Österreichische Theateridentitäten

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Sprechtheater auf den Wiener Bühnen in der Saison 2003/04.

So österreichisch wie in der kommenden Spielzeit ist es an den großen Wiener Bühnen schon lange nicht zugegangen, als hätte man sich in den Dramaturgien stillschweigend auf das Motto "Österreich-Festspiele mit Welttheaterakzenten" eingelassen.

Hans Gratzer beginnt seine Direktion an der Josefstadt mit seinem (oft skeptisch kommentierten) Spielplankonzept, das ein auf österreichische Dramatik spezialisiertes Repertoire - "neu gelesene" Klassiker und (Wieder)-Entdeckungen - vorsieht. Er offeriert Highlights österreichischer Theatergeschichte vom frühen 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts mit zwei signifikanten Randpfeilern: Eröffnet wird mit dem längst vergessenen Singspiel Aline oder Wien in einem anderen Weltteil von Adolf Bäuerle, einem Vorläufer von Raimund und Nestroy. Die letzte Premiere, Anna Gmeyners sozialkritisch-poetisches Volksstück Automatenbüfett (1932), erinnert an eine heute nur noch in wissenschaftlichen Abhandlungen gewürdigte Autorin, die im Deutschland der Weimarer Republik als Dramatikerin Karriere machte, als Jüdin ins Exil flüchten musste und in England keine Möglichkeit zur Fortsetzung ihrer Theaterkarriere fand.

Gegen Befürchtungen, es könnte sich da ein allzu nostalgisch-wienerisches Biotop entwickeln, spricht die ästhetische Handschrift der mit den Inszenierungen betrauten Regisseure: Hans Gratzer selbst, ferner Philippe Arlaud, David Mouchtar-Samorai, Claude Stratz und Hans-Ulrich Becker.

Aus dem grenzüberschreitenden Boulevardangebot der Kammerspiele stechen zwei Uraufführungen hervor: Kanari von Klaus Pohl mit Publikumsliebling Otto Schenk in einer maßgeschneiderten Paraderolle und zu Saisonschluss ein vergnüglicher Urknall mit dem Kabarettisten-Duo Steinböck und Rudle im "größten Musical der Welt" von Boyd Graham und Jed Feuer.

Emmy Werner hat ihr vorletztes Direktionsjahr am Volkstheater mit "Widerstand und Anpassung" überschrieben. Nestroys Eisenbahnheiraten rücken aus den Bezirken ins Haupthaus vor, auf Peter Shaffers Welterfolg Amadeus soll Franzobel mit Mozarts Vision kontern, einem Auftragswerk des omnipräsenten Jungdramatikers, der auch in "dietheater" im Konzerthaus im Autorenprojekt der Burg zu finden ist. Es folgt Der Bauer als Millionär mit Erwin Steinhauer in der Titelrolle, mit Bahrs altbewährtem Konzert ist dank Grande Dame Andrea Jonasson als Pianistengattin ein Kassenschlager vorprogrammiert, und Ferdinand Bruckners Elisabeth von England könnte zum Wendepunkt der bislang wenig überzeugenden Bruckner-Renaissance werden. Kontrastpunkte zum Österreich-Programm: Sophokles' Antigone, Brechts Mutter Courage und Eisen, ein Stück der Schottin Rona Munro über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung.

Zusätzlich zu Spielbar, Forum U3 und Plafond tut sich mit dem "Orkus" auf der Unterbühne ein vierter Nebenschauplatz auf, der mit Brahmsplatz von Marlene Streeruwitz eingeweiht wird. Das Theater in den Bezirken feiert sein 50-Jahre-Jubiläum u. a. mit Grillparzers Des Meeres und der Liebe Wellen.

Das spektakulärste Theater-Ereignis stellt das Burgtheater in Aussicht: Die Uraufführung von Elfriede Jelineks Bambiland - ein Text über die Allmacht der Medien -, inszeniert von Christoph Schlingensief, dem radikalsten, aktionistische Mittel gezielt einsetzenden Theaterprovokateur unserer Tage - ein erratischer Block im eher klassisch ausgerichteten Angebot im Haus am Ring, wo nach Shakespeares Was ihr wollt noch Hauptmanns Vor Sonnenuntergang, Hofmannsthals Unbestechlicher, Grillparzers Trilogie Das goldene Vließ und Schillers Don Karlos herauskommen. Im Gegensatz dazu prunkt das Akademietheater mit einer Reihe von Ur- und deutschsprachigen Erstaufführungen, beginnend mit Gert Jonkes bereits in Graz gezeigter Chorphantasie. Der Kissenmann von Martin McDonagh, Spezialist für makaber-komische Horror-Szenarien, wendet sich an Zuschauer mit starken Nerven, Edward Albee Die Ziege oder Wer ist Sylvia? handelt von einer seltsamen Liebesgeschichte, und Igor Bauersima stellt sich mit seiner historischen Fiktion einer Bérénice de Molière in Wien als Autor, Regisseur und Bühnenbildner vor.

Das Kasino am Schwarzenbergplatz entwickelt sich zusehends zum Kreativzentrum der Burg. Besonders zukunftsweisend: ein Autorenprojekt zur gezielten Förderung junger Dramatiker/innen, u.a. Karin Röggla, Franzobel, Bernhard Studlar, Robert Woelfl und René Pollesch.

Bleiben noch Mittel- und Kleinbühnen und die freie Szene mit ihrem die verschiedensten theatralen Genres umfassenden Angebot. Das Schauspielhaus unter Airan Berg und Barrie Kosky konnte seine Position als Ort der Begegnung für engagiertes, multikulturelles Off-Theater überzeugend festigen und kündigt u.a. neben Wiederaufnahmen ein Projekt 1914 von Airan Berg und Aida Karic und einen von Kosky gestalteten Monteverdi-Abend für Schauspieler an.

Zu nennen gäbe es noch so manche Bühnen und Gruppen. Angesichts der kulturpolitischen Bestrebungen einer Neustrukturierung dieser auch qualitativ sehr vielschichtigen Szene wird es auf jeden Fall ein Jahr des Übergangs und der Neuorientierung.

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