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Theater in Linz

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Zwischen Spiel und Ernst vollzieht sich unser Leben, zwischen Schein und Wahrheit. In der Welt des Scheins werden uns die Vorbilder vorgestellt, denen wir nachahmen sollen. Diese Erkenntnis gibt jedem Theaterleiter, jedem Dramaturgen die Verpflichtung, bei der Auswahl des Spielplans verantwortungsbewußt zu handeln. — „Ich glaube, daß dieser ewige Durst nach lebendiger Darstellung des Lebens unauslöschlich sein wird und die Zukunft des Theaters sichert, die große Zuflucht mit dem Blick in die göttliche Werkstatt, wo die Vielgestalt Mensch erwächst von Jahrhundert zu Jahrhundert. Beispiel aller Lebenden, Spiegelbild des Daseins im Sinne Shakespeares. Solange dieses Verlangen im Menschen lebendig ist, wird auch der Glaube an die Zukunft des Theaters tragfähig sein und immer eine ernsthafte Gemeinde sich sehnsuchtsvoll bereit finden für die echte Kunst der Bühnendichtung.“

Mit diesen Worten leitete Intendant Fred Schroer die Spielzeit 1957/58 in der Festschrift zur Erinnerung an die Eröffnung des neuerbauten Kammerspielhauses in Linz am 28. und 29. September 1957 ein. In der mehr als 150jäh-rigen Geschichte des Linzer Landestheaters, das am 4. Oktober 1803 eröffnet wurde und heute dem voh“l1rof,.:“CIemens H'ölzmkisW 'geleTteteti Umbau weichen mußte, begann mit dieser Spielzeit ein neuer Abschnitt seiner an theatralischen Ereignissen so reichen Vergangenheit. Das neuerrichtete Kammerspielhaus in der Lessingstraße muß ein Jahr lang die Theaterbesucher für das im Umbau befindliche „große Haus“ entschädigen. Erst am 20. Dezember 1958 wird das „große Haus“ mit „Arabella“ von Hugo von Hofmannsthal und der Musik von Richard Strauss wiedereröffnet. Es wird für seine Besucher sehr viele Annehmlichkeiten bringen: kein Gedränge mehr an Kassen und Garderoben, breite Foyers und luftige Treppen. Der Zuschauerraum, der zwar den Charakter aus der Wiener Schikaneder-Zeit wieder aufklingen las-' sen wird, bietet 800 Personen gute Sichtplätze. Ueber dem Zuschauerraum wölbt sich ein neuer Himmel, der von dem akademischen Maler Fritz Fröhlich mit Malereien aus dem Orpheusmythos ausgestattet wird. In den Foyers werden Plastiken des Bildhauers Prof. Walter Ritter und Großgraphiken des Malers Rudolf Kolbitsch die Besucher erfreuen.

Wenn das Linzer Landestheater bis vor wenigen Jahren in der Hauptsache dem Kulturbedürfnis der Linzer Bevölkerung diente, zeichnet sich seit der Spielzeit 1952/53 mit der Schaffung der Landabonnements eine grundlegende Wandlung der Besucherkreise ab. Diese Landabcnnements bringen heute rund 1500 Abonnenten aus den Bezirken Vöckla-bruck, Ried im Innkreis, Windischgarsten, Kirchdorf an der Krems, dem anschließenden Niederösterreich und dem Mühlviertel mit Theatersonderzügen und Autobussen ins Theater. Dazu kommen wöchentlich einmal Abstecher nach Wels und Steyr und einmal monatlich nach Gmunden, Bad Hall und Lenzing. Die Abstecherbühnen wurden mit Unterstützung der Landesregierung und des Landestheaters mit modernsten technischen Einrichtungen ausgestattet. In Wels wurde eine Drehbühne eingebaut, und die Eisenstadt Steyr errichtete ein modernsten technischen Anforderungen gerecht werdendes Bühnenhaus mit Drehbühne, das im Mai dieses Jahres eröffnet wird. So ergibt sich, daß die Linzer Landesbühne heute wirklich ein Landestheater ist, in des Wortes eigentlicher Bedeutung.

