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Komödie einer Tragödie“

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Der Festwochenbeitrag der J o s e f s t a d t : Franz Werfeis „Jacobowsky und der Obers t“. Dieses erstaunliche Werk nennt der Dichter selbst die „Komödie einer Tragödie“. Es bedarf meist vieler Jahre, eines Jahrzehnts zumindest, bis es gelingt, die Begegnung mit dem Grauen, dem Krieg, der Vernichtung, umzusetzen in Dichtung oder, wie die Kriegsliteratur nach dem ersten und zweiten Wehkrieg zeigt, auszumünzen in literarische und andere Spiele. Dem vielverkannten Dichter und Menschen Franz Werfel (im gegenüber irrt Karl Kraus lehr) gelang mit vorliegendem Werk etwas, was nur einem Menschen möglich ist, der wirkliche Substanz als Dichter und als Glaubender besitzt. Kurz nach der eigenen, in Angst und Hoffnung bestandenen Flucht aus den Netzen der Verfolgung, schrieb Werfel dies „menschliche Komödie“, die das Schicksal seines in den Tod gehetzten Volkes und anderer, von Schuld und eigentümlicher Größe belasteter Menschen erhellt, mit Lichtern eines tiefgläubigen Humors, die eine Landschaft nachtdunkler Gewitter blitzartig beleuchten. Auf der Flucht vor den Deutschen, im Juni 1940, quer durch das sonnige Frankreich, treffen sich drei Gestalten, Symbolträger für drei Welten. Der polnische Oberst Tadeusz Boleslaw Stjerbinsky. Jacobowsky und Marianne. Der Oberst steht für eine „Herrenschicht“ Alteuropas, die durch ihre enge Art und ihre Dekadenz den Sieg des Unmenschen mit ermöglicht hat. Dieser polnische Oberst trägt, auf der Flucht vor Hitler, ein ganzes Regiment kleiner Hitler in seiner Brust: Wahnvorstellungen, ein hartes Verneinen des Nächsten; und eben jenen Antisemitismus, der weit über Europa hinaus Hitler gewichtige Sympathien und Unterstützungen eingetragen hat. Marianne, die leichtsinnige Französin, dann die liebes- und leidstarke Frau, erwachend und wachsend im Widerstand, verkörpert ein Schicksal der französischen Nation; beklemmend, in diesem Juni 1958, Werfeis Darstellung des Verhaltens einiger französischer Typen in Paris im Juni 1940. Jacobowsky: diese großartige, weil groß geartete Darstellung des gebildeten, menschlich hochreifen Juden, ist allein bereits ein Zeitdokument für sich. Es gibt wenige jüdische Darstellungen jüdischer Schicksale, die frei von verdecktem Selbsthaß sind. Keine reicht unseres Wissens heran an dieses freimütige, große, gelassene Ja zum geschichtlichen Weg des europäischen Judentums und zu seinem schweren Schicksal. Der Prager und Wiener Jude Franz Werfel bekennt sich hier vor allem angesichts innerjüdischer Kleingläubigkeit und außerjüdischer Feindseligkeit offen und frei zu jenem jüdischen Besitzbürgertum und Bildungsbürgertum, das der deutschen Kültüt'tma Geistigkeit “'zwischen “ 1820 und 1933 reiche Anregungen und reiche Be-“'; fruchtungen gebracht hat. Dieser Jacobowsky, den der Herr Oberst gerne wie eine kleine Laus zertreten möchte, dessen Namen er sich nicht merken will, dieser Mann von vier Fluchten ist ein Grandseigneur des Herzens und wahrhafter innerer Bildung. Ihm ist, von Gott her, die Rettung des Obersten und Mariannes anvertraut. Werfeis immanente Katholizi-tät. die bedeutsamer und wichtiger ist als alles äußere Bekehrerwesen, und sein immanent jüdisches Gottvertrauen vermählen sich in dieser Gestalt. Ernst Waldbrunn gelingt es, verhalten, still, die innere, schweigende Größe dieses Menschen darzustellen. Paul Hoffmann eindrucksvoll als Herr Oberst, ihm zur Seite in einprägsamer Konturierung, Rudolf Krismanek als Szabuniewicz, Hans Rüdgers als Brigadier der Sürete, Hans Jungbauer als „tragischer Herr“. Beklemmend Otto Schenk als Gestapomann in Zivil. Glaubwürdig im Wandel und Wachsen der Gestalt Sigrid Marquardt als Marianne. — Franz Reichert führt Regie. Abfallend in dieser prächtigen Aufführung nur die symbolhaften Szenen, so die Erscheinung des heiligen Franziskus und des Ewigen Juden. Friedrich Heer

Als die Wiener vor hundertzwanzig Jahren über Grillparzers einziges Lustspiel „W eh dem, der lügt“ nicht lachen wollten, beschworen sie den olympischen Zorn des Dichterfürsten auf sich. Einundvierzig Jahre später versuchte es Dingelstedt ein zweitesma! — und es kam, wie es bei Stücken, die zu Lebzeiten des Dichters durchfallen, nach seinem Tode meistens kommt: es war ein großer Erfolg. Worauf es in allen Ehren in das Repertoire der österreichischen Klassik aufgenommen wurde. Sehr zum Lachen war es — mit allem Respekt — freilich immer noch nicht. Bis schließlich nach weiteren neunundsiebzig Jahren, nämlich kürzlich, Leopold L i n d t b e r g kam. Und siegte. Er zeigte uns, wa.s ein Lustspiel ist, ob klassisch oder nicht. Ohne Erbarmen und ohne ..falsche Scham“, mit Parodie und Persiflage und dreistem Witz, mit einem Szenarium, das gut und gerne an einen indianisch-teutonisch-mongolischen Menschenfresserkral erinnert, mit grölenden und lallenden Germanen, die so sehr dem Trunk und seinen psychischen Folgen ergeben sind, daß Hofrat Grillparzer vor Schreck erblaßt wäre. Der Erfolg ist eindeutig auf Lindtbergs Seite, zumal seine Regie die Schauspieler beflügelt zu haben scheint. Andreas Wolf und Fred Hennings sind von einer ungewohnten Komik; Aglaja Schmidt so flink, lebhaft und bezaubernd wie schon lange nicht. Nur Hugo Gottschlich tut des Guten doch zu viel. Den Küchenjungen Leon spielt ein Gast aus Zürich: Peter B r o g 1 i, aufgeweckt und jugendlich und feurig, von überschäumendem groteskem Charme. Eine vorzügliche Leistung. Die hübschen Bühnenbilder am Rand des Kitsches stammen von Theo Otto, die humorigen Kostüme entwarf Elli Rolf.

Die beiden Stücke „Biedermann“ und „Hotz“ von Max Frisch, die unter der Regie Oscar Waelterlins durch das Schauspielhaus Zürich im Burgtheater aufgeführt wurden, haben wir bereits in der „Furche“ Nummer 22 vom 31. Mai besprochen.

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