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Zum großen Wurstel

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Am Namen des Direktors des Wiener Burgtheaters wird sich eine Kleinigkeit ändern: der Anfangsbuchstabe. Auf Benning folgt Nenning.

Was alte Stehparterrehasen schon länger vermuteten, wurde nach dem spektakulären Grazer Bühnenauftritt von Günther Nenning in dem Stück „Elefantenhochzeit“ zur Gewißheit.

Der bisherige Boß der Journalistengewerkschaft legte als künftiger Leiter der „führenden Sprechbühne deutscher Zunge“ ein wegweisendes Konzept vor: Politiker als Schauspieler! Als Eröffnungspremiere der Ära Nenning - und das ist als Programm zu verstehen - wurde der Schnitzler-Einakter „Zum großen Wurstel“ angesetzt.

Der zuständige Minister, Vizekanzler Fred Sinowatz, erhofft sich vom doppelten Doktor Nenning vor allem eine sparsame Geschäftsführung: Nenning sei schon seinerzeit auf dem Titelblatt seiner „Neuen Freien Presse“ im Adamskostüm aufgetreten. Sollte dieses Beispiel am Burgtheater noch mehr als bisher Schule machen, könnten zunächst einmal teure Kostüme eingespart werden.

Ferner sei Nenning als „Grüner“ ein Feind jeglicher Energieverschwendung bei Beleuchtung und Bühnenbild. Prompt setzte Nenning als nächste Premiere „Das Dunkel ist licht genug“ von Christopher Fry an und verfügte, die diesem Stücktitel entsprechende Beleuchtung dürfe in keiner zukünftigen Inszenierung mehr überschritten werden.

Die Haupteinsparung erhofft man sich freilich davon, daß in Zukunft die ohnehin vom Staat besoldeten Parlamentarier und Regierungsmitglieder ohne zusätzliche Gage auch außerhalb ihrer sonstigen Wirkungsstätte theatralisch agieren werden und damit die hochdotierten Burgmimen verdrängen. Weshalb bereits in den Redaktionen zwischen Theaterkritikern und politischen Redakteuren ein Streit um künftige Premierenkarten eingesetzt hat.

Kostensenkend wird sich auch auswirken, daß die neuen Akteure unter Verzicht auf Urheberrechte und Tantiemen ihr Alltagsleben auf der Bühne ausbreiten wollen, wenn auch in Anlehnung an alte Stücke. Man darf sich also von den im vorläufigen Spielplan aufscheinenden Titeln eher kühne Bearbeitungen als die ursprünglichen Werke erwarten, aber das ist ja nicht unbedingt ein neuer Zug am Burgtheater.

Daß die pragmatisierten Burgschauspieler noch mehr als bisher Spazierengehen oder TV-Filme drehen Werden, fällt angeblich kaum ins Gewicht. Bleiben dürfen übrigens Künstler mit Praxis in der Serie „Geschichten vom Doktor Kreisky“ für die gleichnamige völlige Neubearbeitung von Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“, die zu einem wahren Triumph des Regietheaters werden dürfte.

Gleich danach ist aber Nestroys Zauberspiel „Die Träume von Schale und Kern“ zu nennen, das Nationalratspräsident Benya als „Träume von Spaltung und Kern“ inszenieren will, ferner die totale Neufassung der „Journalisten“ von Gustav Freytag: Darin wird das Stück im Pressefoyer nach dem Ministerrat spielen und zeigen, wie einem ORF-Redakteur Nachhilfe in Geschichte erteilt wird. Dem UNO-Kon- ferenzzentrum soll sich mit prominenter Besetzung die Adaptierung der Ne- stroy-Posse „Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige“ widmen.

Hohe Schauspielkunst im berühmten traditionellen Burgtheaterdeutsch verspricht die Neuinszenierung des schon bisher im Spielplan aufscheinden Werkes „Sommergäste“ von Maxim Gorki. Bruno Kreisky wird es mit seinen eigenen häufigen Gästen Yassir Arafat, Olof Palme und Willy Brandt herausbringen und damit auch auf Mallorca-Tournee gehen. Für PLO und Sozialistische Internationale sind sogenannte Benefiz-Vorstellungen vorgesehen.

