer Zeit her, das unvergeßlich Grillparzerische im Bruch der Jugend aufzuzeigen. Mag die Handlung Klischee sein: die Geschichte der unglücklichen Bourbonin Blanka, die von ihrem Gatten, König Pedro von Kastilien, einem schwächlichen Wüstling, gefangengehalten wird, zuletzt, zu spät mit ihrem Jugendfreund, dem Ordensmeister Don Guzman, zu fliehen versucht: sie erliegt dem Ränkespiel des Minister-Bösewichts Rodrigo und seiner Schwester Maria, der Mätresse des Königs. An der Bahre seiner Gattin wartet der König auf seine Mörder.

Lassen wir uns durch „Don Carlos“, Schiller und' die Folgen den Blick nicht trüben, nehmen wir einige unvergeßliche Töne, Leitmotive Grillparzers und seines Kosmos hier wahr. Da ist es zunächst ein Thema, das alle großen europäischen Konservativen und Royalisten, wenn wir dies im Hochsinn möglicher Bedeutung verstehen, immer wieder am stärksten ergriffen hat, von Shakespeare über Grillparzer zu Reinhold Schneider: das Problem des schwachen, schuldigen, versagenden Königs und Herrschers. Hier ist ja nicht nur ein Akt des Dramas Oesterreich zugegen, sondern das größere Problem: Was wird aus der Welt, wenn die Führenden versagen? Wenn von oben her Recht in Unrecht verwandelt wird, wenn die Herrschenden das Volk verführen, in den Tod treiben? Der junge Grillparzer setzt sich hier in einem Ernst mit diesem Thema auseinander, ■ der dem reichsfremden Bürger Schiller zutiefst fremd ist. Ergreifend, wie Grillparzer aus dem Munde Rodrigos hochpolitische Weisheiten, heute aktuell wie nur je, verkünden läßt. Dann ist es, zum zweiten, die für aufmerksame Zuhörer unüberhörbare Seelenmelodie, die nicht einfach mit „psychologischer“ Einfühlung in die Rollen abgetan werden kann. Schon kündet sich hier mit einem stärken Klang der spatere Grillparzer an: der Künder der Leidenschaft, des Verzichts, der große schmerzliche Freund der Frau. Blankas Hohes-Lied der ehelichen Liebe, die gerade im Scheitern der Ehe um Bewährung ringt, ist bis über Hofmannsthal hinaus ein unvergeßliches Charakteristikum großösterreichischer Dichtung.

Die Aufführung kann — ist's ein Wunder? — der schweren Aufgabe nicht ganz entsprechen. Traute Waßler als Königin Blanka ist schön bemüht, dem hilflosen Geschöpf feinnervige Züge zu verleihen. Erna Korhel interessant als Buhlerin Maria. Grillparzer am nächsten kommt Hans Frank als weiser väterlicher Freund Don Guzmans, der selbst in Aladar Kunrad mehr neurotisch als erotisch verständlich wird. Otto Woegerer als Rodrigo paßt eher, als herrischer Bauer, in eine Schönherrsche Tragödie als an einen spanischen Hof. Sieghardt Rupp gibt als König Pedro eine beachtenswerte Charakterstudie. Das abstrakte Bühnenbil4 und Man-kers Regie bemühen sich, die Aufführung zu straffem — Zum Ganzen: Man sollte diesen jungen Grillparzer immer wieder wagen: auf den ersten Fall kann es nicht ganz gelingen. Es würde sich lohnen, die schillerschen Töne noch stärker zurücktreten zu lassen und die Spurenelemente des Neuen und ganz anderen, eben des Grillparzerischen, noch stärker zum Leuchten zu bringen.

Das Akademietheater eröffnet die Saison 1958/59 mit einem Jugendwerk von A n o u i 1 h, „Ball d e r D i e b e“, das einen unübertrefflichen

Tiefpunkt des Theaters darstellt. Ein Nichts, eine Nichtigkeit, die hier zudem noch schwer beladen wird durch das Strafexerzieren, das der Regisseur Victor de Kowa mit den armen Schauspielern vorführt. Anouilh nennt sein Spielchen ein „Ballett für Schauspieler“. Hier marschieren, im Stechschritt, diese Gauner und Harlekine auf die Bühne und müssen sich ihre Gliederverrenkungen noch glossieren lassen: durch ein „leicht“ und „charmant“ sein wollendes, aber anmaßendes Conferencierwort, das der Regisseur, Herr de Kowa, von der Proszeniumloge her vorträgt. Arme Alma Seidler, die hier gezwungen wir. aufgeputzt wie ein Ueberpfau, mit einem Messer im Mund, belanglose Worte zu sagen! Arme Schauspieler! Farbig, entzückend die Kostüme Erni Kniperts, in die man Christiane Hörbiger und Lona Dubois gesteckt hat. Zu den Kostümen passen die Dekorationen Gottfried Neumann-Spallarts: Ist es aber der einzige Sinn einer Akademietheaterpremiere, durch Kostüme, Dekorationen und ein bißchen Musik (von Alexander Steinbrecher) zu glänzen?, Wahrscheinlich .nicht.

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