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Perspektiven der Freiheit

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Wiens Theater feiern und gestalten die eben beginnenden Wiener Festwochen 1961 durch einen Zyklus „Die Idee der Freiheit im Drama“. Französische, griechische und Schweizer Bühnen werden in Gastspielen zum selben Thema ihren Beitrag leisten: Das Ringen um Freiheit ist ein Grundton der großen europäischen Symphonie. Das Volkstheater hat mit Mut, Ehrgeiz und sorgfältiger Bemühung ein Werk gewählt, in dem das beste Denken des alten Österreichs verdichtet ist: Grillparzers Trauerspiel „Libussa“. Grillparzer blickt Jahrtausende zurück: Auf das Ringen zwi-■ sehen Muttermacht (die mehr ist als ein Matriarchat) und Mannesherrschaft (die mehr ist als ein Patriarchat): Sage, Legende, Mythos um die Geschichtswerdung des tschechischen Volkes, um seinen Einzug in die europäische Passion, werden dem Wiener Dichter — in einem Wien, das lange Zeit die größte, volkreichste Stadt auch der Tschechen war — zum willkommenen Anlaß, um zunächst einmal den ersten großen Stimmbruch der Menschheit zu meditieren: wie da die Sprache der Urzeit, der Weisheit, im Schoß des Seins geboren und geborgen, durch weise Frauen, Urmütter, verkündet und behütet, bricht; auch zerschlagen wird durch das Wort und Schwert von „Männern“. Libussa steht für diese Frühzeit des Menschen, in der Beschwörung, im Zauberlied, im „Charme“, Versöhnung durch Liebesmacht und „Vertrauen“ (das Grundwort der Maria Theresia) mehr gilt als das Scheltwort und der Streit der Männer. Eben diese Frühzeit ist jedoch bereits dekadent: Die Wladiken, die Fürsten des Tschechenvolkes, sind bereits harte Flerren, die sich das Recht nehmen mit ihrem Volk zu tun, was sie wollen. Herrenzeit ist bereits da; nur ein wahrer Herr kann sie . händigen: Primislaus, der heile Fürst, der vom Acker und der Pflugschar kommt und die Schwelle zur Zukunft schafft und überschreitet: Praha, die goldene Stadt.

Grillparzer verschmilzt, in bester österreichischer Tradition, Politik, Metapolitik, Eros, Ethos und privateste Menschlichkeit: die dramatischen Beziehungen zwischen Libussa und Primislaus, die stellenweise an den Rand eines Penthesilea-Achilles- Kampfes auf Leben und Tod führen, zwischen1 der. Jungfran’die sehr politische Zukunft. Der Brennspiegel des Poeten und politischen Denkers Grillparzer sammelt die Lichter, Gewitter und Strahlungen der Vergangenheit und der Zukunft, um die Gefahr und Chance des Menschen in der Gegenwart zu beleuchten: gefährlich ist die Freiheit. Sie muß aber gewagt werden; weh aber dem, der um ihren Preis nicht weiß; Opfer, Selbstopfer oder Opfer des anderen — das kostet sie. — Es ist kein Zufall, daß man an der Schätzung dieses Bekenntniswerkes Grillparzers gerade heute wieder den Österreicher und den guten Europäer erkennen kann.

