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Das Tiroler Landestheater

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Unmittelbar neben dem Landestheater auf dem Rennweg wurden jetzt die Fundamente gelegt für ein zweites Kleines Haus des Landestheaters. Die zuständigen Stellen von Stadt und Land haben den Bau eines kleinen Theaters genehmigt. Was vor einem Jahr noch eine drückende Sorge war — bekanntlich mußte der Spielbetrieb in der ehemaligen Kleinen Bühne endgültig eingestellt werden — hat nun, dank der Initiative durch Intendant Karl Goritschan, der das Landestheater seit acht Jahren leitet sowie der Bemühungen des Bürgermeisters Dr. Lugger, rasch eine positive Entwicklung genommen, so daß die zahlreichen Theaterfreunde der Landeshauptstadt -bald ein modernes intimes Theater erhalten werden.

Durch ein vorzügliches Abonnementsystem konnte sich im Laufe der letzten Jahre ein theaterfreudiges Stammpublikum entwickeln, vor allem ist das vielbeachtete Volksabonnement, das die breitesten Schichten anspricht, das bewährte Rückgrat. Dadurch erreicht jedes Stück mindestens elf Vorstellungen. — Durch den guten Besuch kann auch in der laufenden Spielzeit die Einnahmenziffer gehalten werden.

Der Spielplan bringt auch heuer neben bewährter klassischer Weltliteratur die Werke moderner Autoren. Shakespeares „Wintermärchen“, Calderons „Richter von Zalamea“, Goldonis „Kaffeehaus“, Lessings „Minna von Barnhelm“, Nestroys „Talisman“ stehen neben Holts „Herzspezialist“, Millers „Blick von der Brücke“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Letzteres erwies sich auch außerhalb der Abonnements und in den Schülervorstellungen als besonderer Erfolg.

Die Oper errang vor ihrem besonders anspruchsvollen Publikum, nicht zuletzt durch Bemühungen um eine moderne Opernregie, auch in dieser Spielzeit wieder schöne Erfolge mit Verdis „Traviata“ und „Othello“, mit „Bajazzo“, „Hansel und Gretel“ sowie mit Orffs „Die Kluge“. Als kultureller Mittelpunkt eines seit Jahrhunderten theaterfreudigen Landes, hat das Landestheater eine besondere Aufgabe auch dem Land gegenüber zu erfüllen. Es kommen nicht nur geschlossene Besuchergruppen aus allen Teilen des Landes, das Landestheater führt auch regelmäßige Gastspiele in die verschiedenen Bezirke durch. Eine wesentliche Aufgabe erwächst nun dem Landestheater aus der Tatsache, daß es ein Grenztheater ist. Die Bespielung Südtirols mit klassischen und. modernen Werken ist eine regelmäßige Gastspielaufgabe, die das Landestheater mit Takt und Verantwortungsbewußtsein zu erfüllen versucht. Als letzte Stücke zeigte das Landestheater auf Gastspieltourneen durch Südtirol „Minna von Barnhelm“, „Herzspezialist“ und „Die liebe Familie“.

In der bedeutenden Fremdenverkehrsstadt Innsbruck ergeben sich besondere Forderungen an die künstlerische Gesamtplanung. In den vergangenen Jahren konnte in erfreulicher Kontinuität Erfolgreiches geleistet werden. Dies drückt sich auch darin aus, daß sich die Spielzeit des Landestheaters über das ganze Jahr erstreckt (mit Ausnahme der dreiwöchigen Vorbereitungszeit für die jeweils neue Spielzeit). Das Tiroler Landestheater hat eine Sommerspielzeit, die in die Monate der Hochfrequenz des Fremdenverkehrs fällt. Als ausgesprochene Fremden-Spielzeit hat sie sich als feste Einrichtung innerhalb des Spieljahres außerordentlich erfolgreich bewährt. Die Sommerspielzeit, die das Schauspiel, die Oper und die Operette berücksichtigt, räumt auch dem Ballett einen besonderen Platz ein. Die Ballettabende des Landestheaters erfreuen sich immer größter Beliebtheit. Nachdem in der vergangenen Spielzeit Blachers „Hamlet“ und Gerslrvrißs i„Amerikaner in Paris“ (beide Werke als österreichische Erstaufführungerl) herauskamen, stehen in diesem Jahr mit Tschaikowskys „Giulietta“ (Romeo und Julia) eine österreichische Erstaufführung und mit Respighis „Cesare Borgia“ eine Ballett-Uraufführung auf dem Spielplan. Außerdem bringt die Sommerspielzeit in einer Freilicht-Ballettaufführung neben Tschaikowskys „Romeo und Julia“ auch Dvofäks „Slawische Tänze“. Ferner enthält der Sommerspielplan die bemerkenswertesten Operninszenierungen der Saison, unter anderem Verdis „Othello“, Egks „Zaubergeige“ und Orffs „Kluge“, das letztere eine Wiederaufführung, die das Publikum als großen künstlerischen Erfolg würdigte.

Gerade diese Erfolge außerhalb der Route von Konvention und Gewöhnung beweisen das sehr wache Theatergefühl eines Publikums, das sich der uralten Theatertradition seiner Stadt ebenso bewußt ist, wie es sich dem neuen Theatererlebnis aufgeschlossen zeigt. Dieses Bewußtsein für das Theater wach zu erhalten, bleibt das ständige Hauptanliegen. Ihm dient auch das große Verständnis, das die zuständigen Stellen des Landes und der Stadt ihrem Theater entgegenbringen. Es muß aber, was die Finanzgebarung betrifft, immer wieder die Hoffnung ausgesprochen werden, daß sich nun auch der Bund in weit stärkerem Maß an den Subventionen der Landestheater beteiligen müßte. Diese Hoffnung entbehrt auch nicht einer gewissen kulturhistorischen Rechtfertigung: der Raum des oberen Renhwegs ist ein Spielraum ältester Theatertradition. Ueber diesen Mittelpunkt der Stadt Innsbruck führt eine der Hauptstraßen des europäischen Fremdenverkehrs und zog sich schon immer eine der großen Entwicklungsstraßen der europäischen Kultur. Hier sind noch die Reste der ersten festen Opernbühne und zugleich des ältesten Theatergebäudes unseres Sprachraums zu sehen. Das 1655 eröffnete Innsbrucker Hof-und Nationaltheater, aus dem das heutige Landestheater hervorging, war der „erste frei stehende Theaterbau des deutschen Sprachraums“. Hier war der Dichter der „Zauberflöte“, Schikaneder, Regisseur vor seiner Wiener Zeit. Goethe' besuchte dieses Theater, eines der schönsten seiner Zeit. Forschungen haben außerdem erwiesen, daß zahlreiche italienische Musiker auf ihrem für die österreichische Musik fruchtbaren Weg nach Wien zuerst über die Innsbrucker Theater gekommen sind. Es wäre darum erfreulich, wenn man diese Tradition unseres Theaters nicht vergessen und in geeigneter Form anerkennen würde.

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