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Tourismus oder Kristallisationspunkt?

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Bayreuth als musischer Wallfahrtsort oder Monte Carlo als Touristenattraktion haben jeweils ihr eigenes, sehr spezifisches Publikum. Die hübsche Landschaft um Bayreuth und die anerkennenswerten kulturellen Bemühungen Monte Carlos ändern nicht das jeweilige Schwergewicht, welches die beiden Städte zu Interessensextremen macht. Ihnen gegenüber stellt Salzburg eine besonders geglückte und beglückende Synthese von Natur und Kunst dar.

Schon die Frage nach der Priorität ist kaum zu beantworten. Sicher war Salzburg schon vor Mozarts Geburt mindestens eben so schön wie heute, aber damals gab es noch keinen Tourismus. Seine Blütezeit begann parallel mit der Entstehung der Salzburger Festspiele und so gab und gibt es immer wieder Leute, die über die Schönheit Salzburgs Mozart - oder über Mozart Salzburgs Schönheit entdecken.

Sicher ist aber, daß die geradezu unerschöpflichen Veduten Salzburgs zu ständig neuer künstlerischer Aktivität inspirieren. Das Wort „Vedute“ bezieht sich aber nicht ausschließlich auf malerische Einzelheiten des Stadtprospektes, sondern im übertragenen Sinn auch auf das Geistige. So resultiert Salzburgs noch immer steigende Beliebtheit aus einem sehr natürlichen „Schneeballsystem“ von Stadt, Landschaft und Kunst.

Ebenfalls aus dem Zusammenwirken aller genannten Faktoren erklärt sich Salzburgs Anziehungskraft als Studierstadt. Es war die „Internationale Stiftung Mozarteum“, die eine eigene Musikschule gründete, die heutige von ihr unabhängige Hochschule „Mozarteum“, und es war ebenfalls die Internationale Stiftung, welche in den zwanziger Jahren, bald nach dem Entstehen der Salzburger Festspiele, die ersten Sommerkurse veranstaltete. Diese Kuse wurden praktisch ohne Unterbrechung weitergeführt und bilden heute einen gesetzlich verankerten Bestandteil der Hochschule.

Schon die Gründungszeit gibt den Hinweis auf die ursprünglich gedachte enge Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen, und diese wieder den Hinweis auf den Charakter der Kurse. Sie sollen der Perfektionierung dienen, aber auch der Beratung der Jugend durch Dozenten, die selbst Karriere gemacht haben, die möglichst neben einer Tätigkeit bei den Salzburger Festspielen als eine Art Amateurpädagogen, völlig unroutiniert, aber gerade deshalb mit Leidenschaft für die Jugend eine künstlerische und dank ihrer Verbindungen oft sogar eine berufliche Starthilfe geben sollten.

An dem Prinzip der Perfektionierung und der Starthilfe hat sich bis heute nichts geändert. Die Verbindung zu den Festspielen allerdings besteht kaum mehr. So mancher Künstler macht seine Mitarbeit an der Sommerakademie von einem gleichzeitigen Engagement bei den Salzburger Festspielen abhängig, doch wenn sich die Möglichkeit ergibt, beides zu vereinen, verhindert ein gedrängter Probenplan oder die Abwesenheit der Künstler zwischen den Auftritten bei den Festspielen die Kontinuität und Konzentration, die nötig ist, um einen Unterricht von drei Wochen sinnvoll zu machen.

Unter diesen Umständen hat die Leitung der Sommerakademie das unverändert initiative Interesse Herbert von Karajans dankbar angenommen, dessen jüngster Vorschlag war, Solisten der Festspiele zu einer Art künstlerischer Expertise an besonders „karriereverdächtigen“ Teilnehmern der Sommerakademie zu animieren.

Das bedeutet aber keineswegs, daß die Kurse von sich aus keine oder auch nur zu wenig künstlerische Kräfte unter den Lehrern hätte; der Unterschied zu früher besteht darin, daß sie jetzt auch über eine Reihe „gestandener Pädagogen“ verfügt, ein Ausgleich, der sich oft als richtig erweist.

Gerade dort, wo der Kristallisationspunkt der vielversprechenden Begabung zu finden ist, sind erfahrene Pädagogen von unschätzbarem Wert. Ihnen ist es gegeben, durch äußere Ungeschicklichkeit, aber auch durch Geschicklichkeit hindurchzusehen und Berufsaussichten mit größter Wahrscheinlichkeit abzuschätzen. Ein freundlicher, aber bestimmter Hinweis auf die Aussichtslosigkeit einer Berufslaufbahn, gegeben von einer anerkannten Persönlichkeit, hat schon manches junge Leben in andere, richtige Bahnen gelenkt.

So könnte man durchaus zufrieden sein, würde man die Kurse unter dem Gesichtspunkt von Perfektionierung, von künstlerischen Impulsen und von Beratung betrachten. Man könnte das immer noch weiter wachsende Interesse an diesen, wahrscheinlich ältesten und größten Kursen der Welt (1978: 1250 Teilnehmer aus 41 Ländern) mit Befriedigung verfolgen, gäbe es nicht die finanzielle Seite.

Die Kurse sind - und das wäre wieder eines Superlativs würdig - nicht subventioniert, das heißt, daß jeder Dozent entsprechend seiner Studentenanzahl ausbezahlt wird. Da er aber Fahrt und Aufenthalt (auch Steuer) selbst übernehmen muß und man anderseits die Kursgelder nicht beliebig festsetzen kann (zur Zeit S 3500 - pro Kurs) und da drittens die Leitung für die Kosten der Organisation, der Prospekte, der Veranstaltungen und für den Unterhalt eines Orchesters aufkommen muß, weshalb sie nicht annähernd in der Lage ist, den Dozenten die Kursgelder in voller Höhe auszubezahlen, ergibt sich ein nicht ungefährliches Dilemma.

Entweder der Dozent denkt bei der obligaten Aufnahmeprüfung an sein Geld, dann werden die Kurse touristisch, oder er denkt an die Kunst, dann muß er unter Umständen ein Defizit riskieren. Die Auswahl der Dozenten muß deshalb einerseits der Forderung nach fachlicher Attraktivität, anderseits aber auch der Forderung nach so viel künstlerischem Gewissen erfolgen, die es ermöglicht, Interesse wachzuhalten, ohne die Grundgedanken der Kurse zu verletzen, und nur jene Bewerber aktiv teilnehmen zu lassen, deren fachliches Niveau entspricht.

Es wurde uns gelegentlich der

Vorwurf des Touristischen gemacht. Er ist unrichtig. Sicher unterliegen auch die Sommerkurse jener Salzburger Synthese von Landschaft und Kunst, doch wer einmal selbst die Konzentration und das Ausmaß der Studien erlebt hat, wird davon überzeugt sein, daß hier mit den jungen Künstlern nicht auch die Kunst „baden geht“.

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