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Die Botschaft aus dem Husarensaal

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Diesmal ging es um die weitere Existenz des Grillparzer-Forums Forchtenstein: so das Gefühl, als sich die Teilnehmer am 11. und 12. Juni zur achtzehnten Tagung des Forums im Husarensaal der Esterhazy-Burg im Burgenland versammelten. Nach dem Tode Herbert Alsens im Oktober vorigen Jahres, des von unbeugsamem Idealismus erfüllten Initiators und Intendanten der Burgenländischen Festspiele und des Grillparzer-Forums, schienen zunächst beide, Festspiele und Forum, verwaist, herrenlos. Für die Festspiele fand sich schließlich eine Lösung in der Person des erfahrenen Burgtheaterschauspielers Fred Lie-wehr.

Was die Operettenspiele auf der Seebühne in Mörbisch betrifft, war es klar, daß ihr Weiterbestand nicht in Frage gestellt wurde. Die Frage ging vielmehr dahin, wieweit die Spiele im Burggraben von Forchtenstein auch in Zukunft ausschließlich dem Werk Grillparzers gewidmet sein sollen. Nun, Grülparzer hat neun vollendete Theaterstücke verfaßt, dazu kommt der gar nicht uninteressante Operntext der „Melusina“. Man sollte meinen, daß im Verlauf von rund einem Jahrzehnt Neuinszenierungen in einer ständig sich wandelnden Sicht durchaus Interesse finden könnten. Dazu kommt, daß die Grülparzer-Aufführungen auf Forchtenstein nach dem Kriege die einzige ständige Pflege des dramatischen Oeuvres des ersten „kakanischen“ Dichters darstellen. Tatsächlich stellte während der diesjährigen Forumstagung Gerald Szyszkowiz vom ORF, Wien, fest, daß die meisten Fernsehaufzeichnungen Grillparzerscher Stücke auf Forchtenstein gemacht wurden, eben weü diese anderswo nur selten zu sehen sind.

Sowohl die Seespiele in Mörbisch wie die Grülparzer-Spiele im Burggraben, sind für alle „sichtbar“, einsichtbar. Was aber tun die Leute, die Wissenschaftler, Germanisten, Theaterleute, Publizisten, Journalisten dort oben auf der Burg, hinter dem dicken, alten Gemäuer des Husarensaals? Sie kommen aus allen Teilen der Welt, aus Ländern diesseits und jenseits des Ozeans, nicht nur aus West, sondern auch aus Ost, im geographischen wie politischen Sinn, ja selbst aus dem fernen Japan. Doch was sie dort tun, ist für die unmittelbare Umgebung nicht „sichtbar“, einsichtbar. Sie kommen und reisen wieder ab. Daß von dem alten Husarensaal neue Erkenntnisse über Grülparzer und Österreich, im engsten wie im weitesten Sinn, in die Welt hinausgetragen werden, ist eine belegbare Versicherung. Forchtenstein ist zu einer Identifikation mit Grillparzer-Forschung geworden. Herbert Seidler von der Universität Wien zählt in seinem Forschungsbericht die erstaunliche Fülle von Arbeiten und Publikationen über den österreichischen Dichter auf, unterschiedlichste und widersprüchlichste, aber stets engagierte.

Es ging diesmal zusätzlich darum, gewissermaßen aus dem „steinernen Turm“ auszubrechen. So berichteten auf Initiative des Landesrats für Kultur, Gerald Mader, und „moderiert“ von Hellmut Andics, diesmal am Schluß der Tagung im Kulturzentrum Mattersburg Forumsteilnehmer über die Arbeiten im Husarensaal und stellten sie zur Diskussion.

Neben diesem ersten „Erneuerungsversuch“ gab es noch andere. Vor allem soll, außer den unmittelbar auf Grülparzer bezogenen Themen, jedes Mal auch ein mittelbar mit ihnen zusammenhängendes, allgemeineres behandelt werden. Diesmal lautete das Thema: „Wozu Klassikerheute?“ Die Diskussion wurde, wie immer, vom Präsidenten des Forums, Heinz Kindermann (Universität Wien) umsichtig geleitet und von dessen Vizepräsidentin Margret Dietrich (ebenfalls Universität Wien) durch anregende Fragen belebt.

