6564937-1949_33_10.jpg
Digital In Arbeit

Nach den Bregenzer Spielen

Werbung
Werbung
Werbung

Das künstlerische Schwergewicht der 4. Bregenzer Festspiele lag auf den Konzerten der Wiener Symphoniker und den Aufführungen von Grillparzers „Medea“ durch Kräfte des Wiener Burgtheaters. Über beide Aufführungen zu sprechen, hieße Eulen nach Athen tragen. Das Bedeutsame war, daß durch die österreichische Bundeshauptstadt höchste Kunst Zuhörern vermittelt wurde, die normalerweise nicht nach Wien gelangen: nicht nur den Bewohnern des westlichsten und in der Hauptstadt oft vergessenen Bundeslandes, sondern auch den Gästen aus Westeuropa, die eben nur nach Bregenz kommen, nicht aber nach Wien oder auch nach Salzburg. Damit aber erledigen sich die Vergleiche mit Salzburg von selbst. In Bregenz hat kein Mensch den Ehrgeiz, etwa eine Konkurrenz mit Salzburg zu versuchen. Die Bregenzer Festspiele haben nun nach vier Jahren ihre Linie gefunden. Sie pflegen ein anderes Genre.

Mit Absicht ist der größte Vorarlberger Klangkörper, das allseits anerkannte Rundfunkorchester, auf eine einzige Serenade beschränkt worden. Es mag den Künstlern, für deren Gewinnung und Ausbildung das Land Vorarlberg große Opfer gebracht hat, nicht leicht fallen, bei 3er einzigen großen repräsentativen Veranstaltung des Jahres im Hintergrund zu bleiben. In Bregenz soll eben nicht Vorarlberger Kunstschaffen den Gästen geboten werden, sondern österreichisches, in erster Linie Wiener. Vorarlberg fühlt sich eben nicht als eigene Provinz des österreichischen Geistes, sondern als die Eintrittsstube des gemeinsamen Hauses im Westen.

Das lebhafteste Interesse wandte sich dem Spiel auf dem See zu. Schon voriges Jahr war die Erkenntnis allgemein, daß es schwer fallen werde, die „Nacht in Venedig“ zu überbieten oder ihr auch nur gleich zu kommen. Nach reiflicher Erwägung fiel die Wahl heuer auf Johann Strauß’ „Tausendundeine Nacht“; Daß das Auge stärker auf seine Rechnung kam, als es selbst bei einer Operette berechtigt ist, war Tatsache. Wenn die Klangwirkung über alle Erwartung gut war, dann hatte bei diesen Entfernungen zwischen Künstlern, Orchester und Zuschauerraum die am Bodensee ganz ungewohnte Windstille ihren wesentlichen Anteil. (Bei dem landesüblichen Westwind wäre das Ohr kaum auf seine Rechnung gekommen.) Auf dem Gebiet der Bildwirkung hatten Regisseur (Dr. Rott) und Bühnenbildner (Röthlisberger) in ihrer Strategie unbegrenzte Möglichkeiten. Sechs Pfahlbauten und drei schwimmende Inseln, wie von ungesehenen Geisterhänden im See bewegt, standen zur Verfügung. Die 7000 Personen fassende Riesentribüne bot auch auf dem höchsten Platz gute Sicht. Allerdings fing das Auge in erster Linie die Gesamtwirkung der großen Szenen ein. Die Einzelheiten kamen bei den großen Distanzen naturgemäß ein wenig zu kurz. Der Blick auf das färben- und ‘formenreiche Spiel war berückend schön, Spiel oder Mimik konnten im einzelnen kaum mehr wahrgenommen werden. So darf man den extremen Beurteilungen, welche diese Aufführung schon gefunden hat, recht geben: „Tausendundeine Nacht“ auf dem nächtlichen Bodensee war ein Schaustück, war erlebtes Märchen und doch ein ästhetisch-dramaturgisches Ereignis. — Allerdings, steigerungsfähig ist dieses Inszenierungskunststück nicht mehr; erweiterte man noch einmal den Rahmen, müßte das Spiel in einer Weise zerflattern, die den Charakter des Künstlerischen aufs Spiel setzte. Es scheint eine gewisse Grenze erreicht.

Ein Rückblick auf die Bregenzer Festspiele muß auch die Frage des Besuches streifen, der nun einmal die wirtschaftliche Basis für künstlerische Großunternehmungen bildet. Die Teilnahme Wiens und der östlichen Bundesländer war erfreulich groß. Dagegen hatte der in früheren Jahren so breite Strom aus der Schweiz wesentlich nachgelassen. Aus dem westlichen Nachbarlande kamen im Tag 600 bis 800 Personen gegen fast 3000 in früheren Jahren. Hier spielt eine Reihe von Ursachen mit. Zunächst finden in der Schweiz Festspiele an verschiedenen Orten statt; die Zeit des hohen Frankenkurses, der den Ausflug nach Österreichfür den Schweizer fast umsonst gestattet,

ist vorbei, und . da Grenzschwierigkeiten zwischen der Schweiz und Österreich überhaupt nicht mehr bestehen, hat die bevorzugte Visaerteilung ihren Anreiz eingebüßt. Dagegen kamen durchschnittlich 1500 Deutsche jeden Tag. Wäre der Bereich mit bevorzugter Einreise größer, so würde diese Zahl noch ganz wesentlich steigen; eine künftige Werbung für den Westen Österreichs hat vor allem im süddeutschen Raum sowie im Rheinland einzusetzen, sobald es die politischen Verhältnisse gestatten und die erforderlichen wirtschaftlichen Abkommen bestehen. Die Besucherzahl sämt licher Veranstaltungen in Bregenz war gut doppelt so hoch als im vorigen Jahr.

Rückblicke sind Gewissenserforschungen und die Erfahrungen des alten Jahres werden 1950 verwertet werden. Wenn der österreichische Handelsminister die Dorn- birner Export- und Musterschau die „Messe zwischen Wien und Paris“ genannt hat, so hat sich heuer Bregenz als die österreichische Festspielstadt westlich von Salzburg durchgesetzt. Nach vier Jahren sind nun die klaren Formen gefunden, in denen sich die weitere künstlerische Entwicklung am Bodensee vollziehen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung