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Stifter, Saar und Grillparzer

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Die großen geistigen Strömungen des vergangenen Jahrhunderts wirkten sich in Österreich fast immer ein bis zwei Jahrzehnte später aus als im europäischen Westen und in Deutschland. Dafür aber gibt Österreich immer etwas Neues zum Übernommenen hinzu. So Grillparzer, der den Bogen vom klassizistischen zum realistischen Drama spannt, die Bürger aus Goethes Reich, Feuchtersieben und Stifter, die ältere österreichische Lyrik mit Lenau als Mittelpunkt, der ältere österreichische Realismus der Sealsfield, Kürnberger, des Novellisten Halm der jüngere der Anzengruber, Rosegger, Saar, Ebner-Es'chenbach, sie alle kommen später, bringen aber neue Farben, bahnen neue Entwicklungen an. Das Werk all dieser Dichter ist der Beweis dafür, daß all die kulturellen Ströme, die Österreich vielfach später erreichen als die übrigen europäischen Kulturzentren, sich hier tiefer auswirken als anderswo, daß hier aber auch Kulturkrisen- sicherer und endgültiger überwunden werden als anderswo.

So erreicht unsder Sieg der materialistischen Tendenzen ein Vierteljahrhundert nach dem Westen, setzt aber die Gegenwirkung, die Meisterung der neuen Verhältnisse fast zur selben Zeit ein als jenseits unserer Grenzen. In der Zeit um Goethes Tod erliegt der Mensch der deutschen Klassik, der Mensch von Weimar, aber auch der Mensdi der Romantik dem Ansturm der rein zivilisatorischen, mechanisierenden Kräfte. Das junge Deutschland, die linken Hegelianer, Feuerbach und Stirner sind die Stürmer, auf ihren Sdiultern stehen die Materialisten, die Positivisten, Darwin und sein Gefolge; schon jauchzt der Siegesschrei vom I'homme machine wieder einmal durch die Welt, aber schon kommen die Männer, die die neue Lage zu meistern versuchen, die Kultur, Geist und Persönlichkeit in einer neuen Welt wieder aufleben lassen, die einer hart und nüchtern gewordenen Welt wieder-Sinn und Ziel geben.

In Österreich erleben wir diesen Kulturbruch, den Sieg der mechanisierenden Kräfte, den Untergang des Alten im Jahrzehnt von 1855 bis 1865, dann kommt die Zeit des Verarbeitens des Neuen im Werk Anzen-grubers und Ferdinand von Saars; die Überwindung, das Meistern der Probleme der neuen Zeit, des neuen Menschen bringt das Alterswerk Grillparzers, das auch heute noch ■lange nicht ausgeschöpfte Alterswerk des größten Sohnes unserer Heimat. Beiträge dazu geben dann noch die Werke Anton Pichlers, Marie von Ebner-Eschenbachs, Schönherrs, Wildgans und Rilkes.

Adalbert Stifter steht noch jenseits des großen Kulturbruches. Er ist noch der metaphysisch verankerte Mensch einer ungebrochenen Zeit. Alles Einzelne, Seltsame, Neue erweist ihm nur das Ganze, Ewige, Unwandelbare. Er ist auf unausdrückbare Weise der Natur und dem Leben verhaftet, daher bejaht er die zu seiner Zeit gegebenen, ihm naturhaften Verhältnisse, strebt überall aach dem Einigenden, dem höheren Gesetz, das das Zerstörende, Trennende nur als das zu Überwindende erkennen läßt. Dieses höhere Gesetz hat seiner Meinung nach die „schönere“ Dichtung zu zeigen, die der Wirklichkeit als höhere Evidenz, als reineres Verhältnis gegenübergestellt wird. In ihm lebt eine tief gläubige Zuversicht vom Sieg des Guten, in dessen Dienst er seine Dichtung stellt.

Ferdinand von Saar hingegen ist der Künstler, der tiefer als alle andern das

Drama der Wende erlebt, ihm Tum Opfer fällt. Noch einmal leuchten im „Innocens“ die alten Sterne in ewiger Pracht, dann aber steigt vor ihm das Chaos der neuen Zeit auf, sieht er den Untergang des alten, kulturell überreichen Österreich. Schaut er ins Elend der gehetzten Natur und erlebt das Versinken immer breiterer Schichten in immer tiefere Not des Leibes und der Seele. Der alte Glaube an die göttlichen Wurzeln des Seins sinkt ihm dahin, er sieht die alten Fackeln erlöschen und kann die Untergangs-stimmung nicht mehr bannen. Immer düsterer wird ihm die Welt, immer düsterer werden die Bilder, die er von ihr schafft. Er liebt die alte versinkende Pracht, ihre reiche Lebensfülle, ihr Beherrschen des Lebens, ihre adelige Haltung, so heiß wie kein anderer und wird doch in eine Zeit gedrängt, die in allem ihr Gegenpol ist. Nur für die heranwachsende Generation hofft er noch, glaubt

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So stehen die beiden großen österreichischen Epiker aa beiden Seiten der großen Kluft. Nur einer spannte den Bogen über sie, war junger Sieger im griechischen Gewand, erlebte tiefer als die andern den Niederbruch, war aber früher als sie am Werk, ihn zu überwinden. Und er gab dem Menschen unseres Raumes neue Ziele, wies ihm das Schicksal seiner Sendung und wies ihm die neuen Wege. Es war Franz Grillparzer mit seinen Werken vom „Bruderzwist“ bis zur „Libussa“. Lange hat ihn Unverständnis verstummen lassen. In dieser Zeit des Schweigens erlebt er früher als die andern die tiefe Krise. Zuerst sucht er ihrer in seinen historischen und philosophischen Studien Herr zu werden. In dieser Zeit überwindet er den Rationalismus seiner josephinischen Jugend, wird dem katholischen Mutterboden seines Lebens, seiner Heimat wieder gerechter und versucht die neuen Verhältnisse zu meistern, die neuen Lösungen zu finden. Der vergrämte altösterreichische Beamte sieht tiefer als seine erfolgreicheren Rivalen um den Lorbeer des ersten Dramatiker seiner Zeit, tiefer als Friedrich Hebbel, der letzthin doch Hegel verhaftet bleibt, tiefer als Richard Wagner, der sich bei einer Synthesis der Oberfläche zwischen dem ästhetischen Pantheismus Schopenhauers und einem buddhistisch gefärbten Christentum beruhigt.

In seinen Alterswerken, die er scheu im Schreibtisch verbirgt, in der „Jüdin von Toledo“, dem gewaltigen „Bruderzwist“, dem Drama Österreichs, in der „Libussa“, die man nicht ganz mit Unrecht einen österreichischen Faust genannt hat, im wundervollen „Ester“-Fragment gibt Grillparzer auch dem Menschen unserer Zeit Ziel und Halt, weist ihm den Weg zu neuen Ufern, läßt ihn an einen neuen Morgen glauben und ihn die ewigen Werttafeln wieder erkennen, die allein allem Menschensein Sinn und Ziel geben können.

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