Jeden Text neu erfinden

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Österreichs Landesbühnen als innovative Spielstätten.

Eine Vorschau von Julia Danielczyk

In der nächsten Theatersaison erwarten die Bundesländer unkonventionelle Spielpläne. Medienübergreifend werden erfolgreich verfilmte Drehbücher auf ihre Theatertauglichkeit geprüft, Filmemacher schreiben Theaterstücke und der Kunstbetrieb macht sich mit neuen Stücken wieder einmal selbst zum Thema.

Intermediales aus Linz

Filmregisseur Götz Spielmann etwa, diesjähriger Gewinner des Oberösterreichischen Landeskulturpreises in der Sparte "Film", schreibt sein erstes Theaterstück Spielfeld für Linz. Der dortige Neu-Intendant Rainer Mennicken (siehe Seite 23) hat "Glück oder Untergang" zum Jahresmotto ausgerufen und würdigt den Jubilar des kommenden Jahres, Arthur Schnitzler, mit Das weite Land. Die österreichische Erstaufführung von Michael Vinavers Flug in die Anden erforscht subtil das kapitalistische Alltagsleben unserer Gegenwart, Schauspielerin Verena Koch inszeniert ihr eigenes Stück Tapetenwechsel als musikalische Haus-und Gartenrevue. Mit Alan Ayckbourns Schöne Bescherungen darf man sich auf eine schwarzhumorige Weihnachtskomödie freuen, die einen nicht in Lebkuchenduft einlullt, sondern unterhaltsam vorführt, wie schwierig bürgerlich verordneter Frieden zu bewältigen ist. Ganz im Zeichen der Komik steht auch der Eingroschengrusel von Charles Ludlam Das Geheimnis der Irma Vep. Dieses erste Werk des so genannten "Pop-Theaters" leitet in das neue Konzept der dritten Bühne des Linzer Landestheaters, dem "Eisenhand", als "Kammer des Schreckens" ein und grenzt damit die Zuständigkeiten der Spielstätten klar ab.

Kärntner Revoluzzer

Während Linz unter neuer Intendanz mit einer soliden Mischung aus klassischer und zeitgenössischer Dramatik auf Nummer sicher geht, sprintet Dietmar Pflegerl in Klagenfurt ein letztes Mal voll durch. Nach eineinhalb Jahrzehnten erfolgreicher Theaterarbeit hat er seinen Vertrag als Intendant nicht verlängert. Die Kärntner Kulturpolitik lässt die Mittel für ihr Stadttheater einfrieren, Pflegerls Entscheidung zeigt sich als Reaktion auf rigide Sparmaßnahmen.

Umso satter sind die Inhalte: Mit Martin Ku\0x0161ej hat seine Intendanz im Jahr 1992 viel versprechend begonnen, mit dem mittlerweile zum Weltklasse-Regisseur aufgestiegenen Ku\0x0161ej garantiert Pflegerl auch einen spektakulären Start in seine letzte Spielzeit. Nach vielen Horváth-Erfolgen inszeniert Ku\0x0161ej erstmals Zur schönen Aussicht. Die Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg - eine Demontage von Helden-und Männerbildern - beweist, dass jeder Text immer neu erfunden werden kann, lässt man sich nur klug und offen darauf ein. Nicht nur Ku\0x0161ej, sondern auch Peter Turrini und Silke Hassler sind als Kärntner Revoluzzer vertreten. Gemeinsam haben sie den Text für die so genannte Volksoperette Jedem das Seine verfasst. Roland Neuwirth sorgt für die Musik eines Stücks, das wiederum die Musik zum Überlebensmittel erklärt. Im April 1945 sind ehemalige Häftlinge des KZ Mauthausen in einem Stadel eingeschlossen - am Ende ihrer Kräfte und ohne Orientierung studieren sie die Operette Wiener Blut ein. Menschliche Kälte kriegt somit einen Gegner: die Kunst. Pflegerls letzte Eigeninszenierung - Maria Goos' Alte Freunde - ist eine Kooperation mit dem Renaissancetheater Berlin. Mit Turrini, der Die Eröffnung liest, schließt auch ein "alter" Stadttheater-Klagenfurt-Freund Pflegerls letzte Saison.

