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Bregenz: Arena am See

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Wie füllt man 27 mal innerhalb eines Sommermonats eine 5.700 Plätze umfassende Zuschauertribüne und begeistert über 150.000 Menschen, von denen ein Großteil um jedes Opernhaus einen großen Bogen macht, für eine Operninszenierung, ohne in ein oberflächliches Spektakel abzugleiten, sondern künstlerische Qualität zu vermitteln? Die Bregen-zer Festspiele realisieren mit großem Erfolg das unmöglich Scheinende.

Der Intendant der Bregenzer Festspiele, Alfred Wopmann, verweist auf die Konzeption der 1946 gegründeten Festspiele am Bodensee, die sich besonders in den letzten Jahren nicht nur als Publikumsmagnet erwiesen, sondern auch in der Musikwelt eine starke Resonanz fanden und zudem wirtschaftlich kerngesund dastehen. George Bizets „Carmen" wird in der Inszenierung von Jeröme Savary am -22. Juli auf der riesigen Seebühne wiederaufgenommen und ist trotz dreier zusätzlich eingeschobener Vorstellungen bereits jetzt nahezu ausgebucht. Sie entwickelt sich zur erfolgreichsten Produktion der Bre-genzer Festspiele, die fast 100 der 173 Millionen Schilling ihrer Kosten durch Eigeneinnahmen einspielt. Wopmann: „Es ist das Wichtigste, vom Ort, von der Landschaft und von der Zeit auszugehen. Wir bewegen uns auf die Jahrtausendwende zu. Festspiele sind aber auch an eine bestimmte Jahreszeit gebunden."

„Außentheater" im See

Die an ein antikes Theater erinnernde Zuschauertribüne mit der riesigen Seebühne als Insel im Bodensee verbindet sich als „Außentheater" mit der Landschaft des östlichen, österreichischen Teils des Bodensees, begrenzt vom Pfänderhang und den Lichtern von Bregenz und Lindau.

Die Anfang der achtziger Jahre errichtete Seebühne - „ein Unikat in Europa und in der Welt" (Wopmann), erforderte „ganz neue Überlegungen hinsichtlich der Notwendigkeit, wie ein Theater auf dem Wasser funktioniert." Mit Mozarts „Zauberflöte" (1985) stellte sich die Frage, welche Mittel notwendig seien, um die Distanz zum Zuschauer (50 bis 100 Meter) zu überbrücken, den Menschen auf der aus dem Wasser herauswachsenden, nicht mehr flachen Bühne „zu überhöhen". „Wie muß man inszenieren, um ins Bewußtsein und in die Emotion des Zuschauers zu gelangen?" Das verlange eine ganz andere Art der Inszenierung als im Guckkasten-Theater mit Vorhang, zumal es gelte, den Zuschauer mit dem Bühnengeschehen zu bannen, statt daß er sein Interesse der Landschaft mit Wasser, Wellen, Lichtern und Bergen zuwendet.

„Das innere Bild muß groß und stark genug sein, um sich gegenüber dem Gegenbild zur Natur zu behaupten. Das Bild muß aber auch so aussagekräftig sein, daß der Zuschauer, unabhängig von Bildung, Alter und Herkunft, spontan verstehen kann, was es aussagt. Es muß Zeigecharakter haben."

Aus Kostengründen kann nur eine Bühnendekoration auf der Seebühne aufgebaut werden, diese aber wird durch die Bühnentechnik wandlungsfähig: durch die Präsentation, Veränderung, und die Beleuchtung von Teilbildern. „Wichtig ist das visuelle Konzept in der Bildaussage, sie muß das visuelle Begreifen ermöglichen." Dadurch müsse das Wesen des Stük-kes - bei Carmen mit dem Bild der Stierkampfarena, bei der Zauberflöte durch den Zauberberg, bei Hoffmanns Erzählungen durch die Welt der Spiegel - das Wesen, die Aussage des Stückes spontan begreifbar werden. Das Bild müsse den Zuschauer in die künstlerische Welt hineinziehen, ihn gefangennehmen.

„Wir haben in den letzten Jahren Stücke gespielt, die etwas vom alten Mythos in sich haben und versuchen, ewige Urprobleme an diesem besonderen Ort anzusprechen." War es bei der „Zauberflöte" die mystische Welt des Lichtes und des Dunkels, so spiegelte sich in „Hoffmanns Erzählungen" „die bizarre Traumwelt des Hoffmann in seiner Trunkenheit", im „Fliegenden Holländer" dominierte der Zusammenprall des materialistischen Industriemoloch mit der inneren Seelenwelt Sentas.

In Bizets „Carmen" wiederum symbolisiert die bühnebeherrschende Arena „den Kampf des Tierischen im Menschen". In der für 1993 geplanten See-Produktion von Verdis „Nabucco" gehe es um die innere Glaubenswelt der wahren Religiosität des Zaccarias gegen die falschen Bilder der Götzen.

Schätze entdecken

Das zweite Spezifikum der Bregenzer Festspiele, das zu den Seebühnenaufführungen in einem Spannungverhältnis steht, sind die Produktionen im großen Festspielhaus. Im internationalen Festspielgeschehen, dürfe man nie vergessen, daß es notwendig sei, „etwas zu bieten, was es woanders nicht gibt", ist sich Intendant Wopmann bewußt. „Das Besondere der Bregenzer Festspiele ist die sehr originäre und spezielle Verbindung des Theaters im Freien mit einem ganz normalen schönen und großen Theater im Inneren des Festspielhauses, das in den Dimensionen und der hervorragenden Akustik dem Vergleich mit den großen Häusern Europas leicht standhält."

Dort werden hingegen Raritäten der musikalischen Weltliteratur zur Aufführung gebracht, die „häufig zu Unrecht selten gespielt werden und die es wert sind, wiederbelebt und als Schätze neu entdeckt zu werden." Der Bogen reicht von „Samson und Dali-lah" über „La Wally" und „Mazeppa" bis zur diesjährigen Produktion von Hector Berlioz' „La Damnation de Faust" in der Inszenierung von Harry Kupfer, unter der musikalischen Leitung von Vladimir Fedoseyev mit den Wiener Symphonikern.

Auch hier geht es Wopmann nicht um „intellektuelles Musiktheater, sondern Theater im echten Sinn" mit einer inneren Balance zwischen Darstellungskunst, Gesang, Bühnenaktion und Bild - und um die Wiederentdeckung von Stücken, deren Aussagen zeitlos gültig sind wie der Faust-Mythos und/oder die aktuellen Zeitbezug haben wie die Vorjahresproduktion „Mazeppa", die Geschichte des ukrainischen Hauptmannes im Spannungsfeld von Nationalismus und Zentralismus.

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