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Die Wiener Aschenmänner

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Ein Stück Fastenpoesie.

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Ein Stück Fastenpoesie.

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Dem Volk von Wien hat es in den vielen Bedrängnissen, die ihm seine Geschichte verhängte, Gott auch stets gegeben, „zu sagen, was es leidet“, nicht in sentimentaler, erkünstelter Form, die seinem reschen Wesen nicht läge. Volkstümliche Strophen und Bänkelsängerreime, aus dem Mund anonymer Stegreifdichter flogen durch die Wiener Straßen, Not und Sorgen der Zeit, aber auch unerschütterlichen Glauben an eine bessere Zukunft bekundend. Wer denkt dabei nicht an die umstrittene Figur des lieben Augustin, der durch die von Türken- und Pestnot verstörte Stadt seinen Dudelsack ertönen ließ?

In seiner Nachfolge sangen noch viele andere unbekannte Musikanten in den Wiener Vorstadthöfen ihre immer gerne gehörten G'stanzeln von der Überwindung vorbestimmter Drangsale durch Ergebung und — gute Laune. Oft erfolgte der Vortrag ganz spontan als Begleitung zu irgend einer handwerklichen Arbeit.

Die Aschenmänner hatten in der Zeit, als man noch keine Kohlenfeuerung kannte, die Aufgabe, aus den Häusern die Holzasche zu sammeln und sie — ganz wie heute — der Laugenbereitung zuzuführen. Ihr monotoner Ruf: an Aschen, an Aschen! kündigte der Wiener Biedermeierhausfrau ihr Kommen an. Manchmal improvisierte ein solcher Aschenmann um seinen Gewerberuf ein Verslein, das auf Zeitereignisse anspielte. In der Fastenzeit erinnerten die grauen, freudlosen Gestalten auch an das Mahnwort der Kirche am Aschermittwoch: „Gedenke, o Mensch, daß du Staub bist — —!“ Bekanntlich hat Ferdinand Raimund den Wiener Aschenmann in die Sphäre der Weltliteratur erhoben und in seinem „Bauer als Millionär“ in der Rolle des Wurzel mit dem Aschenlied 'einen durch ein Jahrhundert nachwirkenden Erfolg erzielt. Diese nachdenklichen und anspruchslosen Reime vom Ursprung so vieler menschlicher Übel aus Hochmut und Egoismus, von der Vergänglichkeit alles menschlichen Glückes, aber auch alles menschlichen Unglückes, kamen aus dem Herzen des Volkes und sprachen zum Herzen des Volkes.

So ist es auch nicht zu verwundern, daß noch Jahrzehnte hindurch, als die wirklichen Aschenmänner schon aus dem Wiener Stadtbild verschwunden waren und Raimunds Irdisches im Gutensteiner Friedhof zu Staub zerfiel, noch immer symbolische Aschenmänner — übrigens auch Aschenweiber — auftraten und in fliegenden Blättern oder als Straßensänger Zeitereignisse kommentierten.

Im Frühjahr 1842 verwüstete eine Feuersbrunst die Stadt Steyr mit den Vororten Wieserfeld und Steyerdorf. 250 Häuser fielen dem Feuer zum Opfer. Damals trug der Wiener Volkssänger Johann Baptist Moser sein Lied vom „Aschenmann aus Stadt Steyr“ vor, das heute wieder traurige Aktualität besitzt:

Ihr Freunde, hört midi an!.
Ich komm' als Aschenmann,
Die Butten voll und schwer,
Jetzt von Stadt Steyr her,
Denn dort, wo's Geld stets bar
Und Eisen Silber war,
Schaut jetzt von Haus zu Haus
Fast gar nix mehr heraus,
Als Aschen, als Aschen!

Denn wenn auch Herr und Knecht
Gern in die Werkstatt möcht
Und Arbeit findet gnua,
Sie können nicht dazua,
Vor Aschen, vor Aschen!