Für das Schauspielhaus Graz hat die neue Intendantin Anna Badora einen hoch interessanten Spielplan aus Bewährtem und Wagemutigem vorbereitet. Die international erfolgreiche Theatermacherin hat die Probebühne zur Spielstätte für Uraufführungen eingerichtet, die sich mit Vorurteilen und Klischees zum Thema "Heimat" und "Fremde" beschäftigen. Gespannt sein darf man auf Andrzej Stasiuks Ostmark, Torsten Buchsteiners Nordost, Reto Fingers Kaltes Land, Bernhard Studlars Sonne, Wolken, Amerika oder Dunkel lockende Welt von Händl Klaus.

Fulminanter Anfang in Graz

Im Großen Haus setzt sie auf Bekanntes und spielt Tschechows Platonow, Shakespeares Richard III., Molières Der Menschenfeind, Nestroys Der Talisman, Turrinis Die Minderleister (Turrini führt diese Spielzeit unangefochten in der Gegenwartsdramatik) sowie Schnitzlers selten gespieltes Ehedrama Zwischenspiel. Mit zusätzlichen zwei Uraufführungen in der Spielstätte "Ebene 3" verzeichnet das Schauspielhaus Graz 19 Premieren und steht heuer auf Platz eins in der Produktivität der Landesbühnen.

Brechts 50. Todesjahr wurde an den meisten österreichischen Bühnen kaum bis gar nicht wahrgenommen. Allein das Tiroler Landestheater führt Die Dreigroschenoper auf.

Sucht man thematische Verbindungslinien innerhalb der Bundesländer, so lässt sich am ehesten die Frage nach der Kunst als Lebensnotwendigkeit herausfiltern. Mit dem Künstlerinnenporträt Piaf und Goldonis Impresario von Smyrna wird das Theater als Identitätsort zwischen Selbstdarstellung und Intrige reflektiert. Freuen darf man sich in Innsbruck auf die Bühnenfassung des Erfolgsfilms Acht Frauen sowie Die sexuellen Neurosen unserer Eltern von Lukas Bärfuss.

Innsbruck und St. Pölten

St. Pölten, das seine zweite Saison als Landestheater antritt, hat sich mit internationalen Gastspielen als interessante Bühne - auch in unmittelbarer Wien-Nähe - etablieren können. Auch in der Spielzeit 2006/07 locken Gäste: Lesungen von Stars wie Angela Winkler (die mit ihrer Tochter Nele Andersens Märchen erzählt), Cornelia Froboess, Erwin Steinhauer, Boris Eder oder Bruce Myers (in Peter Brooks Inszenierung von Dostojewskis The Grand Inquisitor) machen St. Pölten zu einem besonderen Anziehungspunkt. Das engagierte junge Schauspielensemble wird vor allem in Klassikern zu sehen sein: Neben Schillers Kabale und Liebe und Molières Der Menschenfeind sind das für die Moderne Ingeborg Bachmanns Malina-Dramatisierung von Ulli Maier und Thomas Bernhards Am Ziel. Ansonsten gibt es in den Bundesländern heuer keinen weiteren Bernhard. Dafür darf es in den Ur-und Erstaufführungen durchaus schräg zugehen.

Salzburg und Bregenz

In Salzburg ist mit Daniel Calls bürgerlichem Damendrama Wetterleuchten ein apokalyptischer Seelenstriptease zu erwarten. Rembrandt B12 von Jean-Michel Ribes ist eine Gesellschaftssatire auf den aktuellen Kunstbetrieb. Ziemlich trashig klingen der Insektenkrimi Die Wanze und Jordi Galcerans Die Gröhnholm-Methode, eine bissige Überzeichnung von Auswahlverfahren am Arbeitsmarkt, wo der Mensch zur Ressource verkommt.

Auch das Vorarlberger Landestheater präsentiert einen gut durchmischten Spielplan. Für die Gegenwartsdramatik sind Bernhard Studlar/Andreas Sauter mit Rote Kometen, Händl Klaus mit (Wilde) Mann mit traurigen Augen und Dea Loher mit Unschuld vertreten. Ansonsten reicht die Bandbreite von der Antike (Euripides' Medea) bis in die klassische Moderne (Becketts Endspiel). Besonders spannend klingt ein selten gespieltes Stück, nämlich Carl Sternheims Lustspiel Die Kassette, das den rasanten Untergang der bürgerlichen Welt und ihrer Werte satirisch beschreibt.

Mit klug ausgetüftelten Spielplänen, hochkarätigen Regisseuren und wagemutigen Uraufführungen präsentieren sich die Landesbühnen heuer mehr denn je als innovative Spielstätten.

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