Selbstverständlich war die Spielplanung n dieser Saison weitgehend von baulichen Maßnahmen behindert. Das große Schauspiel, die reoräsentative Oper, die eine große Aufmachung verlangende Operette mußten späteren Spielzeiten vorbehalten bleiben. Trotz aller Schwierigkeiten legte Intendant Fred Schroer den Theaterbesuchern eine Planung für drei Jahre vor, in der das internationale dramatische Schaffen in Prosa und Musik aus Vergangenheit und Gegenwart mit repräsentativen Werken vertreten ist.

Eröffnet wurde das neue Kammerspielhaus mit Franz Werf eis „Paulus unter den Juden“. In den kommenden Spielzeiten sind „Das Reich Gottes in Böhmen“ und „Der veruntreute Himmel“ des gleichen Autors vorgesehen. Die große dramatische Aussage des Abendlandes kommt heuer in August Strindbergs „Nach Damaskus“ und später mit Hugo von Hofmannsthals „Der Turm“ und „Faust, I. Teil“ zu Wort. Das russische Drama in Vertretung für den gesamten slawischen Kulturkreis ist mit Leo Tolstoi, „Der lebende Leichnam“, Maxim Gorki, „Nachtasyl“ und Anton Tschechow, „Der unnütze Mensch Pla-tanow“ im Dreijahresspielplan verzeichnet. Von moderner amerikanischer Dramatik kommt beziehungsweise kam Arthur Miller, „Tod eines Handlungsreisenden“, Eugen O'Neill, „Der Eismann kommt“, und Thomas Wolfe, „Herrenhaus“ zur Aufführung. Die Klassiker werden mit Franz Grillparzer, „Medea“ und „Traum ein Leben“, Friedrich von Schiller, „Don Carlos“, William Shakespeare, „Komödie der Irrungen“ und „Wie es euch gefällt“ repräsentiert.

Die österreichisch-volkstümliche und so liebenswerte Dramatik Ferdinand Raimunds und Johann Nestroys scheint mit „Der Verschwender“, „Alpenkönig und Menschenfeind“, „Der Diamant des Geisterkönigs“ “und „Notwendig oder überflüssig“ auf. Mit Uraufführungen lebender österreichischer Dramatiker, wie Heinrich Klier, „Kennwort Morgenrot“, Gertrude Fussen-egger, „Eggebrechts Haus“, und Felix Braun, „Beatrice Cenci“, mit dem die Spielzeit 1958/59 im Kammerspielhaus eröffnet wird, rundet sich der Spielplan ab, in dem noch Oscar Wilde, „Ein idealer Gatte“, Christopher Fry, „Das Dunkel ist Licht genug“, Goodrich-Hackett, „Das Tagebuch der Anne Frank“, Max Frisch, „Die Chinesische Mauer“, und Josef Hayes, „Ein Tag wie jeder andere“ zu nennen wären.

Das musikalische Theater brachte die Uraufführung des Balletts „Moderner Traum“ nach einer Idee von Fred Schroer und der Musik von Helmut Eder, Lortzing, „Der Wildschütz“, Händel, „Xerxes“, Rossini, „Barbier von Sevilla“, Menotti, „Konsul“, Britten, „Bettleroper“, Boris Blacher, „Die Flut“, zusammen mit dem Ballett von Gottfried von Einem, „Pas de coeur“ bildeten das Opernrepertoire der Kammerspiele. Das Unterhaltungstheater brachte beziehungsweise bringt: Künneke, „Der Vetter aus Dingsda“, Offenbach, „Pariser Leben“, Lanner-Steinbrecher, „Alt-Wien“, Edmund Nick, „Das kleine Hofkonzert“, Paul Sarauw, „Der kleine Napoleon“, und Willi Kollo, „Die hellgelben Handschuhe“.

Das Echo, das der Spielplan im Publikum bisher fand, ist, soweit man dies nach der Besucherstatistik beurteilen kann, sehr gut. Den Theaterfreunden wird im Theater durch ein sorgfältig redigiertes Programmheft und für die Besucher aus dem Land Oberösterreich durch die „Linzer Theaterzeitung“, die heute in ihrem zweiten Jahrgang erscheint, über die verschiedenen Inszenierungen beziehungsweise Ausdeutungen der dramatischen Werke instruktives Material in die Hand gegeben.

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