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Gastspiel der Italiener und der Deutschen

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Im Rahmen der Wiener Festwochen gastierten zuletzt ein italienisches und ein deutsches Ensemble im Burgtheater. Vittorio G a s s-m a n spielt mit seiner Gruppe „O r e s t e“ von Vittorio A1 f i e r i. Es ziemt dem Wiener, dem Oesterreicher, sich zu erinnern: wenn da, im schweren, reinen Klang der italienischen Hochsprache aus dem Geiste eines Klassikers der italienischen Literatur, aus dem Munde von Spitzenkönnern der gegenwärtigen dramatischen Kunst in Italien im Großraum der Burg italienisch gesprochen und agiert wird, dann wird hier, fast unbewußt, ein großer Bogen zurückgeschlagen. Wird eine Kontinuität gewonnen, die lange unterbrochen war: Alfieri hat Metastasio „überwunden“, zu dessen Lebzeiten Wien, wie italienische Historiker zugeben, die Hauptstadt der italienischen Sprache in Europa war. Herrscher in Oesterreich und den italischen Staaten der Habsburger waren seit den Tagen Galileis in Florenz immer wieder die Schirmherren, und Brotgeber italienischer Dichter, Denker und religiöser Reformer. Seit dem Risorgimento ist diese vielhundertjährige Kontinuität, zu beider Schaden, im Bewußtsein und Wissen des Volkes in Italien und Oesterreich verdrängt worden. Es. hat also vielfach guten Sinn, italienische Gäste an die Wiener Burg einzuladen. — Zur Aufführung des „Oreste“. Gassman ist als Kritiker, Dichter, Filmschauspieler, Regisseur weithin bekannt geworden. Wenn wir aber an die Italiener des Vorjahres denken, an das Teätro piecolo di Milano, und an Vic Oliver mit seinem „Titus An-dronicus“, um die Pole moderner Schauspielkunst anzudeuten, dann darf offen eingestanden werden: die Pathetik dieses „Orestre“ ist wohl „klassisch“, Auffassung und Darstellung besitzen jedoch nicht die Intensität und innere Dimension, die zur Wiedergeburt klassischer Stücke nach unserem Empfinden heute nötig sind. Hier herrscht kluge Anempfindung, nicht aber schöpferische Wiedergewinnung des großen, edlen Gutes. Stofflich interessiert vielleicht am stärksten die Umdeutung der Klytemnestra: italienische' Hochschätzung vor- der Mutter und Muttermacht läßt sie hier, bei Alfieri, zu einer von Schmerz und Gewissensbissen zerrissenen Wehmutter werden, die doch nicht dem Bann des Verführers, des Schurken Aegist entrinnen kann. — Bleibt die Aufführung auch in durchdachter Konvention, klug gesteuert, befangen, bleibt uns doch eine schöne Erinnerung: Klang der Sprache, Spiel der edlen Gebärden.

Das Mannheimer Nationaltheater kam zu uns mft 'einem Werk von Ernst ' B ä rla c h, „Di e“

S ü n d f 1 u t“. Barlach, der Bildhauer und Dichter, ist auf seine Weise ein Gegenstück zu unserem Kubin. Beide sahen in ihren Gesichten und Gerichtsvisionen die Schrecken der Kriege und Verbrechen unseres Zeitalters, wollen sie binden, bannen und zur Entsühnung und Versöhnung führen. Kubin kreist um den Barock, Barlach um den Zorn Gottes und den Zorn des Menschen wie der junge Luther. Seine Sündflut ist, vordergründig gesehen, ein mächtiger Wortstreit des immer zur Rebellion neigenden Menschen mit Gott-Vater, ist hintergründig, und das gibt dem Stück die wirkliche Spannung, ein Kampf in Gott selbst. Nemo contra deum nisi deus ipse, lautet ein alter mystischer Spruch: Niemand ist gegen Gott als Gott selbst. Gott tritt da selbst auf die Bühne als Herr, Richter und Vernichter, als Herrscher, den es reut, den Menschen geschaffen zu haben, und tritt gleich darauf in anderer Gestalt auf die Bühne: als Schmerzensmann, Bettler, verfolgt, geschlagen von den Menschen, Seinen Kindern. Der Streit um das Gottesbild — um den „größeren Gott“, wie Barlach selbst sagt, der Kampf um Gottes Zorn und den Gott der Liebe, wird auf Erden ausgetragen im Streit zwischen Noah und Calan, seinem dunklen Gegenbild, einer Personifikation unterbewußter Schichten im Gottesbild Noahs, der Menschheit, der Christenheit. Gott des Gerichtes, Gottes des Erbarmens. Die letzte Auseinandersetzung zwischen Noah, der in die Arche steigt, und Calan, der verendet, ist eine groß geartete Auseinandersetzung zwischen christlicher Orthodoxie und Mystik. — Die Mannheimer Aufführung ist stark, eindrucksvoll, in bestem Sinne modernes Theater. Durchdacht, durchformt vom Bühnenbild bis in die kleinste Geste. Eindrucksvoll bilden die Masken und Gestalten der Schauspieler Barlachs wuchtende plastische Figuren nach; Trauer, Schmerz, Drohung und Verheißung, gegossen in sich rundende, schwerblütige Form. Es ist schön, daß Wien die Bekanntschaft mit diesem Barlach und diesen Mannheimern machen durfte. Eine wirkliche Bereicherung.

Im Akademietheater wird eine liebenswürdige Komödie von Franz H r a s t n i k, „Das Fräulein vom Kahlenberg“, gespielt. Käthe Gold gibt dem Mädchen der Legende, das eine schier unendliche Zeit auf seinen Liebsten wartet, Anmut und Ernst, das Kapriziöse und Zärtliche, das in dieser Gestalt angelegt ist. Ein heiteres Spiel mit verschiedenen Schichten, dem Sommerwind zur Obhut anvertraut. Die Schar der Männer um dieses Mädchen vom Kahlenberg wird von Fred Liewehr treffsicher angefuhrt.

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