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ANRUF GENÜGT, KOMMEN INS HAUS

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Als der junge enthusiastische Idealist, Schauspieler und Regisseur Otto Kery im Jahre 1946 eine burgenländische Reisebühne aufzubauen begann, dachte er sicherlich nicht daran, daß er 20 Jahre später jubilierender Direktor eines der modernsten, größten und besteingerichteten nichtstabilen Theater sein würde. Der Weg vom mietweisen Einquartieren des eher bescheidenen Thespiskarrens bis zur 8X10-Meter-Bühne war ja auch ziemlich weit. An der künstlerischen Qualität sollte allerdings von Anfang an kein Zweifel bestehen: So fand beispielsweise die erste Dichterlesung im Eisenstädter Klostersaal unter anderem mit Martha Wallner und Erich Auer statt und die Eröffnungs- premiere (Karl Schönherrs „Erde“) im Schloßsaal Eisenstadt Anfang Dezember 1946 mit Otto Kery in der Hauptrolle unter der Regie von Burgschauspieler Helmut Krauss. Ebensowenig durfte die Kulturmission der Landesbühne in Frage stehen. Sie wollte „das Theater für das ganze Bundesland“ werden, kulturelles Leben auf breiter Ebene vermitteln und bespielte daher ständig rund 25 Orte des über 300 Gemeinden umfassenden Burgenlandes. Und wenn die Landesbühne im Jubiläumsjahr über ihre vollbrachten Leistungen Rechenschaft ablegen müßte, dann könnte sie mit überaus respektablen Zahlen aufwarten:

• Von August 1946 bis einschließlich Dezember 1965 gab das Theater 4578 Vorstellungen, die sich in 1678 Abend-, 1201 Schüler-, 1699 Märchen-, 51 Burgspiel- und andere Freilichtaufführungen aufschlüsseln lassen. In 134 Inszenierungen wurden dabei 125 Stücke völlig verschiedener Art gespielt.

• Diese 4578 Vorstellungen wurden auf 87 Tourneen gezeigt, wobei die „Auslandsreisen“ außerhalb des Burgenlandes 1952 mit Grillparzers „Medea“ in die Steiermark begannen und mit Aufführungen in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und der Bundesrepublik Deutschland ihre Fortsetzung fanden.

• Darüber hinaus wäre der Aufbau der Freilichtbühnen im Burgenland ohne den Beitrag der Landesbühne nicht denkbar gewesen. Sie veranstaltete 1953 in Schlaining die ersten Burgspiele, denen 1954 solche im Schloßpark von Pinkafeld folgten. Den eigentlichen Höhepunkt dieser Entwicklung bildete aber die Gründung der Burgspiele in Forchtenstein im Juni 1954 mit dem lokalhistorischen Werk „Maria Hof- mairin“ von Franz Probst. Seine Stücke „1684 — ein Kampf um Glaube und Heimat“, „Die Brüder von Forchtenstein“ und „Die Hexe von Forchtenstein“ folgten in den nächsten Jahren. Der Grundstein einer Tradition war gelegt.

Um dieses gewaltige Pensum an Aufgaben erfüllen zu können, wurde neben dem ohnehin vorausgesetzten Enthusiasmus ein entsprechender technischer Apparat unerläßlich. Er konnte im Laufe der Zeit mit Hilfe der burgenländischen Landesregierung und des Bundesministeriums für Unterricht geschaffen werden. Heute besitzt die Landesbühne einen Bus für die Transporte, einen Werbe- und Direktionswagen und einige Probenräumlichkeiten in Wien.

Die neue Bühnenanlage macht durch ihre Größe (der Auf- und Abbau dauert eineinhalb Tage) eine Beschränkung von 25 auf rund zehn Spielorte innerhalb des Burgenlandes notwendig, weil einfach nicht genügend repräsentative Örtlichkeiten vorhanden sind. Diese Beschränkung kommt aber der Qualität wahrscheinlich insoferne zugute, als bei einer Reduzierung des allzu bewegten Reisebetriebes ruhigere und konzentriertere Proben und damit höhere technische und künstlerische Leistungen zu erwarten sind. Ansätze und Vorbilder gibt es genug. Die Liste der ehemals an der Landesbühne tätigen Künstler hat nämlich eine Reihe von bedeutenden Namen aufzuweisen. Gleich zu Beginn zählten Martha Wallner und Erich Auer zu ihren Mitgliedern, später Fritz Hönigschmid, Hanna Borak, Alexander Taghoff, Robert Werner, Maria Menzel, Ernst Essel, Walter Kohut, Herbert Kragora, Georg Corten und andere, neben den Regisseuren Helmut Krauss, Eduard Graf, Reinhold Siegert, Heinz Groh- mann, Walter Sofka, Otto Löwe, Robert Brigg... Zeitweise gehörte auch Direktor Otto Kery selbst zu ihnen. Bald aber ließen ihm die organisatorische Bewältigung der manchmal fast unlösbar erscheinenden Aufgaben keine Zeit mehr dazu. Er hatte die technisch oft problematischen Tourneen zu arrangieren, sorgte für einen niveauvollen Spielplan und für das wachsende Ansehen der Burgenländischen Landesbühne. Otto Kery wurde dafür 1963 mit dem Ehrenzeichen für Verdienste um das Burgenland und 1964 mit dem Direktorenpreis der deutschen Bundesrepublik ausgezeichnet.

