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Landschaft als Lehrmeister

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Der Boden ist hart, aber die Rede von der Kulturwüste bleibt doch nur eine leere Behauptung. Ein Streifzug durch das vielfältige Angebot.

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Der Boden ist hart, aber die Rede von der Kulturwüste bleibt doch nur eine leere Behauptung. Ein Streifzug durch das vielfältige Angebot.

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Götz Friedrich wird im Sommer die Gershwin-Oper „Porgy and Bess” auf den Schauplatz -die Bregenzer Seebühne- zuschneiden, Schubert eint zum 200. mit der Creme de la creme der Interpreten die Kulturstätten der Bodenseeregion, in Hohenems versetzt Marvin Berge, Grubers Aktionstheater bringt den Frühling nach Bregenz und Lord Byron auf den Martinsplatz, und das Kunsthaus beginnt zu leuchten.

In einem Land, das in etwa so viele Einwohner zählt wie Besucher einer Seebühnenproduktion, werden die Festspiele zu Eckpfeilern des Kulturgeschehens, und wenn Intendant Alfred Wopmann von einer Landschaft spricht, die prägt, die zum Lehrmeister wird, dann bezieht er sich auch auf die Urelemente des Lebens, die er in den Inszenierungen berücksichtigt höben will: „Ich glaube, daß der Himmel, das Wasser und der Feuerball, daß das die Urprinzipi-en sind, aus denen sich unser Leben zusammensetzt. Es gibt nichts Schöneres, als zurückzufinden zu diesen Elementen, auch als Aufforderung, sie mit künstlerischen Aussagen zu kombinieren. Das ist das Besondere an Bregenz. Das

gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.” Wopmann wollte „Porgy and Bess” haben, und da dies ein Lieblingsstück von Götz Friedrich ist, stand das Inszenierungsteam fest, ab gesehen davon, daß er den bekannten Regisseur, mit dem er einst zusammenarbeitete, ohnehin schon seit längerem nach Bregenz locken wollte.

In Anbetracht dessen, daß es bis Mitte der fünfziger Jahre dauerte, bis eine schwarze Sängerin an der New Yorker Met auftreten durfte, und in Zeiten, in denen der Ku-Klux-Klan in Amerika wieder die Häuser und Kirchen der Schwarzen anzündet, wird im Bühnenbild von Hans Schaver-noch keiner Bomantik der Armut gefrönt.

Mit dem Deutschen Theater Berlin haben die Festspiele in den letzten Jahren einen kompetenten Schau-spielpartner gewonnen, und am pittoresken Martinsplatz in der Oberstadt ist nicht mehr das laue Sommertheater zu Hause, was in diesem Jahr mit dem Engagement von Aktionsthea-'termacher Martin Gruber unterstrichen wird. Der junge Wilde, der sich' nach bescheidenen Anfängen in Dornbirn und großen Erfolgen in Wien die Beduktion und Abstraktion zum Stilmittel gemacht hat („Ich sehe wahrhaftiges Theater in einer Abstraktion, nicht im Naturalismus”), will sich Lord Byron widmen und den Platz in ein Paradies, einen Höllenschlund und eine Seelenlandschaft verwandeln und mit allerlei Fabelgetier bevölkern.

Grubers Ideen blieben auch den Verantwortlichen des „Bregenzer Frühling”, dem Bregenzer Kunstverein, nicht fremd. Im Bahmen des rund zehn Jahre jungen tanz- und musikorientierten Festivals am Bodensee hat Mitte April ein besonderes Renaissancespektakel Premiere. Der Vorarlberger Bassist und Komponist Peter Herbert schrieb die Musik zu „Lorenzaccio, ein Medici”. Grubers neuester Streich ist als Macht-, Intrigen- und Liebesspiel mit aktuellen Bezügen angekündigt.