Endlich zur Aufführung. Das Bild des Vorhanges, das alle Szenen vorbeleuchtet, das mythische Pferd (Hans Fronius) weist auf ein Mysterienspiel hin; Elemente eines solchen, dazu die eines Märchens, dazu shakespearische Drolerien mischen sich mit anderen Elementen, so daß der Gesamteindruck etwas Unbewältigtes bekommt. Dazu mögen die Musik und das Bühnenbild (Gustav Manker), seine Komposition moderner und modernistischer Ornamente, ihrerseits beitragen, ln der Inszenierung durch Wolfgang Lieben einer stellt sich eine Aufführung vor, die der Ehren wert ist. Hilde K r a h 1 ist eine strahlende Königsmagd, Frau und Fürstin, Liebende, mächtig des guten Wortes, voll Kraft bis zum Zusammenbruch. Ihr tritt in Wilhelm Borchert als Primislaus eine Schauspielerpersönlichkeit entgegen, die man in Wien öfter in großen Aufgaben sehen möchte. Die drei Wladiken werden, in wirksamen Kostümen und Masken (Maxi Tschunko und Hans Kres), von den Herren Laforet, Stavjanik und Kunrad trefflich als betroffene Kumpane dargestellt. Die Schwestern Lihussas, Kascha und Tetka, überaus schwierige Rollen, sind Margarete Fries und Elisabeth Epp zur Gestaltung anvertraut. Für die Bewegung des Volkes und des Hofstaates der Libussa hat Rosalia Chladek Studierende der Tanzabteilung an der Akademie für • Musik und darstellende Kunst aufgeboten. Diese Tänze hängen etwas in der Luft, was mit der uneinheitlichen Konzeption der Aufführung zusammenhängt. Doch: diese Libussa 1961 sollte über die Festwochen hinaus ein nachdenkliches, aufnahmebereites Publikum finden.

Polens Stimme im Zyklus der „Idee der Freiheit im Drama“ wird, in der Josefstadt, durch Leon Kruczkowski vertreten, einen Autor des heutigen Polen. „Der erste Tag der Freiheit“ sollte nicht mit tagespolitischen Kategorien gemessen werden, auch nicht an dem, was das polnische Volk im letzten halben Jahrtausend und in den

letzten Jahrzehnten an Blutzoll gezahlt hat, um Freiheit, nach innen und außen, zu finden. Papieren mag demgegenüber mancher Wortwechsel in diesem Stück klingen. Fünf Offiziere erleben den ersten Tag in einer sofort fragwürdig werdenden Freiheit, nach fünf Jahren deutscher Kriegsgefangenschaft, in einer frontnahen deutschen Kleinstadt, die von ihren Bewohnern verlassen ist. Geblieben ist nur ein Arzt mit seinen drei halbwüchsigen Töchtern und, in einem Versteck, ein alter Gärtner, der die fatale Aufgabe hat, das fatale Requisit, eine Maschinenpistole, die ein fatales (unnötiges) Ende auslöst, bereitzustellen. Die Deutschen, der Arzt und seine drei Töchter, treten bei dem polnischen Dramatiker Kruczkowski hier nicht auf die Bühne, um das tausendjährige Gespräch der Polen und Deutschen aufzunehmen und weiterzuführen, sondern sind Figurinen, die dazu dienen, den Polen ihre innere Problematik, als Mensch und Mann, anzuzeigen. Die einzige Personbeziehung, zwischen der ältesten Tochter

und einem Offizier, endet tödlich. Nicole Heesters gestaltet dieses Mädchen Inge blutvoll, gegenwartsnah. Die Trauer, Tragik, Ausweglosigkeit einer vergewaltigten Jugend wird in dieser Leistung erinnert. Hans Holt, als Offizier Jan, ist ihr würdiger Gegenspieler: ein in sich Gefangener auch er. Von den übrigen Herren ist vorzüglich Leopold R u d o 1 f zu nennin: Tragik eines in armseligen Verhältnissen lebenden Mannes, der sich nur in der Gefangenschaft frei fühlte, da er dort geistig arbeiten konnte. Karl Fochler gibt dem deutschen Arzt ein einprägsames Gesicht, in dem Anständigkeit, Pedanterie, Hilflosigkeit und eine ernste Würde stehen. Ernst zu nehmen ist auf jeden Fall die Bemühung des Autors; diese Polen von heute machen es sich selbst durchaus nicht leicht, mit dem Bedenken der Freiheit. Übrigens ist uns kein österreichisches Stück bekannt, aus unseren Tagen, das diese mehr als aktuelle Problematik behandelt hat und auch auf geführt wurde

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