Grillparzer - © Foto: gemeinfrei

Anpassung bis zur Selbstaufgabe

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Franz Grillparzers "Medea" ist alles andere als verstaubt. Wie aktuell das Drama aus dem Jahr 1821 immer noch ist, zeigt -wenngleich nicht in allem überzeugend -Anna Badoras Inszenierung.

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Franz Grillparzers "Medea" ist alles andere als verstaubt. Wie aktuell das Drama aus dem Jahr 1821 immer noch ist, zeigt -wenngleich nicht in allem überzeugend -Anna Badoras Inszenierung.

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Franz Grillparzers "Medea" ist und bleibt ein starkes Stück -und es beginnt mit einer starken Szene, die auch ohne aktualisierende Inszenierung als brisant und gegenwärtig verstanden werden kann: Da vergräbt Medea ihre Zaubergeräte und das Goldene Vlies, also das, was sie stark machte, ihre Vergangenheit, ihre Heimat, ihre Traditionen, ihre Herkunft. Sie will in der Gegenwart leben und ist bereit sich an die Fremde völlig anzupassen. Keine gute Basis, weder für das Selbst noch für eine Beziehung noch für eine Gemeinschaft. In Anna Badoras Volkstheater-Inszenierung schmiegt sich ein Zelt, wie man es aus Flüchtlingslagern kennt, ganz an den Rand. Es gerät fast aus dem Blick, so duckt es sich im Eck der von Thilo Reuther gestalteten Bühne. Diese wird beherrscht von einer Glas-Beton-Architektur, von nüchtern und kühl zur Schau gestelltem Reichtum. Aus diesem Haus werden -denn sie können sich das leisten -der König und seine Tochter zunächst in Bademantel und Schlapfen treten: Wellness trifft auf Flüchtling.

Ein starker Beginn ist das bzw. wäre das, hätte Badora nicht zuvor noch archaische Szenen aus der Vorgeschichte eingefügt. Franz Grillparzer schrieb "Medea" als drittes Drama seiner Trilogie "Das Goldene Vließ", aus den beiden vorangehenden Dramen bedient sich Badora. In "Der Gastfreund" tötet Medeas Vater den Gastfreund; hier gründet der Fluch, den das Goldene Vlies symbolisieren und der Medea verfolgen wird. In den "Argonauten" begegnen Jason und Medea einander -und Jason erscheint Medea dabei als Gott. Liebe macht blind. Wohin das führen kann, das erzählt "Medea" dann auch.

Barbarisches Dunkel und helle Zivilisation

Grillparzer wollte den Unterschied zwischen einem -aus griechischer Sicht! - als barbarisch und dunkel, aber auch romantisch empfundenen Kolchis und einem zivilisierten und hellen Griechenland darstellen, auch sprachlich. Die eingefügten Szenen unterstreichen diesen Unterschied, mehr aber noch dienen sie der Psychologisierung, denn sie zeigen Medea als von Anfang an von Männern manipuliert. Das ist eine wichtige Facette, die Grillparzers Drama möglicherweise aber unnötig engführt.

Erst mit dem eigentlichen "Medea"-Beginn gewinnt die Aufführung an Tempo, Rasanz und Dramatik. Man nannte Grillparzers "Medea" oft ein modernes Ehedrama und tatsächlich zeigen die faszinierenden Dialoge auf eine für die damalige Zeit erstaunlich "psychologische" Weise Entfremdung, Selbsttäuschung und Enttäuschung, Verblendung und Projektion, Macht, Ohnmacht und Opportunismus.

Während Gábor Biedermann als Jason etwas blass wirkt, spielt Stefanie Reinsperger die Wandlung der Medea fulminant. Wie sie erst tollpatschig versucht, sich zu integrieren (sie ist hier nicht die Königstochter, sondern eine ahnungslose Fremde), wie sie sich aber nur lächerlich macht, indem sie Walzer tanzt und neue Lieder singt. Wie sie sich vergeblich gegen Verleumdung zur Wehr setzt und schließlich verbannt wird. Jason hingegen, dem sie als Fremden in ihrer Heimat geholfen hat, dessen Integration sie aber in Korinth nun im Weg steht, darf bleiben. Er sagt sich von ihr los, selbst die Kinder wenden sich von der Mutter ab. Es endet wie bei Euripides: Medea tötet die eigenen Kinder.

Grillparzers 1821 am Hofburgtheater uraufgeführtes Drama führt die Gefahr nationaler Überlegenheitsgefühle vor und zeigt die Fremdheiten, die sich auch in kleinsten Gemeinschaften und im Individuum selbst abspielen. Im kaiserlichen Vielvölkerstaat schrieb er seine Analyse der Ausgrenzung und Abschiebung. Und damit ist dieses Drama immer noch mitten in der Gegenwart.

Medea Volkstheater 6., 15., 21., 29. Dezember

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