Bereits im Mai beginnt mit einer Schubertiade-Landpartie ein seit gut 20 Jahren bestehendes Festival bzw. Fest, das ohne Übertreibung die halbe Welt der Musiker nach Vorarlberg gebracht hat und dessen Geschäftsführer und künstlerischer Leiter, Gerd Nachbauer, viele Vorarlberger mit seiner Leidenschaft für gute Musik ansteckte. Ein Phänomen, wenn man bedenkt, daß Vorarlberg bzw. die Bodenseeregion mit keinerlei Schubert-Gedenkstätten aufwarten kann, dafür aber heuer, zum 200. Geburtstag des Komponisten, vom 3. Mai bis 7. September mit einem Ausstel-lungsreigen, der

sich von Schloß Achberg bei Wangen (Schuberts Leben und Schaffen) über das Stadtmuseum Lindau (Schubert

im Spiegel der Nachwelt) bis nach Feldkirch (Schubert bei Alfred Hrdlicka, Bilderzyklen zur „Winterreise”) und Schwarzenberg (Schuberts Leben und Schaffen als Postkartenmotiv) hinzieht.

Gerd Nachbauer, der seit der Gründung der Schubertiade mit einem Problem, nämlich dem mangelnden Weitblick mancher Vorarlberger, zu kämpfen hatte, hat sein Festival noch nie mit großem Geläut, sprich Politikern, Ehrengästen, Ansprachen etc. eröffnet. „Ich finde so etwas sinnlos.” Hingegen habe man die Chance, den kulturellen Hintergrund zu nutzen, in Vorarlberg noch nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen. Der Hauptteil des Festivals im Juni in Feldkirch ist diesmal ganz auf Schubert konzentriert: Buth Ziesak, Bobert Holl, Boman Trekel, Andräs Schiff, Alfred Brendel, die Camerata Academica Salzburg unter Franz Welser-Möst, Thomas Hampson, das Alban-Berg-Quartett, Till Fellner, Marjana Lipovsek, Juliane Banse und Dietrich Fischer-Dieskau (als Lesender) sind diesmal unter den Ausführenden.

Nachbauers Seitenhieb bezüglich Weitblick ist ein treffender, auch wenn die Oberländer ihre Montafo-ner Sommerkonzerte haben, die Meisterkonzerte im Festspielhaus ihr Publikum und das Symphonieorchester Vorarlberg auf eine ausverkaufte Abonnementreihe verweisen kann. Das sogenannte „Landesorchester” verhilft dem Theater für Vorarlberg jährlich zu einer Opernproduktion. Hier - wie auf dem Sprechtheatersektor sind so gut wie keine Experimente angesagt. Das Publikum, das die anregende Auseinandersetzung sucht, kann sie eventuell beim Theater der Figur finden, das neben wenigen Theaterproduktionen pro Jahr im Juni in Nenzing ein Jugendtheaterfestival mit Autorenbörse austrägt und

kurz vor Schulanfang im September in Bludenz sein Kindertheaterfestival „Luaga & Losna” mit verschiedensten Produktionen aus dem deutschsprachigen Baum.

Seit vergangenem Herbst versucht sich - neben gelegentlichem, wichtigem und trotz Finanznot unermüdlichem Auftrumpfen der „freien Szene” - ein neues professionelles 'Theater in Vorarlberg zu etablieren. „Kosmos” heißt die freche Mannschaft, die mit „Dirty Dishes” von Nick Whitby, „Abwesenheiten” von Ilias Driss oder der Uraufführung des Stücks „Der Sitzgott” des Schweizer Autors Christoph Keller die Hinterbühne des Bre-

genzer Festspielhauses besetzt. In der Nähe der Festspielhausprobebühne übrigens, mit deren Bespielbarkeit in absehbarer Zeit festspielunterstützt überhaupt mehr unkonventionelles Theater, auch Musiktheater, ins Land kommen soll.

Einen weiteren Impuls erwarten sich die Kulturschaffenden und Kulturinteressierten von der Eröffnung des Bregenzer Kunsthauses. Der Zumthor-Bau, ein Solitär mit Glashaut am Bodenseeufer, wird im Juni mit einer Turrell-Lichtinstallation eröffnet.

Die Stadt Bregenz realisiert parallel dazu mit jungen Amerikanern die

Sommerausstellung im Künstlerhaus. Marvin ist übrigens auch wieder da in Hohenems regieren und agieren Anfang Mai die Puppen: „Homuncu-lus”, das Festival mit dem Mausmaskottchen namens Marvin bringt die internationale Puppentheaterszene nach Vorarlberg und soll 1997 auch Berge versetzen; eine Ausweitung des Programms, das ohnehin das Tanz-, Objekt- und Maskentheater miteinbezieht, bei einem Steinbruch ist vorgesehen. Feurig werden darf es der Maus dabei auch.

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