Verheert durch argen Brand,
Ist Steyr Stadt und Land,
Ganz hilflos und allein,
Sich selbst genug zu sein

Als Aschen — —

Auch das Sturmjahr 1848 fand in Wien einen „Aschenmann“. Es war ein Bänkeldichter namens August Betz, der zuerst in den Reihen der Nationalgarde wacker in das revolutionäre Horn gestoßen hatte. Später aber, unter dem Druck trüber Erfahrungen, tat er Asche auf sein Haupt und beklagte „mit graubestäubter Leier“ die Verwüstungen, die bei der Einnahme der Stadt Wien durch die kaiserlichen Truppen unter der Führung des Fürsten Windischgrätz entstanden waren:

Richt' man den Blick auf Wien
Und die Verwüstung drin,
Was mir da haben erfahren,
G'schiedn nicht in hundert Jahren —
Die Linie von Sankt Marx,
Das war gewiß was Arg's,
Zerschossen und verbrannt,
Man hat fast nix mehr kannt,
Vor Aschen, vor Aschen.

Auch die Schäden in den übrigen Vorstädten, Lerchenfeld, Liechtental, Nußdorf und so weiter, werden in ähnlicher Weise besungen. Zum Schluß mahnt aber der vernünftig gewordene Verfasser in Hinblick auf das allgemeine Menschenlos zu Versöhnlichkeit und Mitgefühl:

— — Doch denkt man einmal drauf:
Es ist der Zeiten Lauf,
Der alles das hat bracht.
Durch eine höhere Macht.
Der Menschheit, die bedrängt,
Sei unser Mitleid g'schenkt.
Wie lange steht's noch an
Und wir sind alle z'samm
An Aschen, an Aschen!

Als im Jahre 1854 der Krimkrieg die Interessen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie „auf das stärkste berührte, erschien alsogleich ein europäischer Aschenmann“, wie man zugeben wird, eine heute wieder aktuelle Figur. Ein zeitgenössischer Stich, zeigt ihn mit seiner Aschenbutten auf dem Hintergrund der brennenden Festung Sebastopol:

— — Es ziehen, o bittre Not,
Die Leut' in sichern Tod,
's wird g'schossen und gehaut,
Daß einem völlig graut.
Doch das bringt kan Profit,
Es ist das End vom Lied An Aschen, an Aschen!
Armeen der Türkei
Stehen in der Wallachei,
Der Moldau und der Krim
Und kehrt man dann zurück,
Hat man vom Kriegesglück
An Aschen, an Aschen!

Und raufen sich voll Grimm. Schließlich wird in wienerisch-unheroischem Ton Ruhe und Friede als das beste Bürgerglück gepriesen: Ich denk mir halt soviel — mag siegen, wer da will! Es liegt mir — ich' muß sagen, das Kriegführen schon im Magen — Oft fällt der beste Held beim ersten Treffen sdion — Was hat er dann davon? An Aschen! —

In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts verstummen die Aschenlieder. Eine in Merkantilismus und technischen Fortschritt hochmütig sich verhaltende Welt verstand ihren Sinn nicht mehr. Nur hie und da wurden noch, wie sich alte Wiener Theaterfreunde erinnern, bei Aufführungen des „Bauer als Millionär“ von den Darstellern des Wurzel neue Aschenstrophen extemporiert, so auch von dem großen Volkssdiauspieler Alexander Girardi,' dessen Bild Alexander Golz in dieser seiner Glanzrolle in einem großen Gemälde verewigte.

Man könnte sich wohl vorstellen, daß aus den Bombenruinen Wiens von anno 1946 wiederum ein Aschenmann hervorkäme und die Wiener mit kernigem Zuspruch tröstete: So manche Illusion, so mancher protzige Hochmut — an Aschen, Gottvertrauen: festes Zugreifen, Nächstenliebe — kan Aschen!

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