Der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Ernst Haeusser-man, erklärte entschieden, die Klassiker müssen gespielt werden, weil von ihnen die besten Stücke stammen, weil sie die besten Rollen geschrieben haben und weil sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Freilich müßten sie so gespielt werden, daß die Frage: „Wozu Klassikerheute?“, gar nicht gestellt werden kann. Womit er in keiner Weise den „spekulativen Verfälschungen“ der Klassiker durch Regisseure, wie sie heute „epidemisch“ auftreten, das Wort reden wolle.

Besonders interessant die Feststellung Günther Rühles von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die hektischen Bemühungen der bundesdeutschen Regisseure um die

Klassiker erfolgten aus der Angst, das große klassische Erbe zu verlieren, aus der Angst, es könnte etwas entschwinden, für das es keinen Ersatz gibt. Während es einerseits einen „Klassikerhunger“ gebe, sehe man auf der Bühne kaum mehr einen Klassiker in der vertrauten Form. Der Regisseur arbeite für den Augen-bück, wende sich an eine „permissive Gesellschaft“, für die die Wertmaßstäbe der Klassiker nicht mehr gelten, deren Menschenbüd sei dem des „Funktionärs“ gewichen. Die Aufbereitung des szenischen Materials, das die Klassiker bieten, durch neue Darstellungsformen sei also eine Art „Rettungsversuch“.

Der künftige Direktor des Wiener Volkstheaters, Paul Blaha (seine Äußerung wurde verlesen) antwortete auf die gesteUte Frage mit einer Gegenfrage: „Warum nicht Klassiker?“ Deren Stücke seien einmal Zeitstücke gewesen. Spätere Generationen hätten sie verstauben lassen. Es komme darauf an, sie von der Konvention zu säubern.

Die Diskussion über Grillparzers „Libussa“, die in diesem Sommer im Burggrabeji gespielt wird, eröffnete Zdenko Skreb von der Universität Zagreb, Autor des Buches „Grülparzer und das Theater seiner Zeit“. Seiner Meinung nach hat der Dichter die von ihm selbst befürchtete Gefahr eines kalten Ideendramas dadurch großartig überwunden, daß er aus den Ideenträgern Libussa und Primislaus eine Art Romeo und Juüa werden üeß, zwei Menschen in ihrer einfachen Menschlichkeit. Uber die Grundsätze der Fassung und Inszenierung der ,.Libussa“ im Burggraben durch Dietrich Haugk gab die HauptdarsteUe-rin Elisabeth Orth, temperamentvoll Auskunft; ihr wurde übrigens der diesjährige Grülparzer-Ring verliehen, neben dem Generalintendanten der Bühnen der Stadt Münster, Frieder Lorenz, der durch Krankheit am persöiüichen Erscheinen verhindert war.

Viele bisher nicht so klar gesehene Zusammenhänge mit der „Böhmischen Frage“ in der Habsburger-Monarchie, deckte Adam Wandruszka (Universität Wien) in semer Darlegung der „politisch-historischen Voraussetzungen der .Libussa' “ auf. Verblüffend die Auskünfte, die Harald Zusanek, Dramatiker und Professor an der Hochschule für Musik und darsteUende Kunst, Wien, über die „MatriarchatsmodeUe“ in Grülparzers Stück gab. Ein Matriarchat im mutterrechtlichen Sinn habe es nie gegeben, wohl aber eine „weibü-che Dominanz“ in den Frühkulturen.

Die Schlußfrage: „Was bedeutet Grülparzer für die Gegenwart?“, zu beantworten oblag dem Verfasser dieses Berichts. Die Antwort sei in Kurzfassung wiedergegeben.

Der Dichter, der die blutigen Katastrophen, die wir durchlebt haben und noch durchleben, voraussah, hat uns als seine Botschaft die Mahnung hinterlassen, über aüe nationalen, ideologischen und sonstigen Weltkonflikte hinweg, in Toleranz den Menschen unverletzt zu bewahren. Den Menschen, nicht als irgendein abstraktes oder nebulo-ses Ideal, sondern den Menschen ganz konkret, in Fleisch und Blut, mit seiner Seele, seiner Psychologie, die Grülparzer in seinen Stücken so großartig entfaltet hat. „Kein Königsschloß mag sich vergleichen mit dem Menschenleib“, heißt er, im „Ottokar“.

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