Ebenfalls im Spielplan bleiben soll Wedekinds „Frühlingserwachen“. Regie führt natürlich ÖVP-Mann Kurt Bergmann, der bereits seit Jahren einen „neuen Frühling in Österreich“ anstrebt. Den ÖVP-Parlamentarieren will Nenning außerdem die Stücke „Draußen vor der Tür“ von Borchert und „Warten auf Godot“ von Beckett zur szenischen Realisierung überlassen.

Die ÖVP-Leute gelten ja als Spezialisten für das „absurde Theater“, wie auch ihre alle paar Jahre augenscheinlich werdende Vorliebe für „Das große Massakerspiel“ von Ionesco beweist.

Ex-Obmann Josef Taus hat allerdings aufgrund schlechter „Souffieur- kasten“-Erfahrungen Nennings Angebot, als ständiger Einsager zu fungieren, abgelehnt.

Im sozialistischen Lager sind leider die Idealbesetzung für Zuckmayrs „Schinderhannes“ (nach endlosen Vorhängen) und Millers „Blick von der Brücke“ von der bundespolitischen Bühne verschwunden.

Kurt Steyrer erhofft sich als Shaws „Arzt am Scheideweg“ einen Gewinn an Popularität, für den nunmehrigen „wilden“ Abgeordneten Stephan Tüll fand sich als Aufgabe nur „Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler.

Für die wenigen geplanten weiblichen Titelrollen - „Lysistrata“ von Aristophanes und „Dame Kobold“ von Calderön - kommen nur Johanna Doh- nal und Beatrix Eypeltauer in Frage.

FPÖ-Chef Norbert Steger, der sich Hoffnungen auf die Titelrolle in Hoch- wälders „Der öffentliche Ankäger“ oder in „Der Unbestechliche“ von Hugo von Hofmannsthal machte, hat nun auch Schiffbruch mit seiner Regiearbeit für Ibsens „Volksfeind“ erlit- ÖVP ersehnt „Frühere Verhältnisse“ (von Nestroy), lehnt aber strikt ab, diesen Einakter zusammen mit einer Sihoten, da Christian Broda nicht die ihm zugedachte Hauptrolle übernehmen wollte.

Wenn nicht alles trügt, wird Steger, der wegen seines Lampenfiebers am liebsten hinter den Kulissen agiert, nun die Hauptrolle in der Kreisky-Inszenierung von Grillparzers „Ein treuer Diener seines Herrn“ zufallen, von der die Plattenfirma „His Masters Voice“ eine Aufnahme vertreiben will.

Für die Zukunft hofft die SPÖ auf „Hokuspokus“ (von Curt Goetz). Die watz-Inszenierung des Nestroy-Einak- ters „Die schlimmen Buben in . der Schule“ aufs Programm zu setzen.

Abgelehnt wurde von den Politikern überhaupt eine ganze Reihe von Stük- ken, teils wegen „abschreckender Titel“, teils, weil eine Identifikation eines Politikers mit bestimmten Titeln „völlig abwegig“ sei.

Dazu zählen „Weh dem, der lügt“ von Grillparzer, „Die schmutzigen Hände“ von Sartre, „Das Geheimnis des grauen Hauses“ von Nestroy, „Ein Inspektor kommt“ von Priestley, „Schmutzige Wäsche“ von Stoppard, „Der Verschwender“ von Raimund, „Der Parasit“ und „Die Räuber“ von Schiller sowie „Maß für Maß“ von Shakespeare.

Die Klassiker kommen somit relativ schlecht weg, bei Goethe will man sich wie bisher mit gelegentlichen Zitierungen aus seinem Werk begnügen, Schiller und Shakespeare (ausgenommen „Viel Lärm um nichts“) bleiben überhaupt im Fundus.

So wird uns zwar noch manches auf der politischen Bühne vorgespielt werden, liebe Leser, aber in nächster Zeit leider kaum „Was ihr wollt“ und „Wie es euch gefällt“.

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