Gegenwärtig sieht das Ensemble der Landesbühne folgendermaßen aus: Jutta Heinz, Elisabeth Joachim, Helga Schöl- ler, Rudolf Arnheimer, Otto Beier, Günther Panak, Hannes Wedtgrube und Karl Winkler. Als Regisseure werden Tino Schubert und Otto Beier eingesetzt, die Bühnenbilder besorgt Heinz Ockermüller.

Mit den vorhandenen Kräften gilt es nun immer wieder, den anspruchsvollen und abwechslungsreichen Spielplan zu halten, der in diesen letzten 20 Jahren ein interessantes Profil aufzuweisen hatte. Die Säulen des Konzepts sind Klassikeraufführungen, gefolgt von „klassischen“ Komödien und Volksstücken. Daneben gab es noch einige Kostproben moderner Dramatik und die ständigen Märchenvorstellungen für die jüngeren Schüler.

Bei den Klassikern waren es vor allem Grillparzer, Schiller, Lessing, Calderon und Shakespeare. Besonders aber Grillparzer. Von ihm wurden allein in den Jahren 1950/51 vier Stücke aufgeführt: „Des Meeres und der Liebe Wellen“, „Die Ahnfrau“, „Der Traum ein Leben“ und „Sappho“. In den folgenden Jahren scheint er noch sechsmal im Spielplan auf, der bei Wahrung eines weiten Horizonts im allgemeinen recht österreichisch gehalten ist. Von Schiller gab es „Kabale und Liebe“ in zwei Inszenierungen (1948 unter Lois Mitznegg, 1955 unter Eduard Graf), „Maria Stuart“ und „Don Carlos“, von Lessing „Emilia Galotti“.und „Minna von Barnhelm“, von Calderon „Das Leben ein Traum“ und „Dame Kobold“, von Shakespeare „Was ihr wollt“ und „Komödie der Irrungen“, schließlich noch je ein Werk von Eichendorff, Hebbel, Sudermann und Goethe, der sich mit einer „Faust-I“-Insze- nierung von und mit Burgschauspieler Helmut Siegert im Herbst 1949 eine stiefmütterliche Behandlung gefallen lassen mußte. Dafür wurde das Publikum mit anspruchsvollen Komödien förmlich verwöhnt. Moliėre („Der eingebildete Kranke“, „Der Geizige“) und Goldoni („Der Diener zweier Herrn“, „Der Lügner“) mußten sich hier quasi als Ausländer das Feld mit den heimischen Lustspielproduktionen älteren und neueren Datums teilen. Speziell das Wiener Volkstheater scheint auf der Burgenländischen Landesbühne vorzüglich zu gedeihen. Jedenfalls pflegt sie es von seinen Anfängen bis zum Höhepunkt: von der 1964 erfolgten Aufführung des „Furchtsamen“ vom Vater der Alt-Wiener Volkskomödie Philipp Hafner über Ferdinand Raimund bis zu Johann Nestroy, der mit sieben verschiedenen Stücken überhaupt der meistgespielte Autor der Landesbühne ist. „Der Talisman“, „Der Zerrissene“, „Einen Jux will er sich machen“, „Das Mädl aus der Vorstadt“, „Höllenangst“, „Die beiden Nachtwandler“ und „Lumpacivagabundus“ wurden in verschiedenen Inszenierungen herausgebracht und oft sehr lange auf dem Spielplan gehalten. Ähnlich ist es mit Raimund, von dem das Publikum den „Verschwender“, den „Bauer als Millionär“ und „Alpenkönig und Menschenfeind“ sehen konnte. Die hin und wieder gespielten unbedeutenden Salonkomödien fallen demgegenüber nicht ins Gewicht.

Nur die nähere Beschäftigung der Landesbühne mit Volksstücken machte ihren entscheidenden Beitrag zur Gründung einer burgenländischen Freilichtspieltradition mit Berufsschauspielern möglich. Als mit Franz Probsts „Bauern von Schlaining“ 1953 die erste Tat gesetzt wurde, hatte die Landesbühne schon genügend interne praktische Erfahrung gesammelt, die rund ein Jahr später zur Eröffnung der Burgspiele in Forchtenstein führen konnte. Otto Kery leitete auch hier die Direktion, Eduard Graf die meisten Inszenierungen von Franz Probst: „Maria Hofmairin“, „Der Kampf ums Recht“, „Ein Kampf um Glaube und Heimat“ und „Die feindlichen Brüder von Forchtenstein“ — letzteres mit Marianne Schönauer und Fritz Holzer unter der Regie von Oberspielleiter Walter Sofka.

Damit war aber der Spielplan der Landesbühne noch langę nicht erschöpft. Neben den Jugendvorstellungen von „Rübezahl“ bis „Zwerg Nase“ sollte auch noch die moderne Dramatik ein wenig zu Wort kommen — wenn man auch in diesem Fall das Wort „modern“ nicht ohne Anführungszeichen setzen kann: Von Gerhart Hauptmann wurde „Die versunkene Glocke“ und „Hanneles Himmelfahrt“ gespielt, von Anton Wildgans „Armut“ und „Dies irae“, von Max Mell „Der Nibelungen Not“, von Bernard Shaw „Der Teufelsschüler“ und ungefähr vor einem Jahr „Die Herberge“ von Fritz Hochwälder.

Einen lebenden österreichischen Dramatiker wählte sich die Burgenländische Landesbühne auch jetzt für die Jubiläumsvorstellung anläßlich ihres 20jährigen Bestehens aus, die im Festsaal des Bundeskonvikts Eisenstadt über die Bretter ging: „Hauptmann Radin oder Schach mit drei Damen“ von Heinz Zechmann. In kurzen Ansprachen mußten zunächst Landesrat Sinowatz und Direktor Otto Kery auf einige finanzielle Schwierigkeiten hinweisen, weil da Burgenland als einziges Bundesland Österreichs seine Landesbühne nicht erhält, sondern nur subventioniert und daher auf eine feste Bühne verzichten muß. Dann kommentierte Dr. Heinz Zechmann, der von Beruf Mittelschullehrer in Villach ist, mit einigen Worten seinen „Hauptmann Radin“. Auf einem weit vorgeschobenen Posten im zweiten Weltkrieg hatte Zechmann nämlich eine Reihe von Erlebnissen, die die in seinem Stück behandelten Probleme bestimmten und die Handlung diktierten. An einem solchen vorgeschobenen Grenzposten eines (Aktiven) besetzten Landes werden nach dem zweiten Weltkrieg Menschen in den „Westen“ geschmuggelt, viele verhaftet, andere auf ihre politische Zuverlässigkeit geprüft. Hauptmann Radin gehört zu den letzteren und gerät in die Falle einer aus den Fugen geratenen Maschinerie der Diktatur. „Dieses Stück erzählt die Geschichte eines Offiziers. Er dient in der Armee eines totalitären Staates und denkt. Das Stück ist also eine Tragödie.“ Zechmann kompliziert diese menschliche Tragödie durch die Geschichte dreier Frauen, von denen die Liebe der einen zu Radin etwas Hoffnung in die Situation bringt. — „Dieses Stück erzählt die Geschichte dreier Frauen. Die eine gibt sich nach unten — an die Männer — auf, die andere nach oben — an die politische Idee. Für alle ist das zweite viel gefährlicher als das erste. Die dritte steht als Hüterin des Subjektiven genau in der Mitte. Das Stück ist eine Liebeserklärung an diese Frau.“

Immer wieder spürt man das eigene Erleben Zechmanns hinter dem dramatischen Aufbau und die Bedeutung, die ein solches Stück wie „Hauptmann Radin“ gerade in einer Aufführung der Burgenländischen Landesbühne hat. Die geographische Lage, die Grenze sollte nämlich trotz allem eine doppelte Funktion haben. Darauf wollte Zechmann auch in seiner Einführung deutlich hinweisen, als er sagte, daß er in vielen Gesprächen mit gefangenen Offizieren erkannt habe, eine Grenze müßte nicht nur trennen, sondern auch verbinden...

Hauptmann Radin oder Schach mit drei Damen“ wurde 1962 in Wien als Festwochenbeitrag der „Tribüne“ im Cafe Landtmann uraufgeführt und anschließend im Fernsehen gezeigt. Der damalige Darsteller des Oberst Heller, nämlich Tino Schubert, führte diesmal in der Landesbühne als Kenner des Stückes Regie. Er vermied absichtlich jede aktuelle politische Anspielung und hielt sich an das von Zechmann auch so gestaltete Grundkonzept der Freiheit. Die allgemein sehr beifällig aufgenommene Aufführung, wobei besonders Günther Panak als Hauptmann Radin, Wolfgang Arenheimer als Schlepper und die charaktervoll-liebenswürdige Jutta Heinz als Ines im guten Ensemble auffielen und Heinz Ockermüller das Bühnenbild beisteuerte ist ohne Zweifel ein schöner weiterer Erfolg der Burgenländischen Landesbühne.

Sie würde ein ständiges Zuhause im Sinne einer kulturellen Entwicklung verdienen, anstatt selbst immer „ins Haus“ kommen zu müssen. Und wenn man im Burgenland über mangelnde finanzielle Mittel klagt, dann sollten sich die Verantwortlichen einmal in aller Ruhe ausrechnen, was man für 4,5 Millionen (der endgültige Betrag wird sicherlich noch höher liegen), die der neue Schildbürgerstreich eines mon- strumentalen Ambrosi-Haydn-Denkmals die Burgenländer kosten wird, alles bauen und für echte Kultur machen könnte...

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