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Musik und Theater am Bodensee

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Bregenz, Ende Juli 1946 Österreich hat den lange zu wenig gewürdigten Vorteil, in Vorarlberg eine „Rheinprovinz“, im weiteren Sinne Anteil am europäischen Westen zu haben — wirtschaftlich und kulturell. Hier strömt gedankliches Gut aus dem ganzen alemannischen Raum in unser Land ein, hier kann man besser als anderswo österreichische Schöpfungen in die Lande am rrlittleren und unteren Rhein verströmen lassen. Welcher Brückenkopf Bregenz ist, wo man fast von jedem Hause aus in drei Staaten sieht, das ist vielleicht in der Vergangenheit zu wenig gewürdigt worden.

Nun tritt Vorarlbergs Landeshauptstadt heuer mit einem schönen Plan vor die Weltöffentlichkeit: auch sie Veranstaltet vom 4. bis 11. August eine Festwoche. Äußerlich wird es dabei zugchen wie überall in Österreich, es gibt Schwierigkeiten (mit Unterbringung und Verpflegung der Gäste. EHe Organisation muß behelfsmäßig arbeiten, was aber nicht behelfsmäßig, sondern vollkommen sein wird, ist das Programm, das den Gästen, die sich hauptsächlich aus Frankreich und der Schweiz rekrutieren werden, ein Bild vom österreichischen Können und Schaffenswillen vermitteln und eine Werbung für die Zukunft sein will.

Auf dem Programm steht Wolfgang Amadeus Mozart, eine Aufführung der Krönungsmesse durch den Chor der Stadtpfarrkirche unter Direktor Odo Polzer, das Ballett der „Kleinen Nachtmusik“, das Kräfte der Wiener Staatsoper tanzen werden, die Jupiter-Symphonie (Wiener Symphoniker), die Spieloper „Bastien und Bastienne“, Beethovens Eroica, Haydn („Die vier Jahreszeiten“) und Hugo Wolf.

Die Literatur vertritt ein Abend, den lebende Vorarlberger Dichter bestreiten, und ein Sonntagvormittag französischer Lyrik in erster Übersetzung. Eine Ausstellung bildender Kunst aus Vorarlberg, die Minister Dr. Pernter eröffnet, wird mit dem Schaffen zahlreicher ernst ringender Kräfte bekanntmachen, würdiger Nachfahren des großen Moosbrugger und einer Angelika Kaufmann.

Mit dem größten Interesse sieht man der Auffüh rung der Vorarlberger Landesbühne von Max Mells Spiel „Sieben gegen Theben“ entgegen. Hier hat das junge Kunstinstitut zum ersten Male Gelegenheit, vor eine große Öffentlichkeit zu treten, die über den Rahmen des Landes hinausgeht. Während Graz, Klagenfurt, Linz, Salzburg oder Innsbruck mehr oder weniger die materiellen und geistigen Kräfte ihrer Länder an sich gezogen haben, führte der alemannische Volkscharakter vor dem Arlberg dazu, daß das Land keine Hauptstadt im Sinne anderer österreichischer Bundesländer hat, so daß die Behörden zwischen Bregenz und Feldkirch verteilt sind, während Handel und Industrie ihren Sitz in Dornbirn und Lustenau haben. Daneben oder dazwischen liegt eine Anzahl kleinerer Orte, die alle Sehnsucht nach gutem Theater innerhalb ihrer Mauern haben, während umgekehrt keiner groß genug für ein ständiges Theater ist. Gegenwärtig heißt Landesbühne Wanderbühne. Seit dem Winter wird bei oft mißlichen Unterkunfts-und noch schlechteren Verpflegungsbedingungen mit einem Stück so lange gereist, bis das Land bis in den innersten Wald und in das Montafon die Aufführung gesehen hat. Die vollen Ortsbühnen beweisen, daß dem künstlerischen Wollen der Schauspieler eine ebenso große Aufnahmsfähigkeit der Zuschauer entspridit.

Regie und Intendanz der Landesbühne hat Kurt Kaiser inne. Dem Ensemble verdankt Vorarlberg bisher Aufführungen von „Erde“ von Karl Schönherr, „Das Apostelspiel“ von Max Meli, „Die bestrafte Spröde“ von Lope de Vega, „Der Zerrissene“ von Nestroy, „Das Konzert“ von Hermann Bahr, „Kabale und Liebe“ von Schiller sowie zahlreiche Kulturabende und Dichterlesungen. Seit neuestem hat sich die Landesbühne im „Spiegel“ eine beachtliche Kleinkunstbühne geschaffen.

Die Bregenzer Festwoche ist zweifellos ein Wagnis. Ihr geistiger Schöpfer, Bundesrat Eugen L e i s s i n g. ist sich der Schwierigkeiten voll bewußt. Aber sicher wird heuer ein guter Anfang geschaffen, auf dessen Grundlage spätere Jahre bauen können.

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