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Gastspiele genügen nicht

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In den Vorarlberger Zeitungen und in den beteiligten Kreisen Vorarlbergs werden seit Beendigung der heurigen Bregenzer Festspiele ernsthaft selbstkritische Betrachtungen angestellt, ob man mit der bisherigen Entwicklung dieser wichtigsten künstlerischen Veranstaltung des alemannischen Oesterreich auf dem richtigen Wege sei. Bs hat sich nämlich herausgestellt, daß ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung dieses Jahr nicht so mitgegangen ist, wie es den Veranstaltern erwünscht gewesen wäre, und es werden Stimmen laut, die einerseits eine stärkere finanzielle Unterstützung durch die Gebietskörperschaften fordern und anderseits auf das Dilemma zwischen den rein künstlerischen Absichten und dem erforderlichen Fremdenverkehrsdienst verweisen.

Die Bregenzer Festspiele haben als Repräsentation wienerisch-österreichischer Theater- und Musikkultur in zunehmendem Maße ein schönes Ansehen in ihrem Einzugsgebiet errungen. Aber je höher die Ziele der Veranstalter gesteckt sind, um so weniger kann übersehen werden, daß dem Programm zwangsläufig die künstlerische Homogenität fehlt, da zwischen den bedeutenden Gastspielen des Burgtheaters in dem kleinen, aber bühnentechnisch einwandfrei ausgestatteten Kornhaustheater und dem volkstümlichen Spiel auf dem See, das auf der vermutlich schönsten Freilichtbühne Europas in Szene geht, ein zu großer Abstand besteht. Die großartige Naturkulisse und die architektonisch ausgezeichnet wirkende Seetribüne lassen auch den gelungenen Versuch einfacher Opernaufführungen — heuer „Die verkaufte Braut“ — der herrlichen Landschaft nicht adäquat erscheinen, während Schneiders „Der große Verzicht“ als großes Gedankendrama in dem für diese Aufführung zu kleinen Kornhaustheater für den sommerlich festspielfreudigen Besucher von zu gewichtigem Format ist.

Man glaubt dieser Kalamitäten durch die dringlich erhobene Forderung nach Erbauung eines von Bund, Land und Stadt zu finanzierenden Festspielhauses Herr werden zu können, wobei man auch etwas eifersüchtig auf Salzburg schaut. Allein man vergißt, daß die Salzburger Festspiele am kulturell vorbestimmten Ort aus künstlerischer Zwangsläufigkeit entstanden sind, während die ersten Bregenzer Festspiele der Nachkriegszeit als Zeugnis österreichischen Lebenswillens und von Amateuren durchgeführte, außerordentlich zugkräftige Fremdenverkehrswerbung installiert worden sind. Dagegen haben eigenständige Voraussetzungen einer notwendigen künstlerischen Mission gefehlt und können auch nicht beschafft werden, sofern man von der einmaligen Naturkulisse und nicht zuletzt von dem zu internationaler Geltung gelangten Bregenzer Festspielchor absieht.

Die Gefahr für die Bregenzer Festspiele besteht nun darin, daß man sich mehr abzufordern scheint, als die eigene Leistungsfähigkeit zuläßt. Es wäre schade, wenn die Bregenzer Testspiele nur eine mehr oder weniger mit bedeutenden Kosten zustande gebrachte Veranstaltungsserie künstlerisch wertvoller Gastspiele würden und blieben. Der Mangel eines spezifisch vorarlbergischen Beitrages wie eines solchen aus dem Kulturkreis des Bodenseeraumes wird immer fühlbarer, denn dieser sollte ein schöpferisches Gegenstück zur Lindauer Nobelpreisträgertagung und zu den wichtigen Kongressen auf der Insel , Mainau sein. Es wäre dabei durchaus an die alten vorderösterreichischen Erinnerungen zu denken, zu deren besonderer Pflege Bregenz berufen wäre.

Die kleine Stadt mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern und das Land Vorarlberg mit 200.000 Einwohnern können keine große künstlerisch tragende Gesellschaft wie Salzburg oder Wien besitzen, zumal die führenden Persönlichkeiten, bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber dem Schönen, doch Industrielle und Wirtschafttreibende sind, die in erster Linie für den materiellen Wohlstand des Landes verantwortlich sind, wogegen die Feriengäste in der Mehrzahl dem Mittelstand angehören, für den nicht bloß Salzburg zu teuer wäre, sondern der auch hinsichtlich der Bregenzer Festspielpreise eine gewisse Sparsamkeit walten lassen muß. Abgesehen davon, ist im Sommer den meisten Leuten das Moped, der Wagen und das Zelt wichtiger. Und trotz verbilligter Gewerkschaftskarten müssen sich viele Arbeiter und Angestellte damit begnügen, von den Festspielen nur den Fahnenschmuck der Landeshauptstadt zu sehen, weil sie jeden erübrigten Schilling in ihr Heim investieren. Außerdem fehlen in Bregenz noch viele Einrichtungen, die den Luxusbedürfnissen reicher Festspielgäste dienen, trotzdem der emsigen Stadtverwaltung in dieser Hinsicht sehr anerkennenswerte Leistungen zu danken sind.

Die Bregenzer Festspiele werden daher nur eine gesicherte Zukunft haben, wenn sie den Rahmen der allgemeinen Entwicklung des Landes nicht sprengen. Ob ein wohlerwogenes Weniger ab Engagementskosten u. dgl. unter Umständen nicht ein Mehr wäre, bliebe zu erörtern. Gegen das Land Vorarlberg und die Landeshauptstadt Bregenz sowie vor allem gegen den Bund erhobene Vorwürfe wegen zu geringer Unterstützung dürften keinen besonderen Erfolg haben, denn Land und Stadt tun das verantwortbare Ihrige, und der Bund ist nun einmal mit teils vorgesehenen, teils unvorhergesehenen Salzburger Verpflichtungen belastet. Der Plan eines Bregenzer Festspielhauses ist nicht nur ein materielles, sondern auch ein geistiges Risiko, dessen Basis augen-blicks noch zu schwach sein dürfte. Bei aller Freude an Theater und Musik können die Vorarlberger und ihre politischen Repräsentanten doch nicht von der traditionellen Reihung des Notwendigen vor dem Nützlichen und dieses-, vor dem Angenehmen Abstand nehmen. Das bedeutet indessen keine Vernachlässigung des allseits anerkannten Festspielgedankens in Bregenz, sondern dessen Mäßigung im alemannischen Geiste, der im einzelnen nicht einer gesamten Entwicklung vorgreifen will. Im Grunde genommen, sind die vielfach unfreundlich apostrophierten Verwalter der öffentlichen Gelder, vom Landesfinanzreferenten bis zum Bregenzer Bürgermeister, die echtesten Freunde der Bregenzer Festspiele, weil sie in angeborener Sparsamkeit der Erfüllung künstlerischer Expansionswünsche die Grenzen der wirtschaftlichen Realisierbarkeit geben, die aber überspannten Wagnissen ausweicht und die allgemeine Anerkennung der Festspiele als eines selbsterarbeiteten und nicht durch übermäßige Subventionen gezüchteten Kulturereignisses erzielen will. Vielleicht ist gerade dies scheinbar Negative eine sehr positive voraHbergische Eigenschaft bei der Betreuung der Bregenzer Festspiele, die in bewußter Konzentration auf unumstößliche Gegebenheiten auch bei anderen Festspielveranstaltern Schule machen könnte.

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